Der Renner gegen Brenner

Nach dem Ende von Napster und hastigen Versuchen der Plattenindustrie, illegalen Downloads und der Brennerei Einhalt zu gebieten, hat Universal nun mit "Popfile" ein Angebot im Online- verkauf gestartet.

Die PopKomm in Köln. Seit jeher nicht ganz zu Unrecht verschrien als eitles Trinkgelage der Plattenindustrie nebst ihrer Bagage und nur selten für die Entdeckung neuer Trends und Konzepte gelobt Doch das diesjährige Branchentreffen hat an luxuriöser Unbekümmertheit deutlich verloren. Ringsum herrscht Ernüchterung ob der katastrophalen Umsatzeinbrüche und einer immer unsicherer erscheinenden Zukunft. Kein Wunder also, dass der Messe diesmal eine besondere Bedeutung zukam.

Das dominierende Thema auf den vielen Kongressen: Mit welchen Mitteln kann der digitale Markt in Zukunft beackert und in die Gewinnzonen getragen werden? Denn dass dieses Land noch weitestgehend brach liegt, ist das unbestrittene Damoklesschwert der Musikindustrie. Die Einrichtung von kostenpflichtigen und dabei gleichzeitig attraktiven Online-Musikportalen schien zum unlösbaren Problem zu werden. Von allen Seiten hagelte es lediglich theoretische Partituren für eventuelle Zukunftsmusiken. Der beste Beweis: Das Joint Venture „MusicNet“, immerhin unterstützt von BMG, EMI, AOL Time Warner und Real Networks, hat bis heute keinen Termin für einen deutschen Ableger bekannt gegeben. Working on it, wie es heißt. Wann auch immer.

Ganz gegen diesen stagnierenden Trend hat es Universal Deutschland trotzdem besser gemacht. Deren lang angekündigtes Online-Musikportal „Popfile“ eröffnete termingerecht am 9. August des Jahres seine interaktiven Pforten. Beim öffentlichkeitswirksamen Startschuss mit dabei: Gerhard Schröder, der gutgelaunte Medienkanzler, der gemeinsam mit Universal-Chairman Tim Renner, dem gutgelaunten Medien-Plattenboss, das digitale Eröffnungsband durchschnitt. Der passende Werbespruch: „You Better Popfile.de.“ Eine selbstbewusste Ansage. Doch Renner hat durchaus Grund, auf sein Portal stolz zu sein. Unter der Adresse www.popfile.de findet sich, zusammengefasst gesprochen, eine etwas unübersichtlich gestaltete Musikplattform, von der sich die potenziellen Nutzer für zunächst einheitliche 99 Cent pro Titel rund 5000 Stücke aus dem Universal-Katalog runterladen können.

Popfile bietet dabei neues und relativ populäres Material an. Die neue Single von den No Angels? Wer die wirklich haben will, kein Problem! Aber auch die Nebenweltler Element Of Crime sind bereits mit einigen Titeln gelistet Irgendwann, so die weiteren Pläne in Berlin, soll das komplette Material von Universal inklusive gestrichener Titel verfügbar sein. Das Brennen von CDs ist ausdrücklich erlaubt; die Dateien im Microsoft WMA-Format sind zwecks Sicherung der Urheberrechte allerdings mit einem digitalen Wasserzeichen versehen. Eine Weitergabe zwischen verschiedenen Rechnern soll so verhindert werden.

Anmeldung und Bezahlung gestalten sich eher unkompliziert. Wer Popfile will, kann es auch problemlos haben. Allerdings zu den Spielregeln des Anbieters.Denn auch das ist klar: Die Zeiten der großen illegalen Musiktauschbörsen a la Napster sind vorbei. Spätestens die überraschend schnelle Schließung des Napster-Nachfolgers Audiogalaxy hat gezeigt, dass weder die Plattenindustrie noch die Gerichte gewillt sind, sich weiterhin auf monatelange Verfahren einzulassen.

Napster hat dennoch bei vielen Surfern das optimale Modell eines interaktiven Plattenladens definiert. Der Service war verhältnismäßig schnell, kostenlos, einfach zu bedienen, die Breite des Angebots selbstredend unschlagbar. Tim Renner sieht sich trotzdem nur wenig im Nachteil. „Napster gibt es ja nicht mehr. Wir treten also nur gegen Tauschbörsen wie Kaazaa an. Popfile ist auf jeden Fall schneller und zuverlässiger im Download und hat auch eine viel höhere Qualität des Sounds.“ Und weil in den genannten Restbörsen auch immer häufiger gefälschtes und unbrauchbares Material rotiert, „habe ich bei uns die absolute Garantie, dass ich wirklich das bekomme, was ich haben möchte. Außerdem sind die User auch juristisch auf der sicheren Seite“.

