Der Song ist der Hammer
Für ihren letzten Kampf hat Boxerin Regina Halmich eine reiche Musikauswahl - dabei stehen im Genre der Box-Lieder die Triumphe nah bei den Fettnäpfchen
Diese Boxer! Extraharte Posen, toughes Gebaren – und in Wahrheit weich wie Cockerspanielwelpen. Wladimir Klitschko etwa wandte sich vor Jahren an die Band Rammstein und bat um ein würdiges Einlauflied – oder, um den medizinischen Beigeschmack zu vermeiden: einen würdigen Walk-in-Song. Rammstein dachten sich das Lied „Sonne“ aus und richteten es feinsinnig auf die speziellen Erfordernisse einer Einmarschhymne aus: Den heruntergezählten Countdown zu Beginn hätte die ganze Arena mitplärren können, genau bei „Aus!“ hätte Klitschko die Arena betreten, und in dem Moment, in dem er im Ring die Arme hochreißt, wäre der Refrain erklungen, so passend wie die Faust aufs Auge: „Hier kommt die Sonne!“
Ein Jammer, dass es niemals dazu kam: Klitschko lehnte die Auftragsarbeit als „zu hart“ ab – und marschierte in der Folge unter anderem zum angemessen mittelharten „Simply The Best“ von Tina Turner ein. Geschlagen wird diese Wahl wohl nur noch von Super-Mittelgewicht Mads Larsen, der gerne zu „Mama“ von Genesis in die Arena einläuft.
Die amtierende Box-Weltmeisterin Regina Halmich kann über derlei Memmenhaftigkeit nur lachen – sie traut sich ohne Weiteres, Rammstein-Musik im Training anzuhören. „Wenn man beim Boxen an seine Grenzen gehen muss, kann der richtige Song unheimlich helfen. Darum habe ich mir meine Walk-in-Songs auch immer selbst ausgesucht – das soll nicht irgendein Lied von irgendeiner Band sein, sondern etwas mit mir zu tun haben.“
Bei Halmichs voraussichtlich letztem Profikampf am 30. November wird sie wie gewohnt zu einem Lied ihrer guten Freundin Doro Pesch einmarschieren, zu „All We Are“. Obendrein wird Ex-Nightwish-Fee Tarja Turunen dazu den Parade-Schmachter „I Walk Alone“ singen. „Es ist mir wichtig, dass starke Frauen um mich rum sind“, sagt Halmich beim gemeinsamen Interview mit Turunen, „außerdem passt der Text super zu einem Abschiedskampf.“
Allerdings, das zeigt die Vergangenheit, ist es nicht unbedingt von Vorteil, wenn ein Boxer mit einer Eingangsmusik zu stark persönlich verbunden ist. Mittelgewichts-Weltmeister Arthur Abraham etwa marschierte aufgrund der Namensgleichheit mit dem Interpreten gerne zum „Lied der Schlümpfe“ in den Ring (bei WM-Kämpfen von Vader Abraham live gesungen), wobei er zu allem Überfluss noch eine Schlumpfmütze trug, bis ihm die Schlümpfe-Rechteinhaber die Nutzung der Mütze verboten. Abraham, nicht faul, benannte sich flugs in „King Arthur“ um und läuft nun zu einem entsprechenden Instrumental ein. Der ungarische Boxer Zsolt Erdei zieht gerne zum ungarischen Volkslied „Flieg kleiner Vogel“ ein, wobei er stets glänzende Laune zur Schau stellt und allerhand Faxen macht.
Schlimmer als peinliche persönliche Verstrickung ist eine abgeschmackte Einzugshymne – etwa das überstrapazierte „Rocky-Material oder das ebenfalls gern genommene „Carmina Burana“ von Carl Orff, zu dem auch der so genannte Schentelmän-Boxer Henry Maske früher einzog, bis ihm dies Orffs Erben verboten. Die Singles der dann von ihm verwendeten Schmalzereien „Conquest Of Paradise“ (Vangelis) und „Time To Say Goodbye“, Maskes Abschiedssong von Andrea Bocelli, verkauften sich hinterher insgesamt fünf Millionen mal. Was dazu führte, dass Plattenfirmen heute um die Gunst von Boxsportlern buhlen.
Auch wenn ein Walk-in-Song primär dazu dient, „ihn heiß darauf zu machen, gleich einem Typen die Fresse einzuhauen, und dem Typen, dem er gleich die Fresse einbaut, klar zu machen, dass er gleich die Fresse eingehauen bekommt“, wie es ein Boxerblog so hübsch wie prägnant formuliert, setzten in der Vergangenheit doch immer wieder einzelne Boxer auf betont sanfte Begrüßungsmelodien – etwa Lennox Lewis, der Mike Tysons aggressivem „What’s My Name“ (DMX) bewusst das flockige „Crazy Baldheads“ von Bob Marley entgegensetzte. Wrestler Jeff Monson wählte gar das im Kampfsportkontext sensationell absurde „Imagine“ von John Lennon.
Ob betont soft oder extrahart: „Wichtig ist, dass die Musik auf die eine oder andere Art Gänsehaut erzeugt“, sagt Regina Halmich. Allerdings ist es eher das Publikum, das in wohlige Schauder gehüllt werden soll, als sie selbst: „Ich bekomme das Lied wahrscheinlich gar nicht mehr groß mit.“ Obwohl sie selbst auch schon einmal bei einem von Doro Pesch mitgesungen hat („We Are Like Thunder“), käme es für Halmich nicht in Frage, zu einem selbst gesungenen Lied einzumarschieren: „Dafür hätte ich auch zu wenig Stimme.“
Kollegen von ihr waren in diesem Punkt weniger schüchtern: Max Schmeling sang sein „Herz eines Boxers“ noch eher unfreiwillig ein, da die Vertonung des Stummfilms „Liebe im Ring“ erst nachträglich beschlossen wurde. Rene Weller hingegen tänzelte bereits zu seinem selbst gesungenen „Ich bin wieder hier“ in Richtung Ring, leider nicht mit dem ebenfalls von ihm gesungenen, textlich vielversprechenden „Wach auf („Ich träum von ’ner Frau, die mich liebt und mich ehrt/Mich streichelt, mich küsst und begehrt/ Was immer ich tu, sie steht dazu/ Sie ist die Schärfste in der ganzen EU“). Mitunter trällerte auch schon Wellers singender Anwalt ein notdürftig umgedichtetes „My Way“.
Letztendlich, sagt Tarja Turunen, sei es ganz einfach: „Ein Boxer braucht vor dem Kampf Kraft, er braucht Power. Am besten lässt sich das über Bombast transportieren.“ Ein bisschen ließe sich die Situation vor dem Einmarsch in den Ring mit dem Gefühlen eines Künstlers vergleichen, der gleich hinaus auf die Bühne müsse – „oder, im Leben normaler Menschen, mit dem Moment, bevor man den Gang zum Traualtar betritt“.
Regina Halmich indes hält so kurz vor dem großen Termin nicht viel von derlei theoretischen Überlegungen und knockt die leidige Musikfrage mit einem einzigen, weisen Satz aus: „Es nützt der beste Song nichts, wenn danach ein Scheißkampf kommt.“