Der Sound einer Zerfleischung

Die Entstehung von Nine Inch Nails "The Downward Spiral": Trent Reznor schuf die innovative Mixtur aus kompromissloser Härte und Selbstentäußerung quasi im Alleingang.

Nine Inch Nails is Trent Reznor“. So stand es auf der ersten Platte. Programmatisch wie diese Zeile fielen alle seine Titel aus, ob Alben oder Songs. Wer Reznors Platten kennt, kennt sein Leben, von der jungen „Pretty Hate Machine“ über die selbstzerstörerische „Downward Spiral“ zu dem labilen inneren Gleichgewicht von „The Fragile“ und dem Testosteron-Rock von „With Teeth“. Es ist ein Streifzug durch die engagierte Suche eines Künstlers nach seinem wahren Ich. Mit dem herrlichen Begleiteffekt, dass das Ergebnis in seiner individuellen Intensität immer wieder Musik hervorbrachte, die man so noch nicht gehört hatte.

Mit seiner Mixtur aus stark Synthesizer-getriebener Klanggestaltung und harschen Gitarren stellte bereits sein Debüt „Pretty Hate Machine“ etwas Neues dar. Der Vorgänger zu „The Downward Spiral“, die wütende EP „Broken“, war der nächste Schritt. Begleitet von zahlreichen Skandalen und dem Umstand, dass der Song „Wish“ trotz des an zentraler Stelle platzierten Wörtchens „fist fuck“ einen Grammy erhielt, stieg „Broken“ bis auf Platz 5 der Billboard Album Charts. Reznor hatte bewiesen, dass er auch mit unkommerzieller, unzugänglicher Musik Erfolge feiern kann.

Bereit, ein richtiges neues Album aufzunehmen, kaufte Reznor 1992 im kalifornischen Promi-Pfuhl Bei Air ein Haus und richtete sich ein Studio ein. Die Adresse, 10050 Cielo Drive, ist Satanisten und Freaks schon lange ein Begriff: Hier ermordeten 1969 Anhänger von Charles Manson die Schauspielerin Sharon Täte. Reznor behauptet bis heute, davon erst später erfahren zu haben, „was nur wieder ein Beweis dafür ist: Ich ziehe diese dunklen Sachen einfach an. Es ist wie ein Omen.“

„The Downward Spiral“ sollte ein Konzeptalbum werden über das Ausloten menschlicher Degenerierung durch Sex, Drogen, Gewalt, Depression und den abschließenden Selbstmord – kulminierend in „Hurt“: „I hurt myself today / to see if I still feel / I focus on the pain / the only thing that’s real“. Ihm gelang damit ein neuer Soundtrack adoleszenter Angst, wird zum meist gespielten Clip der neben Härte und Coolness auch Platz fand für Melodramatik und eine fühlbare emotionale Extravaganz. So entstand das, was für viele das ultimative NIN-Album ist: eine Wall of Sound in Krach-Moll. Ein stilistisch offener Bastard zwischen Pop und Noise, Hirnfick und Genialität, Intensität und Offenheit, komplexen Synthesizer-Texturen und purer Gitarren-Wut. Trotz seiner einzigartigen Sperrigkeit debütierte „The Downward Spiral“ auf Platz 2 der amerikanischen Charts. Bei einem Interview im Jahr 2001 über sein bisheriges Dasein als Künstler gewährte Reznor Einblicke in die Entstehung dieses Monsters von Platte.

Trent, wie kam es zu diesem Album?

Als ich anfing, wollte ich etwas Bedeutsames tun. Für mich war es anfangs wie ein Fluch, Texte zu schreiben. Also ging ich mit meiner Musik zu ein paar Journalisten. Ich dachte, dass sie die Texte liefern könnten. Aber sie haben mich davon überzeugt, es selbst zu tun. Sie haben eine Kraft entdeckt, der ich mir selbst nicht bewusst war. Das zeigte mir, dass ich nicht in eine Rolle schlüpfen darf, hinter der ich mich verstecken kann, sondern dass ich mein Innerstes nach außen kehren muss. Ich war also doch fähig, etwas von Bedeutung, etwas Künstlerisches zu tun. Ich dachte damals: Niemand wird je meine Musik hören. Doch dann waren es ja doch ein paar, denen sie etwas bedeutete.

