Der Punk der Provinz
Am 23. April läuft die Verfilmung von Rocko Schamonis Jugenderinnerung Dorfpunks in deutschen Kinos an.
„Kennst du Domenicar“, fragt Rocko Schamoni und zeigt mit einer Kopfbewegung auf eine Kirche oberhalb der Hamburger Hafenstraße. „Dort wird sie gerade beerdigt.“ Einige Meter entfernt von St. Paulis Gotteshaus, wo der Kiez um seine bekannteste Hure trauert, liegt der „Golden Pudel Club“. Mitte der 90er Jahre hatte Schamoni mit Sänger Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen die Kaschemme eröffnet, in der oft Hamburgs junge Musikszene um Tocotronic abhing. Noch heute werden dort Konzerte und sogar Lesungen veranstaltet. Das kleine, immer schon irgendwie schief anmutende Haus mit Spitzdach ist ein schmuddeliges, skurriles Überbleibsel. Umgeben von einer Art Bauzaun, scheint es eher unter Quarantäne statt Denkmalschutz zu stehen. Kürzlich wurde es renoviert, sagt Schamoni, in Eigenarbeit. Nun strahlt es trotzig gegen die sanierten und modernen Bauten am Fischmarkt an.
Hier wollen wir über die Verfilmung von Schamonis autobiografischem Roman „Dorfpunks“ reden, doch der Raum wird gerade für eine Party hergerichtet. Nicht mal einen Kaffee gibt es für den Chef. Im M inivan von Regisseur Lars Jessen ziehen wir in Schamonis Wohnung im Schanzenviertel weiter. Nebenan an der Ecke, erzählt Schamoni, war einst sein erster „Pudel Klub“ untergebracht. Bis die Abrissbirne kam. In dem kühlen Neubau ist heute ein Cafe, aus dem wir unseren Cappuccino mitnehmen. Schamoni wohnt fast unter dem Dach, und wer mit ihm einen schrillen Künstlertypen assoziiert, wird überrascht sein: Aufgeräumt, geschmackvoll normal, fast gediegen ist die Wohnung. So lebt man, wenn man über 40 ist.
Nach Kunststudium, wechselnden Namen, zehn Alben in 20 Jahren ohne Hit, aber Erfolgen mit Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“) bei der Komikertruppe Studio Braun, diversen Theaterproduktionen, Film- und Serienauftritten sowie drei Romanen ist Rocko Schamoni im Kulturbetrieb längst mehr als eine Hamburger Stadtgröße. Nun ist seine 2005 veröffentlichte Jugenderinnerung „Dorfpunks“ fürs Kino verfilmt worden. In Gestalt des Schulabbrechers, Töpferlehrlings und Punks Roddy Dangerblood schildert Schamoni die Erlebnisse, Träume und Konflikte mit seiner ersten Band in einem Provinzort an der Ostsee in den Achtzigern. Buch wie Film leben vor allem von den tragikomischen Anekdoten über verkorkste erste Konzerte, Frustsaufen und ebenso flammende wie naive Dispute der vier halben Knaben über Stil oder Anspruch. Verglichen mit der anarchischen Oper, die Studio Braun aus „Dorfpunks“ für das Hamburger Schauspielhaus gemacht hat, bleibt die Filmversion recht brav- trotz brennender Strandkörbe und Erbrochenem auf dem elterlichen Wohnzimmerteppich.
Doch Jessen und Produzent Florian Koerner („Die innere Sicherheit“, „Jerichow“), der schon als Schlagzeuger der Berliner Band Mutter mit Schamoni bekannt war, hatten auch keine Satire im Sinn. „Unser Film handelt von einer konkreten Lebensphase und Haltung“, erklärt Jessen, der nach dem Filmstudium lange fürs Fernsehen („Großstadtrevier“) gearbeitet und 2005 mit seinem Kinodebüt „Am Tag als Bobby Ewing starb“ seine eigene Jugend in einer Oko-Kommune verarbeitet hat. „Die Achtziger waren ja ein langweiliges Jahrzehnt. Aber es war unsere Jugendzeit. Ein Lebensabschnitt, in dem man das Gefühl hat, dass alles möglich ist und man nur weg will aus der Provinz. Das geht heute 17-, 18-Jährigen ebenso. Der gemeinsame biografische Kontext hat uns in diese Zeit zurückgeführt, deshalb wollten wir die Geschichte auch nicht indie Gegenwart übertragen.“
Bei der Entwicklung des Drehbuches hat sich Schamoni dann rausgehalten, auch im Film ist er nicht dabei, obwohl für ihn anfangs eine kleine Rolle geplant war. „Es geht im Film ja nicht um mein Leben, sondern um vier junge Punks auf dem Land, um archetypisches Verhalten und um die Möglichkeit, für sich selbst Freiheit zu definieren“, so Schamoni.
