Der Punk beginnt hier
Im Juli 1976 brachten die Ramones den Punk nach London. Ihr damaliger Manager Danny Fields erinnert sich und zeigt bisher unveröffentlichte Fotos. Fotos von Danny Fields * Protokoll von Torsten Groß
1976 Pioniere
Die Londoner Ramones-Konzerte am 4. und 5. Juli 1976 waren eine Idee von Fields‘ Partnerin Linda Stein und ihrem Mann, dem Plattenmogul Seymour Stein (4). Nach der Landung in Heathrow (1) waren die Musiker erschöpft – keiner von ihnen war je zuvor geflogen. Vor dem Roundhouse warteten schon Fans (2). Nach dem Konzert im Vorprogramm der Flamin‘ Groovies wurde es spät, unter anderem machte Paul Simonon von The Clash (5, links) seine Aufwartung. Später schlug der Jetlag zu: Keiner konnte schlafen, Fields schlug einen Spaziergang im Hyde Park vor (7). Am nächsten Abend spielten sie im Dingwalls. Man erkennt am Outfit der Zuschauer (3): Punk-Style war jenseits der King’s Road noch unbekannt. Schließlich die Abfahrt ins Hotel (6).
’76-’77 Erntezeit
Im Rahmen der Roundhouse-Show gab es „Beat On The Brat“-Baseballschläger zu kaufen (1), die heute ein Vermögen wert sind, und hinter der Bühne posierten die Ramones mit Protagonisten der Szene wie Rat Scabies von The Damned (2, M.) und Chrissie Hynde (2, l.). 18 Monate später spielten die Ramones dann im Rainbow in London ein Silvesterkonzert (Foto auf Seite 50/51) – und die Welt war eine andere geworden: Der Siegeszug des Punk schlug sich im Aussehen der Zuschauer nieder (3), Das Konzert diente als Grundlage für das legendäre Live-Album „It’s Alive“.
’77 Der Adept
Beim zweiten London-Besuch war die Backstage-Punk-Celebrity-Dichte gestiegen. Sid Vicious (l.) bewunderte Dee Dee Ramone (hinten rechts) und imitierte ihn. Dass der Sex Pistol seine Freundin Nancy Spungen (vorne rechts) umgebracht haben könnte, hält Danny Fields für unmöglich: „Dafür war er zu nett, er hat sie geliebt.“
’76 Bruderhilfe
Wegen der hohen Reisekosten konnten die Ramones 1976 nur einen Techniker mitnehmen: Joey Ramones (l.) Bruder Mitchell (r.) hatte sich bereits bei vorangegangenen Konzerten als Gitarren-Roadie bewährt. „Für Joey war es gut, dass Mitchell da war“, erinnert sich Danny Fields. „Er war generell extrem unsicher, hatte Probleme mit seiner Größe und versuchte immer, sich unsichtbar zu machen. Deshalb hat es ihm gutgetan, so fern der Heimat seinen Bruder dabeizuhaben.“ Hinter der Bühne tranken die Ramones übrigens nichts Stärkeres als Bier. Die krasseste Rockstar-Aktion in London? „Sie wollten Burger mit Ketchup haben“, so Fields. „Gibt’s heute überall, aber damals? Vergiss es! Fündig wurden wir im Stammlokal von Prinzessin Margaret.“
Mitte der Siebziger arbeitete ich als Journalist für die „Soho News“, eine damals sehr hippe Downtown-Zeitung, die im Max’s Kansas City und allen anderen wichtigen Läden auslag. In meiner wöchentlichen Rock’n’Roll-Kolumne schrieb ich über Television und all die anderen neuen Bands.
Deshalb rief der Ramones-Schlagzeuger Tommy Ramone mich regelmäßig an und schickte mir Flyer von den Auftritten der Ramones. Ich kannte sie nicht, aber sie waren so hartnäckig, dass ich eines Abends hinging, um sie mir anzusehen. Das Konzert war an einem Dienstag, und es waren nur 19 Leute da. Das CBGB war damals alles andere als ein angesagter Laden. Bands wie die Patti Smith Group oder die Ramones konnten dort spielen und sich langsam eine Gefolgschaft aufbauen x{03a9} im Prinzip waren das öffentliche Proben vor einer Handvoll Freunde.
Trotz der geringen Zuschauerzahl hauten sie mich um. Nie zuvor hatte ich eine Band so schnell spielen sehen, es war großartig! Danach fragten Tommy und Dee Dee, ob ich sie in meiner Kolumne erwähnen würde. Ich erwiderte, dass ich sie lieber managen würde. Daraufhin Johnny Ramone: „Wir brauchen 3.000 Dollar für ein neues Schlagzeug. Wenn du das Geld auftreibst, darfst du uns managen.“
Am nächsten Tag flog ich zu meiner Mutter nach Florida und lieh mir die 3.000 Dollar. Zurück in New York, rief ich Linda Stein an, eine gute Freundin, und bat sie, sich die Band mit mir zusammen anzusehen und ihren Mann Seymour mitzubringen, der eine Plattenfirma hatte. Linda war die geschmackssicherste Person der New Yorker Szene. Ich wusste: Wenn sie so begeistert von den Ramones sein würde wie ich, hatte ich die richtige Entscheidung getroffen. Linda und ich teilten uns daraufhin das Management der Ramones, die einen Deal bei Seymour Steins Sire-Label unterschrieben und somit die erste Band aus der Downtown-Szene mit einem Plattenvertrag waren.
