Der Mann mit dem rauchenden Kult
Die Party feiern, vorher auf Aufnahme drücken - 80 Millionen solcher Platten hat James Last seit den Sechzigern verkauft. Der gelernte Arrangeur, der ins Rampenlicht musste, ins Fernsehen und in den Ostblock, feiert nun - mit 75 - ein Comeback als HipHop-Freund
Der Hansi, unser Hansi. „He looooves music. And he pays your check!“ Chuck Findley, ein Bär mit Bauch, erster Trompeter, hält sich beide Hände ans Gesicht und macht eine rätselhafte Geste: Scheuklappen, die sich vor- und zurückbewegen. „Wenn man als Kind mit der Musik anfangt, dann geht es erst mal nur um den Spaß. Und bei Hansi…“ – sein einziges deutsches Wort, Hansi, kein Kumpel-amerikanisches hansy – „bei Hansi ist das heute noch so. Der hat Spaß. Ob er eine Polka spielt oder ‚Mamma Mia‘ von ABBA oder…“
Es ist halb drei, der Barkeeper ist eben ins Bett gegangen. Findley und der schwedische Posaunist Anders Wiborg lassen die letzte Lampe in ganz Bad Neuenahr noch ein paar Minuten brennen, bis die Gläser auch wirklich leer sind. „Oh, you’re so lucky!“ sagt Wiborg immer wieder. Und schüttelt dabei den Kopf, als könne er selbst nicht glauben, dass man mitten in der Nacht in einer Hotelbar am absoluten Arsch der Welt einfach so Chuck Findley treffen kann. Den Mann, der auf „Goat’s Head Soup“ von den Rolling Stones trompetet hat, auf „The Royal Scant“ von Steely Dan und „Court And Spark“ von Joni Mitchell und „September“ von Earth, Wind & Fire und praktisch überall. Jetzt spielt Chuck Findley – wie sein Bruder Bob, wie Anders Wiborg und 33 andere – beim James Last Orchester.
Und wie schon angedeutet, das macht Spaß. „Wir hüpfen auf der Bühne. Wir furzen auf der Bühne“, sagt Findley.
„Manchmal habe ich so viel Spaß, dass ich mich am Riemen reißen muss, um nicht vor Freude in die Hose zu pinkeln.“
Dann lässt Chuck Findley noch eine Anekdote los – was er George Harrison 1972 zu Weihnachten gekauft habe, als er beim Band-internen Wichteln seinen Namen aus dem Hut gezogen hatte. Er nimmt einem das Versprechen ab, auf keinen Fall zu schreiben, was das für ein Geschenk war. Er will vielleicht bald ein Buch machen.
Das James Last Orchester wohnt in Bad Neuenahr, denn in keinem Kölner Hotel waren so viele Zimmer frei. Obwohl das nur die kleinere TV-Besetzung ist, die sich eine Woche lang jeden Mittag in den Mannschaftsbus setzt und zu „TV Total“ nach Mülheim fährt, als außerordentliche Haus-Band für Stefan Raab. Gemessen an den drei Stunden, die sie an einem richtigen Tourneeabend spielen, ist das ein müder Ausflug, aber die Regeln sind dieselben wie vor 40 Jahren: Nach der Show feiern sie so lange wie möglich weiter, am besten bis zum Frühstück. Katja Ebstein, die 1970 als Gastsängerin dabei war und sich um Mitternacht aufs Zimmer verdrücken wollte, soll von James Last freundlich ermahnt worden sein. In Odense in Dänemark musste um ein Uhr früh der Hotelkoch geweckt werden, als die Band drohte, in Selbstjustiz den Kühlschrank zu plündern.
