Der Penis des Weberknechts
Gibt's nicht geht nicht! Die Freuden bei Betrachten des Unterschichtenfernsehens
Falls Sie eine Immobilie, eine Wohnung oder ein Haus besitzen und hoffen, damit Einkünfte erwirtschaften zu können: Obacht! Die Miet-Nomaden gehen um in Deutschland, eine Spezies von Schmarotzern, die erst Urkunden fälschen, dann einziehen, keine Miete zahlen, die Haustür nicht mehr öffnen und erst wieder ausziehen, wenn die Räumung droht, wobei sie ihren Abfall hinterlassen. Der Eigentümer ist doch recht eigentlich ein armes Schwein in diesem Land, und nicht einmal die Schufa kann ihm helfen. Die Miet-Nomaden kannten wir schon aus „stern tv“, aber auch das ZDF erschütterte schon mehrfach mit Berichten aus dem Leben unterhalb der Mietgrenze. Ein Nomade erzählt gemütlich in der Wohnung in einem Hamburger Hochhaus, für die er niemals etwas gezahlt hat: Ja wenn er könnte, dann würde er Miete zahlen. Aber er kann halt nicht. Und er konnte auch in den zwei anderen Wohnungen nicht. Bald danach verschwindet er aus dem Apartment. Verzweifelte Vermieter stehen vor ihrem Besitz, dürfen das Grundstück nicht betreten und beobachten gelähmt die zunehmende Verwahrlosung des Vorgartens: Wo früher die Zwerge grüßten, kacken jetzt die Köter der Nomaden.
Der Abstieg Deutschlands ins asoziale Milieu, wie ihn „Spiegel“ und „Bild“ einmütig ausmalen: Ist er in diesem Bild nicht symbolisch eingefangen? Noch vor Rot-rot-grün müßten die Eigentümer ihre Besitzschaften ins Ausland verlagern, wären sie nicht immobil. Wer will hier denn noch investieren, wenn die Gerichtsbarkeit ihn nicht vor derlei Übergriffen schützt? Mit Dackelblick befragt Günter Jauch die gebeutelten Geschädigten, ein Anwalt sitzt auch immer dabei, und das Volk faßt es nicht.
Einmal im Jahr darf es dafür bei Jauch jene Gepäckstücke ersteigern, die am Flughafen liegen geblieben sind. Hei, was ist das für ein Spaß, wenn ein Koffer mit Schmutzwäsche und gefälschten Uhren erworben wird oder ein Futteral mit einem Alphorn! Es überbieten sich die Billigheimer, die auch bei Ebay jederzeit um ein gebrauchtes Schnäppchen feilschen und im Supermarkt ihre Flugreisen kaufen, die sie dann zu türkischen Vier-Sterne-Hotels führen, in denen die Kakerlaken krabbeln und das Frühstücks-Büffet von gestern ist. Woraufhin eine Notiz im Internet-Hotelführer gemacht wird – eine Dokumentation des Schreckens, aber auch ein Triumph des mündigen Verbrauchers! Jede Heizdeckenfahrt braucht einen Rezensenten, jedes Mittagsmenü für fünf Euro muß besprochen werden.
RTL 2 hat bereits das gesamte Programm mit Unterschichtenfernsehen gefüllt: „Endlich schuldenfrei! Mit Profis aus den Miesen“ dokumentiert die Bewältigung von Insolvenzen, die heute so üblich sind wie früher die Abzahlungen von Reihenhäusern. Wer dann endlich schuldenfrei ist und noch ein Grundstück bewirtschaften darf, kann sich bei „Grüner wird’s nicht – Einsatz für die Gartenprofis“ informieren. In „exklusiv – die reportage“ (wird echt so geschrieben) gibt es „Badesee statt Palmenstrand -Urlaubsspaß zum Schnäppchenpreis“. Grimme-Preis-würdig ist die legendäre und ständig wiederholte Reportage über Imbißbuden in Deutschland, darunter auch ein Büdchen auf Rädern, das ein Eisverkäufer an einem bayerischen Badesee herumfährt. Der selbständige Unternehmer kutschiert seit seinem 17. Lebensjahr den Flutschfinger und kann sich gar nichts Schöneres vorstellen. Immer wieder anrührend auch der Lokaltermin bei der letzten Fritten-Bude vor Schalke, wo am Samstag vorm Fußball alle Pommes Schranke pieksen, und die Milieustudie über Lädchen ohne Ladenschlußzeit in Berlin-Kreuzberg.
Auf RTL und Vox stellen eine korpulente und eine rothaarige Frau den Krempel in Wohnungen um und dirigieren lohnabhängige Handwerker: „Einsatz in vier Wänden“ und „Wohnen nach Wunsch“. Die Mieter trinken derweil eine Kaffee Macchiato mit Freunden oder weisen an, sie hätten gern eine Tischtennisplatte in der Wohnküche. Die „stern-TV-Reportage“ auf Vox berichtet über „Kundenreklamationen“: „Meckern erlaubt!“ Natürlich „liegt die deutsche Bahn ganz vorn“. Auf RTL informiert „Mein Garten“, eine „Vorher-nachher-Show“, und wiederum in „exklusiv“ sehen wir die Dokumentation „Liebe geht durch den Wagen – Wie die Deutschen ihr Auto pflegen“. Im NDR zeigt Juliane Eisenführ „Weltbilder – mit Billigfliegern unterwegs“, im selben Sender gibt es den Klassiker „Partnersuche auf dem Bauernhof“.
Gegen soviel Heldentum und Profanität helfen nur die letzten verbliebenen Refugien des großen Alexander Kluge. Eines Sonntags im Juli konnte man seine beiden Quotenrenner „News & Stories“ und „Prime Time – Spätausgabe“ hintereinander sehen: „Was heißt Schwärmen? -Immanuel Kant und das Sinnlich-Übersinnliche“ sowie „Der älteste Penis der Welt – Jason A. Dunlop über 400 Millionen Jahre alte Weberknechte“.