Der Pop-Geheimrat lächelt
Der Londoner Pianist und TV-Moderator Jools Holland steht für den scheuklappenfreien Musik-geschmack – deshalb spielt er nicht nur mit Bono und McCartney, sondern auch mit Roger Cicero.
Man könnte das Bild, das sich einem hier bietet, glatt für eine Phonowerbung halten. Jools Holland lehnt am weißen Klavier, mit gegelten Haaren, Purpurhemd, teurer Uhr und „Sie wissen schon“-Blick. „Musik ist mein Leben“, sagt er, „und jetzt kann ich so viel wie möglich davon auf meinem großartigen Brennan speichern“ …
Moment mal: Das ist eine Phonowerbung. Eine Kampagne für CD-Player mit Festplatte, die zurzeit in englischen Zeitschriften zu sehen ist. Und die noch einmal klarmacht, welches Rollenmodell Jools Holland, Londoner Gentleman und Deputy-Lieutenant der Grafschaft Kent, mit 53 Jahren in seiner Heimat besetzt – das des Pop-Geheimrats. Der unendlich credible ist als Ex-Keyboarder der Gruppe Squeeze, Frechmaul der Achtziger-BBC-Show „The Tube“ und Conférencier von „Later … with Jools Holland“, der Sendung, in der seit fast 20 Jahren Indie-Neulinge, exotische Trommler und Superstars beweisen, dass sie es auch live im TV-Studio können. Holland ist hier der große, weise Gerechte, aber er gehört natürlich zum inner circle mit Bono oder Clapton, die gerne bei Hollands eigener Big Band gastieren, dem 19-köpfigen Rhythm & Blues Orchestra.
Aus diesen Kollaborationen ist nun ein CD-Sampler gemacht worden, „Jools Holland & Friends“, mit ein paar neuen Stücken, die für den deutschen Markt maßgeschneidert wurden, featuring Herbert Grönemeyer, Ina Müller, Roger Cicero. Dafür kommt Holland auch selbst nach Berlin und wirbt fürs Album, wartet im Zimmer des Adlon-Hotels, steht vom Sofa auf, um seine Gäste zu begrüßen: gegelte Haare, Purpurhemd, knirschende Lederboots, Manschettenknöpfe mit Herzchen drauf. Holland weiß, dass hierher nur Leute kommen, die seine „Later“-Serie heimlich auf DVDs oder im ZDF-Theaterkanal verfolgt haben. Er muss sich nicht erst erklären.
„In genau diesem Hotel habe ich Roger Cicero kennengelernt“, anekdötelt er gleich los, im selben leicht erheiterten Ton, in dem er sonst am BBC-Klavier mit Björk plaudert, „und es war erst zwar ein bisschen zäh, aber sobald wir mit der Musik anfingen, wurde die Stimmung fantastisch. Wie bei der Aufnahme mit George Harrison. Er war damals schon sehr krank. Aber sobald er zu singen anfing, wirkte er völlig gelöst.“
Die unheimliche Macht der Musik, über die Holland ewig reden kann, traf ihn Mitte der Sechziger, als Bübchen in Süd-London. „Mein Onkel spielte Klavier in einer Rhythm’n’Blues-Band, zur selben Zeit wie die Rolling Stones. Obwohl er nicht mal minimalen Erfolg hatte und Lieferwagen fah-ren musste“, erzählt er. „Als ich ihn mit sechs zum ersten Mal hörte, war mir sofort klar: Das ist das Beste, was es gibt! Das Chaos des Universums ordnete sich schlagartig.“ Jools wurde zum Boogie-Wunderkind. Spielte mit 18 zum ersten Mal bei einer Studio-session, hatte mit 21 als Mitglied der Wave-Pop-Band Squeeze zwei Top-Ten-Hits und wurde in einer Zeitung „prince of punk piano“ genannt.
„Natürlich war mir der Erfolg willkommen“, sagt Holland, „aber im Prinzip ging es mir immer um diese sehr spezielle, fast technische Tätigkeit: herauszukriegen, wie man das Klavier am besten spielt. Und den Spaß, den man dabei hat.“ Was gleich die Frage beantwortet, wieso ein derart manischer Musiker sein Geld vor allem als Moderator verdient (auch wenn er in England viel mehr Platten verkauft, als man in Deutschland glauben würde). Dass sein Glaube an die Magie der Klangerzeugung auch einen tief konservativen Zug trägt, der ihn alle gleich behandeln lässt, die es nur schaffen, in seinem Studio den Song gut zu Ende zu kriegen – das gibt er sogar zu. „Einerseits bewundere ich Menschen, die zu einem Stamm gehören und bestimmte Platten so sehr lieben, dass sie die anderen nicht hören wollen. Aber für mich selbst ist Musik als Kunstform zu bedeutend. Ich will alles aufsaugen, verstehen. Und diese Haltung hat sich in den letzten 20 Jahren immer mehr verbreitet.“
Ober-Diplomat Holland hat immerhin schon Clinton und Blair zum Tanzen gebracht. Bei der G8-Gipfelfeier in Birmingham im Mai 1998 hatte sein Boogie-Orchester „All You Need Is Love“ angestimmt – als Jacques Chirac das Song-Intro für die französische Nationalhymne hielt und sich erhob. Um die peinliche Situation zu retten, sprangen auch die anderen Staatschefs auf. Und tanzten linkisch. „Auch das war die Macht der Musik!“, belehrt Jools Holland. Aber das meint er diesmal nicht ganz ernst.