Der Mann fürs Neue

Conny Plank war mit seinen Arbeiten für Kraftwerk, Neu! und Brian Eno der stilprägendste und bedeutendste deutsche produzent. 25 Jahre nach seinem Tod wird er nun endlich wiederentdeckt

Kraftwerk und NEU!, Cluster und Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Brian Eno und Ultravox: All diese Künstler und Bands hat Konrad „Conny“ Plank seit Ende der 60er-Jahre bis zu seinem frühen Tod 1987 produziert; in den Siebzigern und frühen Achtzigern war er der bedeutendste deutsche Produzent, ein stilprägender Techniker und Impresario, eine der zentralen Figuren der Krautrock-Bewegung, ein Popstar eigenen Rechts. Und dennoch hat es bislang keine Biografie oder gar Retrospektive von ihm gegeben, über sein Leben und Schaffen existieren nur lückenhafte, oft auch widersprüchliche Informationen.

Immerhin: Kurz nach seinem 25. Todestag erscheint jetzt auf Herbert Grönemeyers Grönland-Label eine Vier-CD-Box mit dem Titel „Who’s That Man?“ und einem hervorragenden Cover, das den Produzenten mit Prinz-Eisenherz-Topfschnitt und nadelscharf frisiertem Vollbart zeigt. Auf zwei von den vier Platten gibt es eine – nicht ganz repräsentative, sondern wohl auch der komplizierten Lizenzlage geschuldete – Auswahl von Conny-Plank-Produktionen zu hören: Man begegnet Krautrock-Gruppen wie NEU!, Ibliss und La Düsseldorf, New-Wave-Bands wie D.A.F. und den Eurythmics, aber auch obskurem Zeug aller Art wie Arno Steffen, Psychotik Tanks und Fritz Müller. Die dritte Platte enthält neuere Remixe von Plank-Produktionen; auf der vierten findet sich der Mitschnitt eines Konzerts, das er 1986 in Mexiko-Stadt gegeben hat.

Wesentlich organisiert wurde die Compilation von Stephan Plank, dem 1974 geborenen Sohn des Produzenten und der Schauspielerin Christa Fast. Er arbeitet auch an einem Film über seinen Vater und versucht gegenwärtig, so gut es geht, dessen Biografie zu rekonstruieren. Als Conny Plank starb, war Stephan 13 Jahre alt; und selbst für ihn ist es im Nachhinein schwer, die Mythen von der Realität zu trennen: „Du glaubst gar nicht, was über meinen alten Herrn für Räuberpistolen erzählt werden.“ Hat er wirklich 90 Austern gegessen, als ihn der Manager von Les Rita Mitsouko in Paris zum Essen einlud? Hat er wirklich vier Jahre lang nicht geschlafen, als er in einem Hamburger Studio tagsüber Schlager produzierte und nachts avantgardistischen Rock?

Schwer zu sagen. Eines ist immerhin sicher: Je intensiver man sich mit Planks Lebensweg und Karriere befasst, desto deutlicher wird, dass er eben nicht nur der Meisterproduzent des Krautrock und der frühen elektronischen Musik gewesen ist. Vom Schlager bis zur elektroakustischen Avantgarde hat er vielmehr in allen nur denkbaren Genres gearbeitet, und das oftmals auch noch zur gleichen Zeit. Was in den 70er-Jahren aber gar nicht so ungewöhnlich war: In der Szene, in der Plank sich bewegte, traf man den Komponisten Karlheinz Stockhausen und Kraftwerk ebenso wie Otto Waalkes, die Avantgardisten der Deutsch Amerikanischen Freundschaft und die Bläck Fööss aus Köln.

1940 in Hütschenhausen in der Nähe von Kaiserslautern geboren, machte Plank zunächst eine Ausbildung zum Elektrotechniker und lernte anschließend beim Saarländischen Rundfunk das Tonmeistern. Mit dem DJ Erich Werwie betrieb er auch eine Radiosendung; allerdings wurden die beiden alsbald gefeuert, weil sie von der Programmkommission nicht genehmigte Jazzplatten spielten. So siedelte Plank von Saarbrücken 1963 nach Köln über, wo er unter anderem beim WDR für Karlheinz Stockhausen als Tontechniker arbeitete.

Die entscheidende Begegnung aus dieser Zeit war aber jene mit Ernst Brücher, dem Chef des Dumont-Buchverlags, der wiederum in Hamburg auch ein Tonstudio betrieb, das Windrose-Dumont-Time-Studio. Für vier Jahre, von 1969 bis 1973, ging Plank nach Hamburg, um in diesem Studio zu arbeiten; in dieser Zeit wohnte er in der „Villa Kunterbunt“, einer Hausgemeinschaft aus Künstlern und Freaks, zu der unter anderem auch Otto Waalkes und Udo Lindenberg gehörten. Tagsüber nahm Plank eben Schlager auf – „ich habe in seinem Archiv auch Bänder von Drafi Deutscher und Mike Krüger gefunden“, sagt sein Sohn -, nachts produzierte er etwa „Tone Float“, die erste (und einzige) Platte der Band Organisation, aus der 1970 dann Kraftwerk und Neu! hervorgingen.

