Der Songwriter unseres Vertrauens
EIN SPÄTSOMMERMORGEN in Austin, Texas. Das Thermometer hat die 90 Grad Fahrenheit (ca. 30 Grad Celsius) schon überschritten, die Luft ist feucht und stickig. Bill Callahan kommt gerade aus der Dusche. Hat eine Baseballkappe über die noch nassen Haare gezogen. Seit neun Jahren wohnt er hier. Geboren in Silver Spring, Maryland, ist der Songwriter schon viel rumgekommen in seinem Leben. Teile seiner Jugend hat er im englischen Yorkshire verbracht, später lebte er in New Hampshire, Georgia, South Carolina, Kalifornien, New York und Chicago, Illinois. Ist der 47-Jährige nun sesshaft geworden?
„Jeder Ort, an dem du stehenbleibst – und sei es nur für fünf Minuten -, kann ein Zuhause sein“, sagt er. „Ein Bett und ein Dach überm Kopf -das reicht mir. Ich würde verrückt, wenn ich nicht ab und zu aus Austin rauskäme. Aber ich kehre immer wieder zurück -wenn du das mit sesshaft meinst, dann bin ich wohl sesshaft.“ Er liebe es, in Bewegung zu sein, sagt er. Im Truck zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen, sei das Größte. „Man kann die anderen Menschen in ihren Autos beobachten, man sieht die Landschaft, die Tiere und die Farmen. Und man kann ungestört Musik hören.“
Bill Callahans musikalische Reise begann bereits vor 25 Jahren, doch erst 2007 tauchte sein Name erstmals auf dem Frontcover eines seiner Alben auf. Davor veröffentlichte er als Smog. Songwriter versteckten sich in den Neunzigern ja gerne hinter solchen Monikern – Palace, Songs: Ohia, Sparklehorse, Mountain Goats -, und das war für ihre kleinen Fangemeinden wohl auch Teil der Faszination. Da legten junge Männer ihre Seele offen und blieben doch irgendwie verhüllt. Das förderte die Mythenbildung, man stellte sie sich als scheue, einsame, isolierte Eremiten vor, die sich nur mit Maske in die Öffentlichkeit wagten. Wenn der Smog-Sänger Lieder wie „Cold Blooded Old Times“ oder „Dress Sexy At My Funeral“ vortrug, war seine Stimme die Entsprechung zu Buster Keatons in jeder noch so absurden Situation versteinerten Miene.
2004 erschien das letzte Smog-Album, „A River Ain’t Too Much To Love“, auf dem der Sänger berichtet, wie er, einem Zugvogel gleich, Richtung Süden reist, von Chicago nach Austin. Und dort wurde aus Smog schließlich Bill Callahan. Diese Selbstoffenbarung scheint den Songwriter zugleich bewogen zu haben, sich in seinen Texten zurückzunehmen. Lakonisch erzählte er mit nun durchaus wandlungsfähiger Stimme zu sublimen Arrangements Fabeln und Gleichnisse, in denen das „Ich“ klar als Rollenprosa markiert war. Und die Aufmerksamkeit für den Mann hinter den Liedern wuchs. Die Alben verkauften sich besser, die Konzerte wurden in größere Hallen verlegt, ein hübscher Fotoband mit dem Titel „The Life And Times Of William Callahan“ erschien, und die Filmemacherin Hanly Banks drehte eine Dokumentation über die Tour zum letzten Album „Apocalypse“(in der die Hauptperson allerdings die meiste Zeit schweigt, wenn sie nicht gerade singt).