Rocko, wenn Du jetzt zurückblickst: Hast Du Deine Definition von Freiheit verwirklicht?
Ich bin wirklich so frei geworden, wie ich wollte. Ich habe alles erreicht, bin beruflich und finanziell unabhängig, kann machen, -was ich will. Und trotzdem bin ich total gefangen und geknebelt. Ich muss immer an .Absolut nicht frei“ von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs denken. Freiheit ist nur ein Moment.
Also ist Freiheit auch eine Idee, die sich so nicht erfüllen muss – vor allem für Jugendliche?
Es ist ein sehr verlustreicher Weg. Aber der Moment, in dem du glaubst, dass dich keiner aufhalten kann, und in dem du in die Welt gehen kannst, ohne dass dir jemand sagt, dass du zurückkommen musst, ist ein ganz großer Schritt im Leben. Danach habe ich vieles anders gemacht, aber unter dem freiheitlichen Aspekt war dieser Schritt für mich entscheidend.
Als die Band zerbricht und damit auch die Hoffnungen, ist das vergleichbar mit dem Ende der ersten großen Liebe?
Das war eine immense Enttäuschung. Die Band war mir fast wichtiger als meine leibliche Familie, und ich dachte damals tatsächlich, wir würden für immer zusammen bleiben. Und dann sind sie alle nach Hamburg abgehauen und ihre eigenen Wege gegangen.
Warum bist Du dann selbst nach Hamburg?
Weil ich der Letzte war. Ich war gezwungen, Lütjenburg zu verlassen. Ich weiß nicht, woran’s liegt: Aber aus diesem Kaff sind im Verhältnis viele Künstler hervorgegangen.“
In der Band gibt es zwischen dem Sänger und Roddy laufend Differenzen um die Frage, was wirklich zählt: inhaltliche Relevanz oder einfach Spaß?
So kommt einem Punk im Rückblick wie eine Mischung aus Verheißung und Missverständnis vor.
Ja, das war das Drama, an dem wir zu knapsen hatten. Wir waren damals im Punk schon die Spätgeborenen. Die erste Generation hatte es einfacher, die war in ihrer Haltung noch sehr klar. Wir fanden das aber zu starr und wollten es gerade in den Anfangszeiten des Fun-Punk durchbrechen. Es war der Versuch, eine moralische, auch politische Haltung zu zeigen und trotzdem Spaß zu haben. Daran wären wir beinah zerbrochen. Manhat uns schwer akzeptiert, aber andererseits waren wir mit unserem Anspruch mehr als nur Clowns. Daraus haben sich danach um die Goldenen Zitronen und Toten Hosen heftige Debatten entwickelt.“
Wie Bela B. oder Campino bist Du ja durch Film-und Theater-Projekte dem Punk entwachsen. Hast Du letztlich nicht doch eine bürgerliche Karriere gemacht?
Nee. Es kommt darauf an, wie man es macht. Ich habe ja keinen richtigen Beruf, bin nicht angestellt. Ich mache, was mich interessiert, spinne wild herum, alles immer parallel.
Aber ihr werdet heute doch anders wahrgenommen und habt ein breiteres Publikum, das man durchaus zur bürgerlichen Mitte zählen kann.
Das stimmt. Und manchmal ist es auch komisch, wenn ich denke: Dürfen wir jetzt auch für alle spielen? Aber sie kommen halt. Deshalb können schon einige behaupten: Ihr seid dort angekommen, wo ihr nie hin wolltet.
Wenn etwa Timbaland anruft und mit Dir einen Song produzieren will, fliegst Du dann nach New York?
Auf gar keinen Fall. Denn er wird sich verhört haben müssen – ich hätte ihm nichts zu bieten. Aber würde mich AI Green anrufen, würde ich sofort losfahren.
Dann brauchte er eine sehr lange LeitungJa, aber sonst halte ich es mit Joseph Beuys: Meine Füße werden amerikanischen Boden nicht betreten. Obwohl ich extrem von amerikanischer Musik abhängig bin. Soul ist mein Ding. Aber ich habe ein Problem mit der Moral der Amerikaner und vielem, was an Kultur von dort hier angeschwemmt wird. Alles dreht sich um Pappe. Das ist für mich die Pest.
Roddy würde jetzt vermutlich sagen, das ist Stalin-Scheiße.
Roddv hat auch keine Ahnung.