Ein kritischer Punkt bleibt die Preissetzung. 99 Cent pro Song sind, so zumindest die wenig überraschende Meinung in den einschlägigen Webforen, eben noch immer teurer als kostenlos. Renner lässt den Einwand nicht gelten: „Ich glaube nicht, dass wir zu teuer sind. Die ersten Reaktionen zeigen, dass wir mit diesem Pauschalpreismodell genau den Nerv getroffen haben. Die Nutzer können diesen Betrag nachvollziehen. Auch wenn 99 Cent natürlich immer viel teurer als umsonst sind.“

Viel Luft nach unten dürfte Universal anfänglich auch nicht haben. Die Bestreitung neuer Geschäftsfelder erfordert zunächst immer ein gewisses Risikokapital – ob und wann dieses je wieder eingespielt werden kann, ist immer die unsichere Determinante. „Ich persönlich denke“, so Renner, „dass sich Popfile ab ca. 1,5 Millionen Downloads rechnen wird.“ Langfristig sollen auch Remixes und rare bis unveröffentlichte Lieder angeboten werden. Wenn sich dann mit der Zeit eine diversifizierte Angebots- und Nachfragestruktur etabliert hat, soll das noch starre Preismodell flexibler werden. „Es war wichtig, mit einem möglichst einfachen Preismodell zu starten. Später können wir da variieren: Manches kann günstiger werden – und exklusivere Titel können natürlich auch etwas mehr kosten.“

Dass sich das Runterladen ganzer Alben für den Nutzer finanziell noch nicht lohnt, weiß auch Tim Renner und schielt zunächst auf ein anderes Marktsegment „Der Single-Bereich ist der aktuell interessanteste. Ein ganzes Album digital zu erwerben, dauert tatsächlich noch recht lange und rechnet sich auch nicht wirklich. Aber einzelne Songs für je 99 Cent zu erwerben ist eine gute Ergänzung sowohl zu Maxi-CDs als auch für den Compilation-Bereich.“

Das Ergebnis der Anlaufphase stimmt den redegewandten Manager zuversichtlich. „Wir haben bisher sehr viele positive Reaktionen bekommen. Der Ansturm auf den Server war überwältigend.“ Bis jetzt haben sich schon mehr als 35 000 zahlende Kunden angemeldet Gemessen an den rund 300 000 Surfern, die das Portal bereits abgerufen haben, wohl eine noch zu geringe Quote. Angst, sich mit seinem innovativen Vorstoß am Markt eventuell nicht durchsetzen zu können, hat Renner trotzdem nicht. „Ein Scheitern kann ich mir nur dann vorstellen, wenn wir es auf Dauer nicht schaffen sollten, alle Angebote der Labels unter ein großes gemeinsames Dach zu kriegen. Denn: Mir als Konsument geht es darum, meinen Künstler bei einer einzigen Plattform zu finden, statt mir davor überlegen zu müssen, bei welchem Label er unter Vertrag ist“

Keine Frage, Tim Renner hat die Grundproblematik verstanden. Und möglicherweise doch ein paar Aspekte übersehen. So dürfte die offenkundige Ausrichtung auf die Viva konsumierende und SMS schreibende Generation für höhere Altersschichten recht abschreckend wirken. Auf Popfile wird ungefragt kumpelhaft geduzt; es werden die „neuesten Tracks des kessen Berliner Duos Rosenstolz“ beworben. Liebhaber anspruchsvollerer Musik legen jedoch erfahrungsgemäß großen Wert auf ein entsprechendes niveauvolles Umfeld. Doch anstelle einer etwas neutraler ausgelegten Kommunikationspolitik soll der verwunderte Surfer „fünf absolut coole Skateboards“ gewinnen. „You Better Popfile.de“ – zunächst wohl nur im Jugendzimmer.

Nicht zu unterschätzen ist indes auch ein anderes Versäumnis. Linux- und Macintosh-Anwender können Popfile derzeit nicht nutzen, weil die dafür notwendige Software auf diesen Systemen noch nicht lauffähig ist. Zwar gibt es prozentual deutlich mehr Anwender, die unter Windows arbeiten. Doch gelten die Linux- und Macintosh-Gemeinden schon lange als Meinungsführer, wenn es um die Bewertung neuer Technologien geht. So wäre es kaum verwunderlich, wenn sich unter diesen zumeist gnadenlos hämischen Nutzern der Begriff vom „Flopfile“ etablieren würde.

Fraglich ist auch, wie das etwas locker gewordene Rechtsbewusstsein der Internet-Gemeinde wieder in den Griff zu bekommen ist. Renner gibt sich verständnisvoll: „Mal ehrlich: Bis jetzt gab es praktisch keine legalen Alternativen zum Download bei besagten Börsen. Was blieb mir also übrig, als es illegal zu tun? Jetzt gibt es diese Alternativen endlich, und wir glauben, dass sich damit sicher der ein oder andere endlich in der Lage sieht, für seine Musik fair zu bezahlen. Wir können das aber nur dann schaffen, wenn wir uns bei den Nutzern eine hohe Sympathie schaffen. Seinen Lieblingshändler beklaut man nicht.“ Und wenn ein Kunde mit seinen erworbenen Dateien doch Schindluder treibt? „Den würden wir zunächst einmal abmahnen. Ich ordne solche Vergehen wie einen Bagatelldiebstahl im Kaufhaus ein.“

Über die wirtschaftlichen Folgen der digitalen Revolution sind die Fachleute uneins. Das Marktforschungsinstitut Forresters Research kommt zu dem Schluss, dass nicht die Downloads aus dem Internet, sondern hauptsächlich die schlechte wirtschaftliche Lage sowie Konkurrenzprodukte wie die DVD für den Rückgang bei den CD-Verkäufen verantwortlich sind. Die Zukunft der Online-Services sieht Forresters jedoch rosig. Bereits 2004 könnten sie für einen erheblichen Aufschwung im Musikmarkt sorgen.

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