„Irgendwas ist passiert, als ich begann, die Platten unter meinem eigenen Namen zu veröffentlichen“, sagt Callahan und grinst. „Schon komisch, denn mein Label, Drag City, hat mich damals davor gewarnt, diesen Schritt zu gehen. Sie dachten, niemand würde mich mehr beachten.“ Erklären könne er die gesteigerte Aufmerksamkeit aber auch nicht. „Vielleicht bilden sich Menschen sehr schnell eine Meinung zu Dingen und halten für den Rest ihres Lebens daran fest“, versucht er es trotzdem. „Und vielleicht haben sie nur darauf gewartet, dass ich meinen Namen ändere, um sich meiner Musik noch einmal neu nähern zu können.“
Aus dem ehemaligen Lo-Fi-Künstler und Schrat hinter Smog wurde jedenfalls mit einem Mal der große Songwriter Bill Callahan. Man nennt ihn mittlerweile gar in einem Atemzug mit alten Meistern dieses Faches wie Leonard Cohen oder Mickey Newbury. „Die Songwriting-Tradition hat mich immer mehr interessiert als irgendeine sogenannte Independent-Subkultur“, sagt er. „Auch wenn ich mich selbst nicht in der Reihe der Künstler sehe, mit denen ich mittlerweile verglichen werde. Mickey Newbury zum Beispiel ist eine Million Mal besser als ich.“
Die Songs seines neuen Albums „Dream River“ entstanden innerhalb von zwei Monaten in einer kleinen Hütte hinter seinem Haus in Austin. „Ich fange immer mit den Wörtern an. Ich missbrauche die Musik nicht, um zu kaschieren, dass die Texte keinen Sinn ergeben. Vielmehr soll sie die Bedeutung der Wörter illustrieren. Daher brauche ich erst mal eine ziemlich geradlinige Geschichte. Das war aber nicht immer so. Früher war ich in der Lage, fragmentarischer und impressionistischer zu schreiben -eigentlich steckt ja in jeder Konfiguration von Wörtern eine Story, und ich hab mich damit zufriedengegeben, dass die Zuhörer daraus selbst eine größere Narration zusammenbauen können. Heute muss bei mir alles expliziter und klarer sein.“
Zufrieden sei er mit einem Album erst, wenn sich aus den vielen in den Songs erzählten kleinen Geschichten eine große ergebe. Schon „Apocalypse“ glich 2011 eher einer durchgängigen Erzählung als einer Sammlung eigenständiger Songs. Das wird nun auf „Dream River“ noch deutlicher, denn die acht epischen Stücke sind motivisch verschränkt und ergeben zusammen die Geschichte eines Mannes, der in einer Hotelbar sitzt, durch ein imaginäres Fenster schaut und im Kopf eine Reise durch Erinnerungen, Träume und Emotionen unternimmt. „Träume sind Teil des Lebens und können sehr real sein“, erklärt Callahan. „Wenn man sich im Wachzustand plötzlich unvermittelt an einen Traum erinnert, fühlt sich das wie eine Erinnerung an etwas an, das einem tatsächlich passiert ist. Darum geht es hier -eine Reise entlang des Flusses der Träume.“
Wie ein Speer, der in die Luft geworfen wird, erhebt sich der narrative Bogen mit „Javelin Unlanding“, im nächsten Song fliegt ein Flugzeug über ein Fluss-Delta, ein höheres Wesen arrangiert die Wolken, ein Wind kommt auf und „everything is all wing and tired of praise“, ein Pfeil trifft einen Adler, der mit seiner Beute den Fluss entlangfliegt, ein Maler schreibt Namen auf die Schiffe der reichen Leute, während Biber einen Damm bauen, ein Unwetter erhebt sich und eine Seemöwe flüchtet in eine Hotelbar. „In jedem der Lieder kommt ein fliegendes Objekt vor“, so Callahan. „Doch es wechselt im Verlauf des Albums die Form. So wie unsere Ideen sich langsam, manchmal ohne dass wir es merken, verändern, wenn wir älter werden, Erfahrungen machen und daraus lernen. Das Album ist eine Art Reise durchs Leben.“
Akustisch hat der Songwriter, der von sich selbst sagt, er habe im Studio selbst zu viele Ideen, um einen Produzenten zu beschäftigen, diesen Trip wie einen langen Fluss arrangiert, der seine Farbe und seine Geschwindigkeit im Wechsel der Jahreszeiten langsam verändert. Die Art und Weise, wie er hier Natur lautmalerisch nachbildet, wie er Wandel und Wiederkehr in die Musik hineinschreibt, das erinnert entfernt an malinesische Folk-und Bluesmusik, wie Ali Farka Touré, Toumani Diabaté oder Boubacar Traoré sie spielen.
„Ich bin ein großer Fan dieser Musik“, sagt Callahan. „Sie erinnert ein bisschen an den amerikanischen Blues, aber sie ist nicht so schwerfällig, eher schwebend, als befände man sich in einem Traum. Ich wollte dieses Mal etwas ganz Ähnliches erreichen. Die Idee war, ein Album zu machen, das man nachts auflegen kann -als das Letzte, was man hört, bevor man schlafen geht. Es sollte entspannt sein, nicht zu laut und misstönend. Die Arrangements folgen dieser Grundidee.“
Am Ende von „Dream River“, als der Erzähler aus seinem Wachtraum in die Realität zurückgekehrt ist, verlässt er die Hotelbar und fährt durch eine Winterlandschaft heim. Im Truckradio läuft ein Interview mit Donald Sutherland, der sich bei allen entschuldigt, die er je geliebt und verlassen hat. „Looong shot of my face“, singt Callahan und hebt zu etwas an, das klingt wie ein Soul-Song: „Oh, I have learned when things are beautiful, to just keep on, ju-u-u-st keep o-oo-on, when things a-a-a-a-a-re beautiful, ju-u-u-st keep on/The blinding lights o-o-o-f the kingdom can make you real.“ Auch wenn er in unseren Träumen ein ewig Reisender bleibt, findet Bill Callahan im echten Leben immer den Weg nach Hause.
„Jeder Ort, an dem du stehenbleibst, kann ein Zuhause sein“