James Last stellt seinen Leuten den Gin Tonic gern persönlich vor die Nase und sagt dann, der alte Scherzkeks: „Die Suppe, der Herr!“ James Last selbst muss heutzutage ein wenig kürzer treten, die Musiker erinnern ihn daran. Wenn es Zeit wird, ihn und seine Frau Christine ins Bett zu schicken, singen sie „Goodnight My Sweetheart“, denn ihr Chef ist zwar Nichtraucher und kein großer Trinker, aber 75 Jahre alt. Wie Hansi Last zu seinem Künstlernamen kam, hat er oft erzählt: Als er 1965 die erste „Non Stop Dancing“-Platte aus der Post holte, stand überraschenderweise „James-Last-Band“ auf dem Cover. Weil die Polydor das Konzept – anders als die Hans-Last-Volksliederplatten – international vermarkten wollte. Ab 1969 war auch sein Foto auf den Plattenhüllen: James Last, das Angesicht und Markenmännchen des Happy-Sound, streng oder leicht süffisant. 1974 gab es vier LP-Reihen: „Non Stop Dancing“, „Classics In Concert“, „Durch Land und Länder“, „James Last Company“ (Werbespruch: „Wer sich jung fühlt, Jeans liebt und modern denkt – der steht auf James Last Company.“ – er war damals 45). James Last, für den alles eins war, der Chris Roberts, Stevie Wonder und Nazareth in ein Medley packen konnte. Der den Alten zeigte, dass sie zur Musik der Jungen tanzen können. Der in den Ostblock durfte, weil die Kader ihn für harmlos hielten, und der den Menschen dort die Freiheit vorspielte. Der außerhalb der Karnevalsmonate als Kapitän, Spanier, Hippie, John Travolta oder Superman posierte und doch immer so wirkte, als wolle er ganz schnell zurück ans Notenpult.
Ein Recherche-Anruf daheim: Papa, warum haben wir damals vor dem Fernseher immer über Helmut Zacharias und seine Geige gespottet, über Günther Noris und seine große Nase, über das Saxofon-Getue von Max Greger – aber nie über James Last? „Für mich hatte der immer den Nimbus des Theoretikers, des Wissenschaftlers“, sagt mein Vater wörtlich. „Der hatte die Musik verinnerlicht“
Am folgenden Morgen in Bad Neuenahr passiert das, was praktisch nie passiert, wenn man mit James Last zu tun hat. Er kommt zu spät zum Termin. Ein paar Minuten. Last und seine Frau waren schon unterwegs und haben Rudi besucht, der zurzeit die Chemotherapie durchmacht. Rudi hat früher den Tourbus gefahren, 36 Jahre lang. Last ist vom Krankenbesuch sichtbar geschlaucht. Als das Hotelmädchen ihm den zweiten Frühstückstee bringt, denkt er langsam wieder an andere Sachen.
Den Kinnbart, der früher den halbmondförmigen Schnauzer ausbalancierte, trägt er schon länger nicht mehr. Seither hat das Gesicht von James Last etwas leicht Walross-haftes, ein aristokratisch mageres Walross. Wettergebräunt, nicht so, wie man es von einem erwarten würde, der die Hälfte des Jahres in West Palm Beach, Florida lebt und in der Sonne Golf spielt. Eher: der Fischhändler vom Bremer Wochenmarkt, mit einer salzigen Brise in der Tasche.
Christine Last, blond, lockig, frisch, 30 Jahre jünger, setzt sich ganz selbstverständlich dazu – und die Frage, die man so gern gestellt hätte, muss scheinheilig pfeifend unterm Tischtuch versteckt werden: Wie war das, wie wild hat die James-Last-Band es damals getrieben? In der Autobiografie von 1975, „James Last Story“ (nebenbei: ein wunderbares Buch, das in keiner Studie über bundesdeutschen Humor fehlen sollte), ist von Schampus-Trinkspielen mit lebenslustigen weiblichen Fluggästen die Rede und von der Angriffsparole „Die Geier fliegen tief“, die man nur rufen durfte, wenn die Ehefrauen nicht dabei waren. Auch das, bombensicher: nur Spaß. Last hatte schon mit 26 in Bremen geheiratet, hat zwei Kinder. 1997 stirbt Waltraud an Krebs, zwei Jahre später kommt Christine. Sie hilft ein wenig, wenn das Gespräch auf komplexe Fragen zur neuen Platte kommt, und rätselt mit, wenn ihrem Mann einer der vielen Namen nicht einfällt.