Du wolltest also etwas Bedeutsames machen…

Genau. Wenn du versuchst, etwas anders zu machen, wirst du dafür bestraft. Wenn du aber auf den Konsumenten zugeschnittene, kategorisierbare Musik machst, die eigentlich nur ein Produkt ist, wirst du über alle Maßen belohnt. Da ich aber Stolz in mir habe, kann ich entweder aufgeben und schmollend in meinem Schlafzimmer Musik machen. Oder ich kann einen Versuch starten, in den Grenzen des guten Geschmacks etwas zu promoten, woran ich hart gearbeitet habe. Etwas, das ich liebe und von dem ich denke, dass es gut ist, dass es zu recht das Publikum fordert. Es gibt nämlich ein anderes Level als das unterste. Musik kann Tiefe haben, Musik kann ehrliche Kunst sein, nicht nur Fahrstuhlmusik oder der Soundtrack für Teenager-Partys.

Es heißt, Du wärst damals gründlich auf Droge gewesen.

Ich war ein Abhängiger, der darauf wartete auszubrechen. Ich wusste damals nichts über Abhängigkeit. Ich dachte, ein Alkoholiker liegt mit der Nase auf dem Tresen und trinkt seinen letzten Whisky Sekunden vorm Exitus. Und ich glaubte, all das hat nichts mit mir zu tun. Diese ganze Hysterie hatte etwas Überwältigendes, und meine Art, damit umzugehen, war Selbstmedikation.

Wie nennst Du Deine damalige Krankheit?

Innere Leere. Es war ein seltsames Gefühl, das ich mit mir herumtrug. Der Frust, die ausgeschüttete Energie, die Aufmerksamkeit, die ich bekam – all das führte zu einem Punkt, an dem ich dachte, diese Aspekte substituieren zu müssen.

Was war Dein Lieblingsmedikament?

Kokain war toll. Alles, was an mir falsch lief, wurde innerhalb von Minuten repariert. In Sekunden mutierst du vom Autisten zu einem weltgewandten Socializer.

Und deshalb wird behauptet, dies sei deine Drogenplatte?

Vermutlich. Auf jede andere Platte trifft das eher zu. Am Schlimmsten war die Arbeit an Marilyn Mansons „Antichrist Superstar“. Hier waren wir wirklich ununterbrochen drauf. Aber bei „The Downward Spiral“ war ich die gesamte Zeit über sehr fokussiert, ich habe wie ein Besessener gearbeitet. Es gab keine Ablenkung – anders hätte ich dieses Album auch nicht machen können. Die Vision war absolut klar; es war komplett in meinem Kopf, bevor ich einen einzigen Ton aufgenommen hatte.

Weshalb Du die Platte wahrscheinlich auch im Alleingang aufgenommen hast. Nicht komplett alleine. In der Regel war noch ein weiterer Engineer da, der sich um den ganzen Computerkram und die Verkabelung kümmerte.

Aber keine weiteren Musiker, richtig?

Richtig.

Bist Du ein Studio-Eigenbrötler?

Schon. Ursprünglich war der Grund dafür, dass ich niemanden finden konnte, der mit mir Musik machen wollte. Früher war das schlimm für mich, weil ich immer gern eine Band gehabt hätte. Aber ich bin einfach nicht mit den Musikern klar gekommen, die ich kannte.

Oder umgekehrt.

Ja. Mit der Zeit hat sich das als positiv herausgestellt, denn ich habe bemerkt, dass ich alleine viel effizienter und präziser arbeiten kann. Wenn ich ins Studio gehe, habe ich immer einen ganzen Berg voller Ideen, die ich gleichzeitig angehen will, und da geht es schneller, wenn ich alles selber spiele. Zudem wollte ich bei diesem Album noch einmal komplett von vorne anfangen.

Wie geht das? Komplett von vorne anzufangen?

Da ich keine Band habe, die einen Soundrahmen vorgibt, erlege ich mir immer neue Regeln auf, an die ich mich beim Musizieren halte. Wie zum Beispiel, dass ich mir verbiete, beim nächsten Song Keyboards anzufassen oder dass ich nur eine bestimmte Gitarre verwende. Ich lerne dadurch, auf musikalischer Ebene ich selbst zu sein, ganz unabhängig davon, wie ich klinge.

Sind solche Regularien nötig, um kreativ zu sein? Grammy: „Odelay“ wurde zum „Best Alternative Album“ gekürt. Unbedingt. Ich brauche sie, um mich nicht im Wust der Möglichkeiten zu verlieren, um Musik zu einer Herausforderung zu machen. Und um mich dazu zu zwingen, nicht in einem funktionierenden Rahmen stecken zu bleiben. Ich will besser werden als Songwriter, Musiker, Produzent. Als Künstler.

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