Der scheue Vogel
Terrence Malick, der Regisseur des Meisterwerks „The Tree Of Life“, bleibt einer der großen Unsichtbaren des US-Kinos. Eine Annäherung.
Bei den Filmfestspielen in Cannes blieb Terrence Malick seinem Ruf als berühmtester Unsichtbarer des Weltkinos seit Stanley Kubrick treu. Der Verleihung der Goldenen Palme für „The Tree Of Life“ blieb der 67-Jährige erwartungsgemäß fern. Mit einem Filmjournalisten hat Malick zuletzt 1973 gesprochen. „Wie ist er denn so?“ lautete dann auch eine Frage, die Brad Pitt von Henri Béhar, dem Moderator der Pressekonferenz in Cannes gestellt wurde. „Stellvertretend für uns alle, die wir ihn nie gesehen haben: Redet er viel? Lacht er? Nimmt er Nahrung zu sich?“ Fragen, die Pitt ein für alle Mal klärte. „Ja, und er geht sogar auf Toilette.“
Der Unsichtbare ist selbstverständlich ein ganz normaler Zeitgenosse. Franka Potente etwa erzählte mir oft von den anregenden Gesprächen mit dem Regisseur, der zum Freund geworden war, als er sie für sein Che-Guevara-Projekt besetzt hatte. Später übernahm dann Steven Soderbergh die Regie. Wie nur wenigen Filmemachern scheint es Malick zu gelingen, dieses Familiäre in die Dreharbeiten zu überführen. Wenn es einen geheimen Wertstoff gibt, den Malick in seine Filme rührt, dann ist es das Private. „Seine Art zu drehen ist eine ganz andere“, bestätigt Brad Pitt. „Normalerweise ist das ja ein riesiger Aufwand mit hundert Leuten um uns herum. Da gibt es dann eine Gewerkschaft für das Licht, verschiedene für die Fahrer. Bei ihm sieht das anders aus: Da war überhaupt kein Licht und nur ein Mann mit einer Kamera. Wir durften überallhin, es gab viele Laienschauspieler, und die Kinder durften kein Drehbuch lesen. Dafür hatten sie ihren eigenen Schrank und durften selbst entscheiden, was sie in einer Szene anziehen wollten. Und das Drehbuch benutzt er nur als Skizze. Wir mussten uns ganz nach den Kindern richten.“
Die 30-jährige Schauspielentdeckung Jessica Chastain verbrachte gerade eine ihrer langen Drehpausen mit den Filmkindern, als Malick, der eigentlich eine andere Szene drehte, einen riesigen Schmetterling erspähte. „Er rief:, Stop, filmt den Schmetterling! Jessica, lauf zum Schmetterling.‘ Und warum auch immer landete er auf meiner Hand. Ich weiß nicht, wie er das schafft, aber er benutzt keine Digitaleffekte oder falsche Schmetterlinge. Wenn man offen ist und frei, findet man sie. Es ist eine zentrale Szene im fertigen Film.“ Anders als bei seinen früheren Filmen kann man bei Malicks jüngstem Werk allerdings auch den Eindruck bekommen, der Impressionismus habe den Film geradezu überwuchert – und den erzählerischen Kern in den Hintergrund gedrängt.
Stets geht Malick in die Vollen, spielt Smetanas „Moldau“ und Bachs „Toccata und Fuge“. Und immer wieder blendet er auf das Lebenssymbol, das seinem Film den Titel gibt: den Baum des Lebens – auch wenn sich in seinem Schatten ein genau besehen recht hölzern inszeniertes Familiendrama abspielt, in dem selbst ein Brad Pitt seltsam verloren wirkt. Doch bei allem visuellen Überschuss ist es ein Film, der keinem gleicht, den es schon gibt – was auch die Goldene Palme verdient erscheinen lässt.
Gerne hätte man den Regisseur zur Entwicklungsgeschichte eines so komplexen Werks, die ihren Anfang bereits 1978 nahm, befragt. Doch diese Möglichkeit wird es wohl niemals geben. Er tauchte zwar 2005 mal unangekündigt bei einer Berlinale-Retrospektive auf und plauderte über sein Meisterwerk „Badlands“ von 1971, aber das war wohl ein einmaliger Glücksfall. Selbst bei seinem ersten – und bisher einzigen – öffentlichen Interview 2007, während des Filmfestivals in Rom, wollte er nichts über sein eigenes Werk verraten und hatte sich erbeten, ausschließlich zur italienischen Filmkultur befragt zu werden. Die gewitzten Moderatoren präsentierten daraufhin sorgsam ausgewählte Szenen, die Malicks eigener Ästhetik ähnelten. Einen Volltreffer landeten sie mit Fellinis Komödie „Der weiße Scheich“ über eine Liebe am Rande des Shootings zu einem der in den 50er-Jahren in Italien überaus populären romantischen Fotoromane. „Die hyperrealistische Art, wie Natur hier präsentiert wird, mit den vielen Bäumen und Vögeln spricht mich wirklich an“, bekannte Malick. „Sie bringt so viel mehr Unschuld in die Szene und symbolisiert die Reinheit des Mädchens und seine Annäherung an die Welt, die noch unverdorben wirkt. Die überromantische Natur symbolisiert die Hoffnungen der Menschen aus der Provinz, die sie mitnehmen in die große Stadt.“
Die Malick-Gemeinde schien dem erhofften Augenblick denkbar nahe, den Meister endlich über das eigene Schaffen reflektieren zu hören – kennzeichnet doch die Naturromantik sein Werk mehr als alles andere. Auch die Moderatoren frohlockten und setzten nun alles auf eine Karte. Sie wurden vertragsbrüchig – und konfrontierten den Regisseur mit Szenen aus seinen Filmen „Badlands“ und „The New World“. Der Regisseur blieb gefasst, doch es verschlug ihm zusehends die Sprache. „Badlands“, bekannte er, habe er seit seiner Entstehung mehr als drei Jahrzehnte zuvor nicht mehr gesehen. Die Begriffe, die sich in seinem Credo, wie an diesem Nachmittag formuliert wurde, mehrfach wiederholten waren „Unschuld“ und „Reinheit“. Und die Sehnsucht, die er stellvertretend am Fellini-Star Alberto Sordi festmachte: „Er gibt mir das Gefühl, wieder ein kleiner Junge sein zu wollen.“
Kaum eine Stunde dauerte das Interview in Rom, doch mancher wünschte das Ende wohl schon etwas früher herbei. Da war nun Terrence Malick, der Naturfreund und Hobby-Ornithologe, der flüchtigste aller Regisseure, zum Greifen nahe. Und glich dabei selbst einem Vogel im Käfig. Daniel Kothenschulte