Grönemeyer, Jan Delay, Xavier Naidoo, Nina Hagen, Tom Jones und andere singen auf „They Call Me Hansi“. Das weiß jeder, der in den letzten zwei Monaten an einem Fernseher zumindest vorbeigelaufen ist, weil James Last für keine seiner LPs (weltweite Verkäufe 80 Millionen) so viele Interviews gegeben hat. Zum 75. Geburtstag wollte die Firma Universal etwas Großes, man fragte Mousse T als Produzenten an, der hatte keine Zeit, Grönemeyers Partner Alex Silva konnte. Rammstein sollten singen, da wurde es Last ein bisschen eklig, aber sie sagten ab. Die interessante Frage, was Last selbst auf dem Album eigentlich macht, ist leicht beantwortet: Er hat arrangiert und seine Leute dirigiert, wie immer. Fünf Stücke sind von ihm, drei davon sind Klassiker, der „Einsame Hirte“ mit der Panflöte, den RZA vom Wu-Tang Clan für Tarantinos „Kill Bill“ genommen hat. Für die „Hansi“-Platte hat RZA draufgerappt, eine blutige Ode an die Filmfigur O-Ren Ishii.
„Der Kontrast Ich finde ihn gut, ich persönlich, das sind so zwei Welten, die zusammengehen, also: aufeinander zugehen“, sagt James Last „Wir haben es auf der England-Tournee gespielt und haben RZA aus dem Off sprechen lassen. Und die haben den Text wahrscheinlich noch besser verstanden als die Germanos. Ich war von seiner Stimme ja sowieso angemacht Weil er das richtig theatralisch brachte. Also theatralisch ,gut‘ verstanden, nicht einfach so was dahingemeiert Der hat Druck, wenn er spricht“
James-Last-Deutsch kann man eigentlich nicht aufschreiben. Er redet schnell, überspringt oder vernuschelt im Satz ab und zu ein paar Wörter, die ihm gerade nicht so wichtig vorkommen. Überhaupt klingt bei ihm alles, als sei es doch selbstverständlich und kein großes Glockengebimmel wert, nich? Musikstücke heißen bei Last immer „Titel“. Yor fünf Jahren fragte die Rap-Gruppe Fettes Brot, ob er nicht einen so genannten Titel mit ihnen aufnehmen wolle.
„Und dann kamen die an. Und ich denk mir: Was haben die denn da dabei? So ’n Stoß alte Platten. Alte James Last, der alte Kram. Und die: Ja, vom Flohmarkt, Sie sind doch der Mann überhaupt‘ Ich hab das oft gehört, aber nie richtig geglaubt Und dann die: „Da haben wir was von genommen und davon und da was runtergesampelt…'“ Der Wissenschaftler und Nachtwerker – kann er mit solchen Hallodris arbeiten? „Das ist erstaunlich mit den jungen Leuten, die sind so… so konsequent. Wenn man Kompositionslehre gehabt hat und Musikgeschichte, dann geht man an solche Sachen natürlich anders ran. Die fangen an zu basteln. Das ist so ’ne Bastelstunde. Wir haben jetzt so Effekte drin, die hab ich von den jungen Musikern. Die sind bei mir schon drin im Kopp.“
Hansi kommt mit zwölf zum Klavierunterricht, Martha und Louis Last, die Hausfrau und der Gas- und Wasserwerksbeamte, gehören zu den ersten anti-autoritär erziehenden Eltern in Bremen-Seebaldsbrück, lassen den Sohn 1943 an die Heeresmusikschule in Bückeburg bei Hannover gehen statt zum Arbeitsdienst. Zurück im zerbombten Bremen stellt sich der 16-Jährige selbst auf die Füße, spielt mit improvisierten Tanzkapellen in Clubs für johlende US-Soldaten, mittlerweile am Kontrabass. Die Gage, zwei Schachteln Zigaretten pro Nacht, tauscht er gegen Essen für die Familie. Als im Dezember 1945 Radio Bremen auf Sendung geht, spielt Hans Last im Tanzorchester des Funk-Theaters, Schlager und Swing, alles, was verboten gewesen war. Nebenher macht er Jazz, schreibt mit 17 die erste Filmmusik-Partitur und korrigiert heimlich alle Fehler, die der Arrangeur gemacht hat, denn Last kennt seinen Bach, seinen Bartok, Mozart RaveL 1965, da spielt er als Festangestellter beim NDR, bringt er Beatles-Stücke zur Probe mit, die er für Tanzorchester arrangiert hat „Die haben gesagt: “Was, sollen wir das spielen? Das ist doch keine Musik, das ist doch… Rock’n’Roll-Scheiße.‘ Aber mich hat das interessiert. Die jungen Leute, wenn das denen gefällt, dann muss ja was dran sein. Und dann hab ich mich da reingeschafft.“ Last ist 36, als er der Deutschen Grammophon anbietet, die Tanzplatte ohne beamtische Beteiligung einfach selbst zu machen.