„Der Kontakt zu diesem Musikerkreis“, erzählt Stephan Plank, „kam über Eberhard Kranemann, einen Bildenden Künstler aus der Beuys- Klasse, den mein Vater wiederum über Stockhausen kennengelernt hatte.“ Kranemann spielte vorübergehend Schlagzeug bei Kraftwerk, wie etwa ein halbes Dutzend anderer Leute auch. „Die kamen ja alle aus demselben Freundeskreis und musizierten in dauernd wechselnden Besetzungen“, sagt Stephan Plank. „Mein Vater hat sie dann gezwungen, mal Konzerte zu geben und auf Festivals aufzutreten und schließlich sogar ins Studio zu gehen. So ist es durch ihn überhaupt zu der ersten Kraftwerk-Platte gekommen.“

Anders als die offizielle Kraftwerk- Geschichtsschreibung behauptet, wurden die ersten Alben der Band keineswegs schon in ihrem Düsseldorfer Kling-Klang-Studio produziert – „Kraftwerk“ entstand in Hamburg, die folgenden beiden Alben wurden von Conny Plank im Rhenus-Studio in Köln-Godorf aufgenommen. 1973 zog Plank mit seiner Freundin Christa Fast zurück in die Nähe von Köln, nach Neunkirchen-Seelscheid, und richtete sich in einem ehemaligen Schweinestall in „Conny’s Studio“ ein. Dort entstand als Erstes „Autobahn“. Danach riss der Kontakt zwischen Plank und der Kraftwerk-Besetzung der mittleren Siebziger ab, was wohl auch damit zu tun hatte, dass sie ihn plötzlich als Auftragsproduzenten ansahen und entsprechend nicht an den wachsenden Einnahmen aus ihren Platten zu beteiligen gedachten.

In Hamburg waren zuvor noch die ersten beiden Neu!-Alben entstanden, aber auch „Klopfzeichen“ von Kluster sowie 1972 „Lonesome Crow“, das erste und bis heute auch beste Album der hannoveranischen Band Scorpions. Mit Wilken F. Dincklage, einem weiteren Mitbewohner aus der Villa Kunterbunt, der später unter dem Namen Der Dicke Willem mit Liedern wie „Tarzan ist wieder da“ und „Wat“ beachtliche Hitparadenerfolge erzielte, gründete Plank den Kraut Musikverlag und die Schallplattenlabels Aamok und Spiegelei. Es gab zwei Aamok-Sampler, auf denen unter anderem Kraftwerk, Cluster, Neu! und Guru Guru vertreten waren; zu den hier veröffentlichten Langspielplatten zählte aber auch eine Kollaboration zwischen der Old Merry Tale Jazzband und dem friesischen Barden Knut Kiesewetter. Er war also mitnichten ausschließlich auf elektronische Musik abonniert. „Mein Vater war überhaupt nicht auf Elektronik fixiert“, sagt Stephan Plank. „Er wollte seinen Bands immer genau den Sound schneidern, der zu ihnen passte. Wenn man dafür elektronische Mittel brauchte, war es gut; wenn nicht, dann brauchte man sie eben nicht.“

Dennoch waren es natürlich die Platten von Kraftwerk und Neu!, denen Plank ab Mitte der 70er-Jahre seine ungeheure internationale Ausstrahlung verdankte. Wegen ihnen kam etwa auch Brian Eno zu ihm – gemeinsam produzierten sie „Music For Airports“, und Eno brachte dann auch Künstler wie Ultravox, Devo oder David Bowie nach Neunkirchen-Seelscheid. Nicht alle waren jedoch willkommen. „Meine Mutter“, sagt Stephan Plank, „war ganz begeistert von David Bowie, weil er sämtliche Aufnahmen von meinem Vater auswendig herunterbeten konnte, und auch weil er so glücklich darüber war, dass ihn im Supermarkt im Bergischen Land niemand erkannte. Mein Vater sagte nur:, Bringt den Junkie raus.'“

