Der Mob will mehr – So war es bei den Editors in Berlin
Die Editors haben in Berlin gespielt – und das Publikum schnell auf ihre Seite gezogen – mit einem Konzert, das nie an Spannung verlor.
Es ist noch relativ früh, als Enno Bunger mit Band die Bühne betritt, um die Editors an diesem Dienstagabend (29. September) im SO36 in Berlin zu supporten. Mit neuen Songs steht dieser Ostfriese mit der Singer-Songwriter-Vergangenheit auf der Bühne. Vorbei ist es mit der Musik, die nur von Klavier getragen wurde, so dass Bunger sich Klängen und Kompositionen zuwendet, die in zwei Richtungen ausufern: Es wird teilweise mutiger, mit Stücken, in denen er Casper-ähnlichen, entschleunigten Deutsch-Rap spricht, gleichzeitig aber – und das ist der zweite Pol –, versucht auf dem Mainstream zu rudern. Das kommt aber gut an – auch wenn munteres Gerede vom Publikum denen, die wirklich zuhören wollen, bei halb aufgedrehter Anlage etwas in die Quere kommt. Ob er die richtige Wahl für den Support der Band aus Birmingham ist? Nun, seine Musik hat sich in eine ähnliche Richtung wie die der Editors entwickelt, die mit „In Dream“ ebenfalls ihr Fans dazu bekommen müssen, die neuen, auch mehr auf die Masse zielenden Songs, genauso zu lieben, wie bereits etablierte Hits der Band.
So langsam staut es sich also im SO36, als alle auf den Hauptact des Abends warten – im Club, der eher einem schwarzen Schlauch, einem Wurmloch gleicht kommt und bei dem es nur einen Weg hinein gibt und man dann keine andere Wahl hat, als die Augen genau auf die Bühne zu richten. Zurück gehen klappt schlicht und einfach nicht mehr, weil sich bis hinter die Bar Menschen tummeln und sich damit langsam die Massen, aber auch die Energie, für das was kommen wird, aufstauen. Ab kurz nach 21 Uhr geben sich dann die Editors mit wohlwollenden Hauptstadt-Publikum die Ehre.
Das neue Album dominiert den Abend
Mit „No Harm“ spielen sie gleich zu Anfang den ersten Song des neuen Albums, der sich relativ ruhig mit einer Sequencer-Melodie in roten und blauen Lichtern aufbaut, um das Weitere, laszive und elektronische in der Musik der Band vorzubereiten, das die Fans lieben und Sänger Tom Smith im weißen Hemd perfekt vor den restlichen Musikern nach Außen tragen kann. Auch wenn dieses Stück nicht viele kennen (wenn man Editors hört, kauft man anscheinend noch die bald erscheinenden Platte), hängt das Publikum an den Lippen des Briten. Dabei wird man ein Gefühl nicht los: Es ist nur eine Frage kurzer Zeit, bis sich die Spannung entlädt. Wann, das weiß niemand. Der Abend aber wird zeigen, dass die hier Anwesenden fast jeden Moment, der sich anbietet, auch dafür nutzen werden, der Band zu zeigen, wie sehr sie sie lieben. Und diese Momente kommen häufig. Den Vers „You swallow me whole“ des Songs „Sugar“, der beim anderthalbstündigen Set an zweiter Stelle steht, glaubt man sofort eher dem Publikum, als der Band, die jetzt schon andeutet, einen guten aber routinierten Auftritt abzuliefern.
Jeder Song wird zur Hymne geklatscht
Und trotzdem gibt es Mitklatsch-Attacken der Hundertschaften – unaufgefordert, die genauso ehrlich und überwältigend sind, wie der Applaus zwischen den Songs. Die Fans werfen einfach gerne die Arme in die Luft (an denen sie vorher häufig die eigenen Liebschaften hielten), um die gemeinsame Liebe in Richtung Konzerthimmel zu richten. Der riesige Bass trägt die Menge, auch wenn er so verzerrt und brachial daherkommt, dass er in seiner Synthesizer-Verwandschaft die Gitarren und das Klavier fast immer übertönt. Tom Smith, der ein wichtiger Frontmann für die Band ist, wirft sich währenddessen auf der Bühne hin und her – beim Statischen der Editors kommt das fast einem taumelnden Betrunkenen gleich. Und wenn Smith, Lockey, Lay, Leetch und Williams fast ohne Eskapaden immer wieder die Gradlinigkeit und Professionalität der Band deutlich machen, versteht man auch schnell, dass wahrscheinlich nur die Bewunderer der Editors das Glas, pardon, den Bierbecher auf sie erhoben haben.
Das können die Editors: Pop-Songs schreiben, die elektronisch sind, Post-Punk und New Wave nicht als ihre Ursprünge verschleiern und Rock-Momente haben, mit denen schnell das Herz eines großen Publikums erobert wird. Da braucht man sich auch bei einem Konzert gar nicht erst zu fragen, wieso das so ist oder in welche Richtung die Musik driften wird – und wieso die Songs der Alben fast durchweg elektronischer sind, als sie live gespielt werden.
Zur Nähe reicht ein Mr. Smith
Bereits nach einer Stunde und zehn Minuten verlässt die Band die Bühne – doch nicht ohne einen Mob zu hinterlassen, der natürlich noch mehr sehen will und den ersten Moment wirklicher Nähe geboten bekommt: Smith hat sich die Akustik-Gitarre umgeschnallt und zeigt mit dem warmen Timbre in seiner Stimme, welches sensible Rückgrat der Gruppe vorsteht. Mit „Open Your Arms“ und „Smokers Outside The Hospital Doors“ sind die Editors an diesem Abend wirklich zu einer Einigung gekommen, auch wenn das Finale die Intimität etwas zurücknimmt und das Lautstärke-Level wieder hochgefahren wird.
Denn „Papillon“ serviert am Ende noch einmal Großes: Mit Stroboskoplicht, einer Band, die sich in voller Fahrt den letzten Riffs hingibt und dem Satz: „It kicks like a sleep twitch“ wird so viel aus den Leuten herausholt, dass man wirklich verstehen kann, wieso dieser Satz rein gar nichts mit Schlaf zu tun hat. „Marching Orders“, der wie „No Harm“ ganz am Anfang vom neuen Album „In Dreams“ stammt, ist, weil er noch neu für das Berliner Publikum ist, etwas in der Luft verpufft – konnte aber das Publikum der Editors darauf vorbereiten, was auf sie zu kommt: neue Songs einer Band, die bald auf dem besten Wege ist, Stadion-Hymnen zu schreiben. Wenn die Fans aber so großzügig sind wie an diesem Abend, wird auch das große Momente bereit halten. Augenblicke, die durch das gute Konzert einer Band getragen werden, die nie an Spannung und Drive verliert, ihre Linie gefunden hat und diese ohne riesige Eskapaden auch live verfolgt.
Und so gehen sie glücklich nach Hause, weg vom Fixpunkt, vom Wurmloch und durch den schmalen, schwarz lackierten Flur, mit zerknirschenden Bierbechern unter den Füßen, hinaus ins kalte Kreuzberg – aber mit dem warmen Gefühl, seiner Lieblingsband heute gezeigt zu haben, wieso diese es nach wie vor verdient haben, auf so einer legendären Bühne zu spielen.
Hören Sie hier Ausschnitte aus dem neuen Editors-Album „In Dreams“