„Non Stop Dancing“ wird eine Bonanza für Hans Last, den Mathematiker. Weil alle 28 Titel Gema kosten, darf keiner länger als eine Minute 45 sein (auf einer raren Platte, die sie mit der Schere nachkürzten, reißt deshalb die Musik am Ende ab). Last arrangiert Dreiergrüppchen, „Rock Fox“, „Skiffle Beat“, zirkelt das Timing aus. „Ich war nicht so’n geiler Bock, dass ich unbedingt ’nen eigenen Titel unterbringen wollte. Das ergab sich so, dass einer vom Tempo nicht dazugepasst hat, dann hab ich einen dazugeschrieben. Du-du-dum da-dum, einfach weitergesungen.“ „Clap Hands“, die Eigenkomposition, kommt zwischen „Do Wah Diddy Diddy“ und „Pretty Woman“, am Ende der „Slop“-Sektion, als Überleitung zu „Slow Beat“. Die Studiotechnik von 1965 stellt nur ein einziges Mikrofon für das gesamte Orchester zur Verfügung. Weil der Mitmach-Sound, den Last im Kopf hat, radikale Schritte fordert, teilt er die Trompeten in zwei Gruppen auf – zwei links, zwei rechts vom Mikro, damit es stereo klingt. So sitzen sie heute noch auf der Bühne. Nach den Aufnahmen feiern sie eine Party im Studio, Sänger kommen dazu, sie lassen das fertige Band laufen, machen ihren Spaß dazu und schneiden alles mit. Das wird die Platte. Man hört, wie die Schwips-Gesellschaft „I Feel Fine“ immer weitersingt, obwohl die Musik schon vorbei ist.
So, wie schon der junge Hans Last genau richtig kam, um von der Amüsierlust des Wirtschaftswunders zu profitieren, war der Bedarf nach Tanzmusik in den sechziger Jahren enorm. „Die Alten haben auf die Jungen mit den langen Haaren geschimpft, viel mehr als heute. Und dann hatten die Alten auf einmal die Partymusik und haben nach den Songs getanzt, die bei den Jungen die Hits waren. Die haben gar nicht gemerkt, dass das Kids-Lieder waren.“ Um mit grinsenden Tanzschulen-Animateuren nicht verwechselt zu werden, schrieb Last – anders als Greger, Hugo Strasser und so weiter – ausnahmslos alles selbst. Bert Kaempfert, der die Beatles persönlich dagehabt hatte, fuhr eh auf einem anderen Gleis: „Bert war mehr so ’n Easy-Going-Typ, so: ‚Mach mal… komm, hier… eins…zwei…‘, und die Beatles waren aggressiver. Das hat Bert und mich eigentlich immer unterschieden. Viele haben gesagt, der Hansi war aggressiver. Soweit man aggressiv sein konnte, zur damaligen Zeit, mit den Musikern, nich?“
Dass er die Jugendkultur für seine Zwecke ausgebeutet habe, dass seine Fingerschnips-Version von „Satisfaction“ mit Schuld sei an der feindlichen Rückeroberung des Coolen durch die Erwachsenen, das wurde James Last nur ganz selten vorgeworfen. Vielleicht, weil er die Grenzen zwischen den zwei Welten nie mutwillig verwischt hat, weil er nie in der Lederjacke ankam. Andererseits ist Last der einzige deutsche Musiken der sich offen dazu bekennt, den Trends zu folgen. Wenn man Lust hat, kann man seine Plattencover als Geschmacksgeschichte der alten Bundesrepublik lesen: die Erfindung der Urlaubsreise in den Fünfzigern, das durchsickernde Hippietum, die dunkle Faszination, die der Ostblock ausstrahlte. Ende der Achtziger war Lasts größte Zeit vorbei, was historisch auch reiner Zufall sein könnte.