Ebenfalls abgelehnt wurden etwa Jethro Tull und Jean Michel Jarre, den Plank für einen „Lügner am Synthesizer“ hielt, und dann noch einmal in den Achtzigern – eine immer wieder gern erzählte Geschichte – die Brian-Eno-Schützlinge U2. „Die saßen bei uns am Küchentisch und baten ihn darum,, The Joshua Tree‘ zu produzieren“, erzählt Stephan Plank. „Mein Vater sagte:, Ich denk drüber nach.‘ Dann fuhren wir mit der ganzen Familie zum Loreley-Festival, wo Bono auf die Bühne ging und sagte:, Bitte begrüßt auch unseren neuen Produzenten, Conny Plank!‘ Daraufhin hat mein Vater sich umgedreht und ist gegangen, und mit Bono oder sonstwem von U2 hat er nie wieder ein Wort gewechselt.“

Zu Dauergästen in „Conny’s Studio“ wurden hingegen New-Wave-Bands wie Ultravox und Killing Joke; aber auch Gianna Nannini nahm bei Plank diverse Platten auf. Stephan Plank schwärmt noch heute von ihren leckeren Pastagerichten: „Vor dem Kochen rief sie immer bei ihrer Mutter in Italien an, um sich die genauen Rezepte durchgeben zu lassen.“ Der befreundete Gitarrist Creepy John Thomas machte Plank mit den beiden Sessionmusikern Annie Lennox und Dave Stewart bekannt, deren erstes Album als Eurythmics,“In The Garden“, er 1978 produzierte. Und 1980 ließ Daniel Miller in Neunkirchen-Seelscheid das erste Langspielalbum seines gerade gegründeten Mute Labels aufnehmen: „Die Kleinen und die Bösen“ von Deutsch-Amerikanische Freundschaft. „Daniel hatte sich damals von seiner Mutter das Geld für die Studioproduktion geliehen“, erzählt Stephan Plank, „und mit meinem Vater dafür eine Anzahl von Tagen ausgehandelt, innerhalb derer das Album fertiggestellt werden sollte. Dann ist er mit den beiden Musikern angereist, und Conny hat mit Robert (Görl, Schlagzeuger bei D.A.F.) und Gabi (Delgado-López, Sänger) gesprochen, einen Tag lang. Dann haben sie gut gekocht und gut gegessen. Und dann am zweiten Tag: wieder nur gesprochen. Am dritten Tag: gesprochen. Daniel wurde richtig nervös! Kurz bevor die Zeit abgelaufen war, machten die drei einen langen Spaziergang, gingen ins Studio – und nahmen das Album in einem Rutsch auf.“

So sei es, sagt Plank, bei seinem Vater stets gewesen: Nicht der technische Prozess stand im Vordergrund, sondern das Soziale, die Kommunikation mit der Band. Zwar war er ein fanatischer Bastler und Tüftler. Über ein Jahrzehnt schraubte er an dem legendären selbst gebastelten Mischpult in seinem Studio herum. Immer wieder verschwand er während der Aufnahmen in der Elektrowerkstatt, um neue Geräte zusammenzulöten. Doch das eigentlich Entscheidende war seine Fähigkeit, sich auf die Musiker einzulassen und auszuloten, wie sich ihre Ideen soundmäßig am besten umsetzen ließen. „Mein Vater wollte vor allem eine angstfreie Atmosphäre schaffen, ein Familiengefühl.“ Manche der neuen Familienmitglieder blieben dann auch gern länger in „Conny’s Studio“ und im angrenzenden Wohnhaus der Familie Plank. Ultravox quartierten sich einmal für drei Monate ein: „Wir haben alle das gleiche Badezimmer benutzt und in der gleichen Küche gegessen.“

Von Neu! bis zu Heinz Rudolf Kunze, von Zupfgeigenhansel bis zu A Flock of Seagulls hat Plank also Musiker und Gruppen aus jedem nur denkbaren Genre produziert. „Das bleibt eine der spannendsten Fragen“, sagt der Plank-Sohn, „wenn es um meinen Vater geht: Nach welchen Kriterien hat er die Künstler ausgewählt? Ich glaube, es ging ihm vor allem um Glaubwürdigkeit, um Authentizität. Darum hat er seinen Musikern auch immer dazu geraten, nicht nach Amerika zu schauen, sondern eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln. Nicht, weil er Anti-Amerikaner war, sondern weil er fand, dass die Europäer etwas Eigenes machen sollten. Das war für ihn die Verbindung zwischen D.A.F. und Gianna Nannini, zwischen Bläck Fööss und Les Rita Mitsouko. Es ging um Identität!“

