„Der Mann mit dem Besenstiel“: Leben und Tod von Les Paul

Würdigung eines großen Innovators, der nicht nur die Gitarrenwelt revolutionierte.

„Wenn ich mich den Leuten vorstelle, sind sie stets überrascht festzustellen, dass ich keine Gitarre bin und auch nicht tot“ – das soll Les Paul gerne mit einem Augenzwinkern bei seinen Auftritten ab Ende der 1990er-Jahre im New Yorker Jazzclub gesagt haben. Auch, wenn der Name Les Paul von vielen in erster Linie mit dem legendären Gibson-Modell assoziiert wird, war die Person dahinter viel größer und überdimensionaler: als Musiker, als Visionär und als Erfinder.

Les Paul wurde am 9. Juni 1915 in Waukesha, Wisconsin, als Lester William Polsfuss geboren. Sein Vater George arbeitete als Automechaniker, seine Mutter Evelyn war Hausfrau. Beide hatten deutsche Wurzeln.

Lester Polsfuss, circa 1929

Les Paul: Musikalische Anfänge

Mit Musik kam er bereits in jungen Jahren in Berührung. Als er acht Jahre alt war, spielte er Mundharmonika. Kurz darauf begann er mit dem Banjo, bevor er schließlich zur Gitarre wechselte. Lester hatte jedoch nicht nur eine große Begabung für Musik, sondern auch ein ausgeprägtes Interesse an Technik. Er zerlegte alte Grammophone und Mikrofone, studierte deren Innenleben und las Bücher zu diesen Themen. Seinen ersten Verstärker und sein erstes Aufnahmegerät baute er sich auf diese Weise selbst.

Ein junger Les Paul

„Ich habe 1928 angefangen, Gitarren aufzunehmen. Und der erste Verstärker war im selben Jahr, 1928, als ich einen Tonabnehmer vom Phonographen nahm, ihn in die Gitarre steckte, ein Telefon auseinander nahm, es unter die Saiten schob und schließlich in einer Raststätte spielte – einem Hamburgerstand, wissen Sie? Es lag zwischen Waukesha und Milwaukee, den beiden Städten, in denen ich lebte und arbeitete“, erinnerte sich Les Paul in einem auf der Musikerplattform reverb.com zitierten Interview.

„Ich arbeitete an diesem Grillstand, und sie konnten mich in ihren Autos nicht hören, weil ich nicht laut genug war. Also nahm ich das Radio meiner Mutter und sang hinein, mit einem Telefon als Mikrofon. Dann nahm ich die andere Hälfte des Telefons, den Teil, mit dem man zuhört, schob ihn unter die Saiten und benutzte ihn, um die Gitarre zu verstärken. Ich habe das Radio meines Vaters und das Radio meiner Mutter geklaut“, ergänzte er.

Den Namen Lester Polsfuss legte er bald ab. Als Künstlernamen wählte er zunächst Rhubarb Red und machte Hillbilly-Musik. Da er sich bald auch dem Jazz zuwandte, nannte er sich ab 1934 auch Les Paul (was bald sein Hauptname werden sollte). „Morgens war ich auf NBC zu sehen, da war ich ein Hillbilly. Mittags, nachmittags und abends spielte ich dann Jazz. Ich spielte auf zwei verschiedene Arten und hatte zwei verschiedene Namen“, erzählte er.

Seine Musikkarriere und die ersten Erfolge

Seine Musikkarriere nahm in den 1930er-Jahren Schwung auf, als er in Chicago als Gitarrist in Radioshows auftrat und mit seiner eigenen Band, dem Les Paul Trio, erste Erfolge feierte. Sein Debütalbum Jazz at the Philharmonic erschien 1944, gefolgt von einer Reihe von Erfolgen, darunter „Lover (When You’re Near Me)“ und „Brazil“. Hier experimentierte Les Paul erstmals mit Overdubbing und Multitrack-Techniken.

1948 erlitt Les Paul bei einem Autounfall schwere Verletzungen an Arm und Ellenbogen. Seinen Arzt bat er damals an, seinen Arm in eine Position zu bringen, in der er weiterhin seine geliebte Gitarre spielen konnte.

Die größten Erfolge feierte Les Paul im Duo mit seiner zweiten Ehefrau Mary Ford. Mit Songs wie „How High the Moon“ und „Vaya Con Dios“ landeten die beiden nicht nur Hits, sondern führten auch die Hitparaden an. Les Paul war ein brillanter Gitarrist und avancierte zu einem der bekanntesten Musiker seiner Zeit.