Der erste Schneider der Band, Charly Cisek, zupft noch heute die Jacketts zurecht, und auch er geht mit dem Trend, bestätigt James Last. Ob er den legendären weißen Anzug dabei hat? Last seufzt „Der weiße Anzug, der weiße Anzug. Ich hab das noch nie so oft gehört wie in den letzten Wochen: der weiße Anzug.“
Die Einladung in die Sowjetunion war damals vom Auswärtigen Amt in Bonn gekommen, Kulturaustausch. Ein ausgebuffter Tour-Musiker war James Last im Mai 1972 noch nicht, drei Jahre davor war das Orchester zum ersten Mal unterwegs gewesen (in Kanada – Deutschland kam später), und plötzlich 20 Konzerte in Tiflis, Leningrad, Kiew, Moskau. Die Flugzeuge schepperten, die Hotelklos stanken, die Deutschen kannten so was nicht. Die Zahl der mitreisenden Aufpasser mangelhaft getarnt als Dolmetscher; erhöhte sich von Station zu Station. Und der Happy-Music-Mann James Last, der mit Sturheit und naivem Instinkt in Deutschland logischerweise nicht aneckte, fand sich in der Rolle des Rebellen wieder.
Beim Konzert in Kiew hatten sie Gäste auf der Bühne, die am Rand um ein Tischchen mit Telefon saßen. „Die haben dann so gesagt: ‚Let The Sunshine In‘, das dürft ihr nicht spielen. Und ich hab gesagt: Leute, das ist ja nicht nur ein Titel, das ist für euch wichtig. Let the sunshine in! Open the Windows, come on! Und dann hat der von der Bühne aus mit Moskau telefoniert: ‚Der macht hier die Leute an!‘ Dann hieß es: „Keine Beatles-Songs!‘, und ich sag okay, dann spielen wir Na-Na-Na. Und dann haben 5000 Leute in Kiew gesungen: ‚Na na na na na, heeeeey, goodbye!“ Zum Finale in Moskau telegrafierte die deutsche Botschaft, er möge um Himmels Willen das Programm ändern. Eine Delegation kam aufs Hotelzimmer, Last meinte: Dann fliegt die Band eben heim. Warum sie ihn doch auf die Bühne des Sportpalastes ließen, erfuhr er später. Außenminister Gromyko war just auf Staatsbesuch bei Walter Scheel, Nixon wurde in Moskau erwartet, es kam auf gute Schlagzeilen an. In der DDR war es vergleichsweise entspannt. Die Leute hätten ihn als lustigen Kumpel aus dem Westen empfunden, sagt Last, da hätte er aufgepasst, nicht zu viel zu erzählen. Damit keiner neidisch wird. Nach dem Konzert in Berlin kam der Bühnenmeister vertraulich heran. „Der hat gefragt: ‚Soll ich Sie nach Hause fahren, ins Hotel? Ich hab aber nur ’nen Trabi!* Dann hat der sich da runtergeschlichen. Wie heißt der Plastikpalast? Palast der Republik! Alles unterkellert. Und er mich da durchgeschleppt. Der hat gefragt: ‚Weißt du, dass du der erste Star bist, der kein Auto bestellt hat? Alle anderen fahren Mercedes.‘ Und ich: ,Von der Halle ins Hotel, die paar Meter, da kann ich auch Trabi fahren.‘ Wir Deutschen haben die Gabe, kompliziert zu sein. Nicht nur die Musik, das ganze Leben ist ja komplizierter geworden. Darum muss ich ja auf Tournee gehen, ich meine: darum geh ich ja auf Tournee, um den Leuten zu sagen: Kinder, macht doch mal das vergrämte Gesicht weg! Habt doch mal Spaß am Leben! Und wenn irgendwas einfach ist, dann sagen sie: Das ist ja einfach! Das kann ja jeder!