Als Musiker hat Plank nur selten gewirkt, und wenn, dann zumeist in Kooperation mit Dieter Moebius von Cluster. Ende der 70er-Jahre betrieben sie gemeinsam die Band Liliental, in der auch der Kraan-Bassist Helmut Hattler mitwirkte sowie der musizierende Yogameister Okko Bekker, der in dem Quintett Okko, Lonzo, Berry, Chris und Timpe später auch die Hitparaden eroberte. Das zweite größere Bandprojekt betrieb Conny Plank Mitte der 80er-Jahre mit Moebius und Arno Steffen – einem Kölner Multiinstrumentalisten und Humoristen, der aus dem Umfeld des Kölsch-Punkers Helmut Zeltinger kam. Schon 1982 hatte Steffen mit Plank das Album „Schlager“ produziert, das mit „Supergut, ne“ auch ein Hauptwerk der späten Neuen Deutschen Welle enthält. Mit seinem nervtötend-dadaistischen Text („Ist ja alles supergut, ne? Schön schön!“) erinnerte der Titel einerseits an „Da-da-da“ von Trio; die Musik dazu wurde andererseits komplett mit zwei Emulator-Geräten gesampelt. Mit ihren Metallklängen und manipulierten Umweltgeräuschen verweist sie bereits auf die Industrial Disco, die Depeche Mode dann zwei Jahre später auf „Some Great Reward“ entwarfen (und die Einstürzenden Neubauten 1985 mit „Yü Gung“). Auch hier gingen Schlager und Avantgarde also noch einmal Hand in Hand.

Das Trio Plank-Steffen-Moebius spielte hingegen eine Art Trance-Musik mit metallenen Rhythmen und allerlei psychedelischem Gezirp und Gezwitscher. Dank Unterstützung des Goethe- Instituts konnten sie damit 1986 sogar auf eine große Mexiko-Tournee gehen. Ein Mitschnitt ihres ersten Konzerts in Mexiko-Stadt findet sich in der „Who’s That Man?“-Box auf der vierten CD. „An diesem Abend“, sagt Stephan Plank, „spuckte mein Vater zum ersten Mal Blut.“ Es dauerte kaum ein Jahr, bis ihn der Lungenkrebs hingerafft hatte.

Conny Plank starb am 18. Dezember 1987. Fast 20 Jahre lang hat Christa Fast das Studio dann noch weiterbetrieben, bis zu ihrem Tod im Jahr 2006. Danach wurde die Firma geschlossen und der alte Schweinestall abgerissen. Das selbst gebastelte Mischpult von Conny Plank steht heute in London bei dem Produzenten Mark Ralph, der unter anderem die letzte Platte von Hot Chip damit abgemischt hat. Auf dem ehemaligen Studiogelände in Neunkirchen-Seelscheid wurde hingegen eine Siedlung aus ökologisch korrekten Niedrigenergiehäusern errichtet.

WHO’S THAT MAN

Die Vier-CD-Box mit dem Untertitel „A Tribute To Conny Plank“ erscheint am 8. Februar bei Herbert Grönemeyers Label Grönland und enthält unter anderem Plank-Produktionen von Neu!, D.A.F. und La Düsseldorf.

im Studio

Von Kraftwerk bis Karneval: eine Auswahl-Diskografie

NEU!

NEU!

Brain, 1972

Klaus Dinger und Michael Rother waren bei Kraftwerk ausgestiegen und erfanden mit Conny Plank die minimalistisch-mechanische NEU!-Motorik.

kraftwerk

Autobahn

PHILIPS, 1974

Auf Planks zweiter Kraftwerk-Produktion verabschieden sich die Düsseldorfer vom Krautrock und setzen verstärkt auf kalte Elektronik.

CLuster & Eno

Cluster & Eno

Sky, 1977

Enos Experimente, Clusters repetitive Elektronik und Planks Produktionsgenie fanden hier erstmals zusammen. Die Erfindung von Ambient.

Ultravox

Systems Of Romance

Island, 1978

Die Geburt des Synthie-Pop! Plank löste mit dem dritten Ultravox-Album Steve Lillywhite ab und verband seine Krautrock-Expertise mit modernster Studiotechnik.

.

devo

Q: Are We Not Men? …

warner, 1978

Mit Plank als Toningenieur produzierte Brian Eno diesen New-Wave-Klassiker, der durch den prominenten Einsatz von Synthesizern wegweisend war.

D.A.F.

Die Kleinen und die Bösen

Mute, 1980

Die erste Seite des zweiten D.A.F.- Albums produzierte Plank in seinem Studio. Für das Mute-Label und die 80s-Elektronik ein Meilenstein.

De bläcK fööss

D’r Rhing erop –

D’r Rhing eraf…

EMI, 1980

Nicht nur als Elektronik-Pionier machte Plank sich einen Namen. Auch eines der besten Alben der kölschen Beatles veredelte Plank mit seiner Produktion.

eurythmics

In The Garden

RCA,1981

Plank brachte die Eurythmics für ihr Debüt mit Musikern von Can und D.A.F. zusammen. Das Ergebnis: ein eigenwilliger Bastard aus Elektro-Pop und Krautrock.

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