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Die Erfindung der Gibson Les Paul

Die Zukunft der Gitarre, da war sich Les Paul sicher, war elektrisch – und in Solidbody-Form. Was heute eines der etabliertesten Instrumente ist, war damals aber noch gar nicht existent. Wir sprechen hier schließlich von einer Zeit, bevor Leo Fender mit seinen ersten Modellen den Markt revolutionierte. Les Paul arbeitete damals an einem Prototyp namens „The Log“. 1939 freundete er sich mit dem Besitzer von Epiphone, Epi Stathopoulo, an und bekam Zugang zu den Schlüsseln der Epiphone-Fabrik. Dort durfte Les nachts an seiner Vision arbeiten.

So sah Les Pauls „The Log“-Prototyp aus

„The Log“ war, nomen est omen, ein dicker Holzscheit aus Kiefer, an den er Hals, Steg und Tonabnehmer montierte. Klar, das sah grobschlächtig aus, aber Les Paul war das zunächst egal. Er spielte das Instrument live, stieß jedoch zunächst eher auf Verwunderung als Begeisterung.

1941 wollte Les Paul die Gitarrenfirma Gibson von seinem Modell überzeugen. Er stellte seine Erfindung im Kalamazoo-Hauptquartier des Gitarrenriesen vor – und stieß auf Ablehnung. Der Legende nach bezeichnete man ihn dort als „Mann mit dem Besenstiel“. Les wurde unverrichteter Dinge heimgeschickt. Es sollte noch lange dauern – genauer gesagt neun Jahre –, bis seine Idee Gehör fand.

„Findet den Mann mit dem Besenstiel“

In der Zwischenzeit hatte Leo Fender mit seinem ersten Solidbody-Modell, dem Broadcaster (später zur Telecaster umbenannt), den Markt betreten – und veränderte damit die Musiklandschaft. Les Paul erinnerte sich: „Hier ist die Geschichte, wie Leo mir wirklich geholfen hat: Als ich 1941 meine erste Solid-Body-Gitarre entwickelte, brachte ich sie zu Gibson, und sie lehnten sie ab. Sie nannten es den ‚Besenstiel mit den Tonabnehmern darauf‘. “

Les Paul weiter: „Von 1941 bis 1951 konnte ich Gibson nicht davon überzeugen, eine Les Paul-Gitarre auf den Markt zu bringen. Schließlich beschloss Leo, die Fender Solid-Body-Linie zu veröffentlichen, und Gibson sagte sofort: ‚Findet den Mann mit dem Besenstiel mit den Tonabnehmern darauf!‘“

1952: Die Geburt der Gibson Les Paul

1952 erschien schließlich die erste Gibson Les Paul. Das erste Modell war die Goldtop, ausgestattet mit P90-Tonabnehmern und einer innovativen Brückenkonstruktion.

Eine Les Paul Goldtop aus dem Jahr 1953

Darüber, wie groß Les Pauls Einfluss auf dieses Modell tatsächlich war, gibt es verschiedene Versionen. Er selbst erklärte, dass er fast alle Details der Gitarre mitgestaltet habe. Laut ihm habe Gibson jedoch einige Elemente falsch umgesetzt – etwa die Kombination aus Brücke und Trapez-Saitenhalter sowie die Verwendung einer Ahorndecke. Der damalige Gibson-Präsident Ted McCarty hingegen behauptete, die Gitarre sei großteils bereits vor Les Pauls Mitwirkung in den Gibson-Werkstätten entwickelt worden. Paul habe lediglich eine Reihe von Prototypen erhalten und darauf basierend Vorschläge eingebracht. Auf Les Pauls Konto, so die Geschichtsschreibung nach McCarty, gingen unter anderem die Brücke/Trapez-Saitenhalter-Kombination sowie die goldene und schwarze Lackierung der ersten Modelle (Standard und Custom).

1953 erschien ein zweites Modell in schwarz, die Les Paul Custom, fünf Jahre später kamen Standard-Modelle in Sunburst auf den Markt. Diese waren eher für ältere Jazz-Gitarrist konzipiert und wurden damals als viel zu schwer erachtet. Die Produktion der Les Paul wurde 1961 schließlich wieder eingestellt. Gibson brachte die SG als vermeintlich moderneren Nachfolger auf den Markt. Die SG war leichter, hatte zwei Cutaways und sollte eine neue Generation von Gitarristen ansprechen – nur, dass Les Paul sie hasste. Die Les Paul sollte jedoch Mitte der 1960er-Jahre wieder zurückkommen. Geschuldet war dies einer Reihe von Blues-Rock-Musikern wie zunächst Eric Clapton, die sich auf alte Vorbilder beriefen und die Gitarre wieder ins Bewusstsein und auf die Bühnen brachten. Auch Fleetwood-Mac-Gitarrist Peter Green, Jeff Beck und Jimmy Page trugen viel zum Wiederaufleben bei.

