Der Obama-Effekt im Film
Yes, wir können bescheiden sein: Hollywoods neues Weltbild nach den Oscars
Ist die Krise schon vorüber? 36 Millionen Amerikaner sahen in diesem Jahr die Betriebsfeier von Hollywood. Das sind vier Millionen mehr als noch 2008, aber noch immer vier Millionen weniger als 2007. Und der Quotenrekord mit 55 Millionen Zuschauern, als „Titanic“ vor elf Jahren den Oscar holte, ist so weit entfernt wie der Dow Jones von der 10000-Marke.
Nun ist man in diesen wirtschaftlich miesen Zeiten ja für den kleinsten Aufschwung dankbar. Psychologisch wirkt das beruhigend. So jubelte auch der deutsche Sender Pro7, der die 81. Annual Academy Awards übertrug, es hätten auf dem Höhepunkt der Verleihung mit 540 000 gut 200 000 „junge Zuschauer“ mehr zugeschaut als im Jahr zuvor.
Zwar kenne ich kaum noch jemanden, der dafür noch die Nacht lang wach bleibt (und gefühlte zwei Stunden Werbung erträgt). Vielleicht haben wir Alten aber auch einfach kein Durchhaltevermögen mehr. Oder es gibt mehr Leute, die aus Angst um ihre Jobs nicht mehr schlafen können. Zu sehen war jedenfalls, was sich schon seit längerem abzeichnet: Die Oscar-Vergabe hat ihren Nimbus als größte Show der Welt eingebüßt.
Die Organisatoren versprachen neue Ideen und mehr Intimität. Dafür wurde statt des sonst üblichen Komikers mit Hugh Jackman der vermeintlich „Sexiest Man Alive“ als Moderator verpflichtet und das Dekor im Kodak Theatre auf Bar-Atmosphäre getrimmt. Doch das sah eher nach Katerstimmung aus. Patrick Goldstein von der „Los Angeles Times“ spottete, die Rettung der Oscars wäre ein Job, den eher Iron Man oder Hancock übernehmen müssten.
Sean Penn hat dann als „Milk“ seinen zweiten Oscar bekommen – gewiss verdient, obwohl Mickey Rourke („The Wrestler“) so um seine vermutlich einzige Chance gebracht worden ist wie 2004 Bill Murray, der mit „Lost In Translation“ auch gegen Penn verloren hatte. Und die erschreckend talentierte Engländerin Kate Winslet ist erwartungsgemäß für ihren deutschen Akzent in „Der Vorleser“ angemessen belohnt worden.
Überraschend ist mit acht Oscars der Triumph des britisch-indischen Außenseiter-Märchens „Slumdog Millionär“. Amerika scheint sich damit der Welt zu öffnen. Nun wird reflexhaft vom Obama-Effekt gesprochen. Ves, wir können über unsere Grenzen hinaus blicken. Ves, wir können andere Kulturen anerkennen. Ves, wir können bescheiden sein. „Slumdog Millionär“ ist ein zauberhafter Film. Aber wird er über Jahrzehnte zum Klassiker reifen wie „Casablanca“, „Lawrence von Arabien“, „Der Pate“? Hollywood hat öfter Filme gekürt, die Fußnoten blieben. Zumindest nominiert waren aber immer Meisterwerke wie „Chinatown“ oder „Taxi Driver“. Gemessen daran war der Jahrgang 2009 relativ schwach.
So droht die schon immer steife Zeremonie unspektakulär zu entschlummern. Man müsste fürs Fernsehpublikum wohl mehr Krawall und Voyeurismus erzeugen – oder wie bei Wahlen den Stimmenabstand einblenden, um die Spannung zu erhören. Cineasten wären natürlich entsetzt. Aber in der Krise sind alle Mittel erlaubt.