Das Besondere an den Ramones war, dass sie bereits in jeder Hinsicht fertig waren – musikalisch, vom Auftreten her, was den Style betrifft. Wir mussten nur etwas daraus machen. Die größte Schwierigkeit bestand darin, ihnen Shows zu verschaffen. Während ich froh gewesen wäre, sie in Boston oder Philadelphia auftreten zu lassen, kamen Linda und Seymour mit der absurd erscheinenden Idee an, die Band nach London zu bringen.
Bei näherer Betrachtung ergab das durchaus Sinn: Der Vorteil war, dass sich aufgrund der geringen Größe des Landes und der guten Infrastruktur sämtliche Neuigkeiten in Windeseile verbreiteten. Alles, was die Wochenmagazine „Melody Maker“, „NME“ und „Sounds“ über die Londoner Szene schrieben, wusste ein paar Tage später das ganze Land. Und irgendwie gelang es Linda und Seymour tatsächlich, uns im Juli 1976 nach London zu bringen. Die Reisegruppe bestand aus den Ramones, Linda und ihren zwei Töchtern, Seymour, Joeys Bruder Mitchell und mir.
Die Landung in Heathrow, die ersten Schritte in der unbekannten Stadt – ein positiver Kulturschock. Johnny konnte es nicht fassen, ständig fragte er: „Passiert das hier wirklich?“ Keiner wusste ja vorher, was uns erwartete. Wir waren nahezu schockiert, als wir schon beim Soundcheck mehr Zuschauer hatten als bei irgendeinem Konzert zuvor. Am ersten Abend spielten wir im Roundhouse im Vorprogramm der Flamin‘ Groovies, am zweiten im Dingwalls in Camden Town.
Nach den Shows trafen wir Paul Simonon, John Lydon und all diese Leute. Lydon war ein Fashion-Celebrity, als Band waren die Sex Pistols noch nicht bekannt. Nach der Show kam Simonon zu Johnny und erzählte ihm, dass The Clash sich noch nicht trauten, aufzutreten. „Ihr seid so wahnsinnig groß und bekannt“, sagte er, „wie macht ihr das bloß?“ Johnny konnte es nicht fassen: „Wir sind was? Willst du mich verarschen?“
Man darf einfach nicht vergessen, dass die Ramones zu dieser Zeit eigentlich eine ausschließlich einem elitären Kreis von Eingeweihten in Downtown New York bekannte Band waren. Johnny gab Paul Simonon folgenden Rat: „Es kommt nicht darauf an, so spielen zu können wie ein Gitarrengott. Geht einfach da raus und versucht, eine gute Zeit zu haben.“ Wir alle wissen, was danach mit The Clash passiert ist.
London blickte also sehnsüchtig nach New York und war offen und bereit für unsere Musik. Das war praktisch ein transatlantischer Re-Import – ironischerweise am 200. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Und während daheim die Feuerwerke explodierten, fackelten wir in London ein ganz anderes Feuerwerk ab und schrieben auf unsere Weise Geschichte.
Nie wäre ich auf die Idee gekommen, das Ganze 35 Jahre später dem ROLLING STONE zu erzählen. Das Magazin verkörperte damals ziemlich genau das Gegenteil von allem, wofür Bands wie die Ramones standen. Überhaupt sprach keiner von uns von „Punk“. Johnny und Dee Dee liebten die Bay City Rollers und hatten eine ähnliche Karriere im Sinn. Punk ist ein schönes, prägnantes four-letter-word, das in jeder Sprache funktioniert. Deshalb hat es sich durchgesetzt. All diese Bands waren so verschieden … Gemeinsam hatten sie nur, dass sie anders klangen und von den Stooges, MC5 und The Velvet Underground beeinflusst waren. Warum Television punk waren? Weil Richard Hell ein tolles T-Shirt trug, Malcolm McLaren im Publikum war und Hells Style nach London importierte. So einfach ist das.
Anfang der Achtziger trennten sich unsere Wege. Die Ramones verkauften keine Platten. Also entschieden sie sich, ihr Management zu ändern. Nun ja, danach haben sie trotzdem keine Platten verkauft. Aber wie definiert man Erfolg? Die Jungs sind als Millionäre gestorben. Angefangen hatte alles in jener Nacht in London. Und das war der Vision von Linda und Seymour Stein geschuldet. Schon als wir 18 Monate später zurückkehrten, lag uns die Stadt zu Füßen. Aufgezeichnet von Torsten Gross
Danny Fields, 70, nahm die Stooges, The MC5 und Nico unter Vertrag, gehörte dem Warhol-Zirkel an und managte in den formativen Jahren gemeinsam mit Linda Stein die Ramones. Die meisten der hier gezeigten Fotos wurden der Öffentlichkeit im Rahmen einer Ausstellung im Berliner Ramones-Museum zugänglich gemacht.
die füsse der helden
Die Uniform war bei den Ramones schon in frühen Tagen perfekt – und wurde anschließend nur noch minimal verändert: Röhrenjeans, Lederjacke, Sneakers. Und genau hier, an diesen acht Füßen, begann der popkulturelle Siegeszug der Converse-Schuhe. Die Ramones trugen Chucks, also wollten auch Sonic Youth welche, Kurt Cobain oder Green Day.
Im Rahmen seiner „Music Collaborations“ hat Converse nun eine eigene Punk-Edition herausgegeben, mit je zwei Modellen zu The Clash (ganz oben, ganz unten) und den Ramones (die zwei in der Mitte). Von jedem der vier Designs verlosen wir in diesem Monat ein Paar – bitte Mail mit Wunsch-Band und Schuhgröße an verlosung@www.rollingstone, Betreff: „Punkschuhe“. Der Einsendeschluss ist der 15. Juli.