“ In die bundespräsidentischen Worte hinein lässt der Busfahrer draußen aggressiv den Motor an, Findley, Wiborg und weitere verkaterte Bläser stehen mit verpackten Tröten bereit. Und die Autogrammkarten sind da. „Wir brauchen Stifte!“ – „Haben wir“, sagt Christine, „silber und weiß.“ Beim Aufstehen knurrt James Last: „In 20 Jahren schreiben sie dann wieder: Er hat mit ’nem weißen Stift unterschrieben.“
Bei „TV Total“ geht es natürlich nicht um die Musik, nicht so wie früher bei der ZDF-„Starparade“. Als Last vor vielen Jahren Stefan Raab in der Kulisse der „Harald Schmidt Show“ traf, konnte der aus dem Stand alle Instrumentalstimmen des alten „Happy Luxemburg“-Arrangements singen, seither sind sie Freunde. Trotzdem soll es die Plattenfirma viel Geld gekostet haben, Last und seine Leute für eine ganze Woche in Raabs Sendung zu platzieren, als Promo für Platte und Tour. Im Studio in Köln muss die Band ein paar Medleys spielen, um bei der Aufzeichnung die Werbepausen zu simulieren das meiste wird später herausgeschnitten. Nina Hagen, die ihren Song von der „Hansi“-Platte singen sollte, kann nicht, sie muss zu Beckmann.
Pünktlich zur Probe stehen alle hinter den Notenständern. „Sollen wir was spielen?“ fragt Last ins Gewimmel der Kabelträger hinein, keine Antwort, also spielen sie. Mit unvorstellbarer Wucht. Wenn die süßen Streicherinnen nichts zu tun haben, machen sie Stimmungsbewegungen mit Armen und Geigenbögen, denn selbst der Soundcheck des James Last Orchesters macht schon irre Spaß. Der erste Durchlauf verzögert sich, Last schickt seine Musiker in die Pause und schreitet allein das Studio ab, langsam. Jetzt mehr wie ein Leuchtturmwärter. Hände auf dem Rücken, den Kopf leicht gesenkt. Er denkt. „Raab, dieser Arsch“, flüstert einer, „nur weil der zu Hause noch einen Kaffee trinkt, müssen alle warten. Hansi ist so ein pünktlicher Mensch.“ Bis Raab kommt, um die Probe einen Stock höher auf dem Monitor zu sehen, kann die Crew noch „die neuen Nippel“ testen, die hupenden Einspielfilme. Einer zeigt einen Sachsen, der hinter einem Kamelkopf hervorlugt und „Also bis gleisch!“ ruft In dieser Mittwochsausgabe wird Raab zur Band rübergehen und sagen, er habe immer davon geträumt, einmal im Leben wie James Last zu sein. Man rechnet fest mit dem typischen Gag. Dass die Band plötzlich ganz schräg spielt, sobald Raab dirigiert, aber sie bringen „Happy Music“ in voller, quietschender Pracht Während Raab gestikuliert, lehnt der Hansi im Moderatorenstuhl. Und man kann den widerlich pathetischen Gedanken nicht unterdrücken, dass er sogar von dort aus den Takt gibt, obwohl die Band ihn nicht sehen kann, durch Gedankenübertragung, astrale Projektion oder eine Showbusiness-Variante von Vaterliebe.
Die Szene wird geprobt, der Raab-Stellvertreter fragt, was man denn alles wissen müsse, um dirigieren zu können.
„Nix“, sagt James Last.