Ende der 1980er-Jahre feierte die Les Paul erneut einen grandiosen Popularitätsschub durch Guns-N’-Roses-Gitarrist Slash. Man sagt ihm gerne, halb im Scherz, nach, die Firma Gibson durch seinen Einsatz jahrelang am Leben gehalten zu haben. Heute ist die Les Paul ein Klassiker. Burst-Modelle aus dem Jahr 1959 zählen zu den begehrtesten Sammlerstücken und erzielen Preise von Hunderttausenden bis hin zu mehreren Millionen Euro.

Die Gibson Les Paul diente als Blaupause für zahlreiche andere Gitarren. Viele kopierten sie, andere entwickelten sie weiter und passten sie an neue spielerische und stilistische Anforderungen an. Die Les Paul, so viel steht fest, ist gekommen, um zu bleiben.

Miterfinder des Multitrackings

Les Paul war aber nicht nur in Sachen Gitarren ein Innovator. Für die Erfindung des  Multitracking, also die Technik, bei der man Spuren übereinander aufnehmen kann, war er Impulsgeber, arbeitete mit der US-amerikanischen Firma Ampex. Auch bei der Entwicklung von Echo- und Halleffekten spielte er eine Rolle.

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1964 ließen sich Les Paul und Mary Ford scheiden. Wenige Jahre später zog er sich weitgehend aus dem Musikgeschäft zurück, blieb der Musik jedoch treu. Er veröffentlichte Alben mit Chet Atkins (Lester and Chester) und erhielt 1978 zusammen mit Mary Ford die Aufnahme in die Grammy Hall of Fame. Fünf Jahre später, 1983, wurde er mit dem prestigeträchtigen Grammy Trustees Award ausgezeichnet, der sein Lebenswerk und seinen Einfluss auf die Musikindustrie würdigt.

Seine späten Jahre

Les Paul trat bis ins hohe Alter auf. Mitte der 1990er-Jahre spielte er wöchentliche Shows im New Yorker Iridium Jazz Club, bei denen er oft Weltstars der Gitarre auf der Bühne begrüßte. Sein letztes Album, „American Made, World Played“ (sein erstes in 19 Jahren), erschien 1995 unter dem Namen Les Paul and Friends. Mit Eddie Van Halen zeichnete ihn eine Freundschaft unter Erfindern aus, die beiden spielten auch zusammen. Auch Keith Richards schaute vorbei, um mit ihm zu jammen – genau wie Joe Satriani und andere Gitarrengrößen.

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Les Paul starb am 12. August 2009 an den Folgen einer Lungenentzündung. Er wurde 94 Jahre alt und hinterließ vier Kinder aus seiner ersten Ehe mit Virginia Webb. Er war schon zu Lebn

Slash über Les Paul: „Ein echter Maverick“

„In erster Linie war er ein verdammt guter Musiker und Jazzgitarrist, aber er hat auch eine ganze Reihe von Aufnahmetechniken erfunden, die wir verwenden: Hall, Multitracking, Overdubbing, Echo, Delay … Er hat sie erfunden, weil es sie damals noch nicht gab. Les dachte, er bräuchte diese Dinge, also baute er sie“, erzählte Slash in einem Interview mit der LA Times.

Les Paul und Slash im Jahr 1996 bei einem gemeinsamen Auftritt

Slash weiter: „Er war ein echter Maverick. Er war großartig. Ich kannte ihn seit 1991. Das erste Mal, als ich ihn traf, jammte ich mit ihm in dem Club, in dem er auftrat, Fat Tuesdays in New York. Es war ziemlich überwältigend, eine solche Ikone zu treffen und mit ihr zu jammen. Er hat sofort den Boden auf der Bühne mit mir aufgewischt [lacht], wissen Sie? Das war eine dieser demütigenden Erfahrungen. Aber danach hat er mich unter seine Fittiche genommen, und wir wurden Freunde. Ich habe meinen Fortschritt als Gitarrist immer daran gemessen, wie gut ich an einem bestimmten Tag mit Les gejammt habe. Er war so etwas wie das Barometer für meine Entwicklung als Gitarrist.“

 

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