DER PUNK GEHT (WIEDER) AB

Zwei Jahrzehnte lang bestand Punk aus dem Slogan „No Future“ auf Häuserwänden und ein paar jungen Pennern (an der Leine von Schäferhunden) in Fußgängerzonen, die nach ’ner Mark fragten. Am Ende waren es nur noch die Penner und die Schäferhunde, denn das mit der Zukunft hatte sich für sie endgültig erledigt. Punk kam öffentlich nur noch in der notorisch falschen Form „Punker“ vor, bei der bürgerlichen Presse so beliebt wie das verwandte und ebenfalls falsche „Looser“. Irgendwie mochten wir die Punks nicht, denn sie hatten immer diese affigen Frisuren, hässlichen Klamotten und offenkundig nichts zu tun, und außerdem warnten unsere Eltern vor ihnen. Die Punks waren die geworden, gegen die sie angetreten waren: Gammler. Und Hippies saßen immerhin nicht auf den Straßen herum, wenn nicht gerade demonstriert wurde.

Vermutlich wussten die Punks der späten Jahre genauso wenig wie wir, wer Vivienne Westwood war, Malcolm McLaren und wie das alles angefangen hatte. „Never Mind The Bollocks“ kennt jeder, aber kaum einer liebt diese Platte, denn die Sex Pistols waren wichtig nur mit ihren Singles, rotzig, lärmend und verdammt schnell. Und ebenso schnell verglühte die Band, während Brinsley Schwarz heute neu aufgelegt werden und Elvis Costello als Gelehrter gilt. Allerdings gibt es nun auch die Pistols in einer offiziellen CD-Box für Sammler mit dem Feinsinn von Franz Schöler, die gern jedem gedoppelten Ton nachspüren — ein Mordsspaß bei Pointillisten wie den Pistols. Damit wird natürlich die Idee des Punk verraten.

Damit wird der Punk aber auch bestätigt: Nach 25 Jahren werden die Sex Pistols ebenso eingesargt und verboxsettet wie Velvet Underground und Dean Martin. Nur die Songs reichen einfach nicht: immer wieder „Anarchy In The U.K.“, immer wieder „Pretty Vacant“. Und, zum Thronjubiläum, „God Save The Queen„, das heute keinen Deut weniger wahr und lustig ist als ehedem. Auf der Compilation „Jubilee“ kann der Nachgeborene die tollen Songs knapp und schmissig nachhören — und auf dem Cover fällt einer dieser Bärenfellmützen-Guards, die der Hofberichterstatter Rolf Seelmann-Eggebert fünf Stunden hintereinander im Fernsehen besingt, zu Boden.

Die britische Musikpresse, bestimmt nicht königstreu, hielt von diesem Jubiläum gar nichts, eben weil Punk nicht wie ein Produkt und auch nicht wie ein Ausstellungsstück behandelt werden kann. Doch Ausstellungen gibt es jetzt, in Deutschland wird ein Film gedreht, der auf Jürgen Teipels Bericht „Verschwende Deine Jugend“ basiert, und vor allem gibt es wieder Bands, die ähnlich laut, spitz und sardonisch sind wie damals The Clash, Buzzcocks und Wire. Sie heißen The Strokes, The Hives, The Vines und The Libertines —und auch, wenn sie wie die Strokes aus New York stammen, sind ihr Habitus und ihre Musik doch zum guten Teil dem Punk geschuldet. Vom Jungsein handeln die Songs und vom Dagegensein — nicht dagegen sein wie die Gewerkschaft, sondern dagegen aus Prinzip. Wir gehören nicht dazu, sagen die Strokes mit jedem Ton, und „New York City Cops“ war ein gu-ter Song für die lässige Geste dieser Burschen: „They ain’t too smart.“ Daran änderte auch der 11. September nichts.

Die Strokes waren die beste Band des letzten Jahres mit der besten Platte, aber sie waren erst der Anfang. Andere, in England verehrte Bands sind im Land der Toten Hosen noch nicht bekannt oder noch gar nicht veröffentlicht worden. Es ist egal, ob man die Hives oder die Vines für überschätzt hält wie früher die Bands des Britpop — die Garage ist jetzt wieder der genuine Ort der Musikentstehung. So wie Punk die Reaktion war auf Pomp & Circumstance, so reagiert die neue Schmuddeligkeit auf die Produktionsexzesse von HipHop, R&B und New Metal. Dabei geht es nicht um England gegen Amerika, sondern um das Anarchische gegen das Artif izielle, das Wüste gegen das Verzopfte, das Stürmende gegen das Saturierte. Wenn allenthalben, gerade in der Musikindustrie, gespart und reduziert werden muss, dann ist diese Entwicklung nur logisch. Während Dinosaurier wie Roger Waters und Joe Cocker zu aberwitzigen Eintrittspreisen in Hallen auftreten müssen, die sie längst nicht mehr füllen, spielen die Strokes im Club um die Ecke, weil „Is This It?“ zwar ein respektabler Erfolg war, aber keiner über Nacht.

Seit dem Ende von Nirvana hat man auf dieses Gewitter warten müssen — und Bands wie Pearl Jam waren eher Teil des Problems als dessen Lösung. Der brachiale Furz-, Gewalt- und Jammerlappen-Rock dominierte die letzten fünf Jahre, Die neue Welle wird tätowierte Einfaltspinsel nicht sofort wegspülen. Aber warten Sie auf die Libertines!

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