Der nötige Ernst
Seit mehr als 30 Jahren sind Videospiele vor allem ein netter Zeitvertreib. Dabei können sie viel mehr als nur zu unterhalten.
Klingt ziemlich konstruiert, wenn ein Bekannter aus dem Ibiza-Urlaub anruft und fragt, ob man sein Haus gegen das bevorstehende Hochwasser sichern könne, von dem er im Radio gehört habe. Aber irgendwie muss ja Handlungsbedarf geschaffen werden. Ist die beschriebene Situation doch mitnichten aus dem Leben gegriffen, sondern aus einem Computerspiel. Einem Computerspiel freilich, das entwickelt wurde, um die Bevölkerung in hochwassergefährdeten Gebieten für die entsprechenden Gefahren zu sensibilisieren. Trotz grafisch ansprechend aufbereiteter „Hochwasserfibel“ ergreifen die meisten nämlich gar keine Sicherheitsmaßnahmen – oder machen zumindest grundlegende Fehler dabei. Durch das Spiel „SchaVIS“ – die Entwickler sprechen hochtrabend von einem „Softwaresystem zur Visualisierung von Hochwasserschäden in Gebäuden“ – erlebt man die Konsequenzen unzureichender Vorbereitung quasi hautnah und kann sich so optimal merken, was im Ernstfall zu tun wäre. Um etwa waschkörbeweise Krempel aus dem Keller in die oberen Stockwerke zu tragen, muss dort erst mal Platz geschaffen werden. Türen müssen frühzeitig verkeilt werden, weil sie später durch den Wasserdruck gar nicht mehr zu bewegen wären. Und Öltanks müssen gesichert werden, damit sie nicht ins Schwimmen geraten und dann nicht nur den Keller, sondern auch das Umland verpesten würden. Alles Dinge, die man komplett vergessen könnte, wenn man sie nicht schon einmal durchgespielt hätte.
Auch in anderen Bereichen wird die Technik von Games heute zu mehr eingesetzt als zur reinen Unterhaltung. Es gibt Spiele, mit denen gestresste Menschen lernen sollen, zu entspannen, und Spiele, die politische Zusammenhänge erklären. Manche bringen uns bei, wie wir uns besser ernähren können, andere versuchen Schülern das Pauken der Vokabeln zu erleichtern. Und in Hamburg trainieren angehende Kapitäne in virtueller Umgebung das Einparken von Ozeanriesen. Inzwischen hat selbst die Polizei die sogenannten „Serious Games“ für sich entdeckt: „ViPol“ (Virtuelles Training für Polizeieinsatzkräfte), das den Beamten ermöglicht, brisante Situationen in sicherer Umgebung kennenzulernen, wurde kürzlich mit einem Preis beim jährlichen „Serious Games Award“ auf der CeBIT ausgezeichnet. Wie bei einem echten Einsatz sind sie dabei per Funk verbunden und müssen ihr Vorgehen aufeinander abstimmen. Der Hersteller selbst gibt als mögliches Szenario einen Amoklaufan einer Schule an. Da werden einige umdenken müssen, wenn sie Computerspielen demnächst nicht mehr pauschal die Schuld an Verbrechen zuweisen können, sondern erkennen, dass sie inzwischen auch zu deren Bekämpfung beitragen können.