„Der Mann, der die Gitarre veränderte“: Leben und Tod von Allan Holdsworth

Eddie Van Halen, Frank Zappa und Steve Vai verehrten ihn – im Mainstream kam Allan Holdsworth nie an

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„The man who changed guitar forever!“ – So nannte Allan Holdsworths Plattenfirma im Jahr 2017 eine Retrospektive. Einer hasste diesen Titel über alle Maßen: Allan Holdsworth selbst. Er fühlte sich vor den Kopf gestoßen, als er den Namen des Boxsets sah, konnte ihn schlussendlich aber nicht mehr verhindern. Dieses Ikonographische, diese Superlative waren für Holdsworth einfach nicht Teil seiner Sichtweise auf die Dinge.

„Ich war absolut entsetzt, als ich das Boxset sah. Tatsächlich habe ich das eigentliche Cover erst gesehen, als es bereits in Produktion war. Ich bin ausgerastet!“, erklärte Allan Holdsworth im Gespräch mit „Louder Sound“. „Das könnt ihr nicht auf die Vorderseite schreiben, „Der Mann, der die Gitarre für immer verändert hat!“‘ Ich sagte: ‚Erklärt euren Lesern, dass ich davon nichts wusste.‘“ Und weiter: „Das ist nichts, was ich sagen würde: ‚Hier komme ich, König der Menschen.‘“

Holdsworth mit einem besonderen Instrument, auf das wir später noch zurückkommen werden
Rob Verhorst Redferns

Aber, sorry Allan – der reißerische Titel trifft durchaus zu. Auch wenn ihm der Mainstream-Ruhm, wie vielen Genies, verwehrt geblieben ist – Holdsworth schuf ein einzigartiges Werk, spielte die Gitarre wie kein anderer und gilt beim Who’s Who der Gitarrengrößen als prägender Einfluss. Frank Zappa, Eddie Van Halen, Steve Vai, Joe Satriani, George Benson, Meshuggah und viele andere: Sie alle bewunderten Holdsworths visionäres Spiel und seine Kompositionen.

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Einzigartige Voicings, Akkorde und Harmonieverständnis

Seine Voicings, die Art, wie er Akkorde spielte – gespreizte Finger, weit über das Griffbrett verteilt, mehr wie ein Pianist als ein Gitarrist. Holdsworths Art zu komponieren, diese unerwarteten Changes und Wendungen, dieses eigene harmonische Verständnis. Seine eigene Welt der Harmonielehre, seine theoretischen Erklärungen – so viel an seinem Spiel und seiner Person war einzigartig.

Es verwundert nicht, dass es eigentlich Saxofonisten waren, die Allan Holdsworth prägten: Charlie Parker, John Coltrane, die Klassiker – aber auch Michael Brecker und Cannonball Adderley. Holdsworth wollte die Gitarre wie ein Saxofon klingen lassen, etwas, das man im Jazz oft liest. Einen atmenden, fließenden Ton kreieren, fluide, singende tonale Übergänge, Legato-Klänge. Natürlich gab es auch Gitarristen, die für ihn wichtig waren: Django Reinhardt, Joe Pass, Wes Montgomery. Ebenso zählen Jimmy Raney, Charlie Christian und, etwas aus der Reihe tanzend, Hank Marvin dazu.

Allan Holdsworth: Kindheit und Anfänge

Allan Holdsworth wurde am 6. August 1946 in Bradford, England als Kind von Vera Holdsworth and Joshua Hollins geboren, wuchs aber bei seinen Großeltern Sam und Elsie Holdsworth auf. Es war Sam, ein Jazzpianist, der Allan auf die Gitarre brachte – und ihm viel über Harmonie lehrte, den Rest schaffte sich Allan autodidaktisch drauf.

Seinen ersten professionellen Einsatz hatte Allan Holdsworth in der Glen South Band, mit der er durch Nordengland tourte. 1969 war er auf einer Platte der Band Igginbottom, dem Album „Igginbottom’s Wrench“, zu hören. Die frühen 1970er-Jahre waren seine Progrock-Jahre – er arbeitete mit Nucleus („Belladonna“, 1972) und Tempest („Tempest“, 1973). Weitere Acts, denen er seine Gitarrenkünste lieh, waren Soft Machine, The New Tony Williams Lifetime, Pierre Moerlen’s Gong und Jean-Luc Ponty. Holdsworth zog in die USA.

1977 wurde er Teil der Band U.K., blieb aber nicht lange. Nach nur einem Album („U.K.“, 1978) verließ er die Gruppe aufgrund musikalischer Differenzen. Zwei Longplayer mit Bruford folgten: „Feels Good to Me“ (1978) und „One of a Kind“ (1979) – dann beschloss er, endlich seine Solokarriere zu verfolgen.

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Die Sache mit dem ersten Soloalbum

Wobei man eigentlich sagen muss, dass de facto sein erstes Soloalbum bereits 1976 erschien. „Velvet Darkness“ erschien über das Label CTI Records – war allerdings alles andere als ein autorisiertes Album. Die Band hatte gemeinsam mit dem Engineer Rudy Van Gelder in New Jersey eine Reihe von Stücken aufgenommen. Für Holdsworth waren das eher Probeaufnahmen, alles andere als ein fertiges Album (und ganz bestimmt nicht sein Debüt!). CTI veröffentlichte das Album jedoch – und zwar ohne Holdsworth oder die anderen beteiligten Musiker um Erlaubnis zu fragen.

Eddie Van Halen verschafft Holdsworth einen Major-Deal

Sein erstes richtiges Soloalbum, „I.O.U.“, erschien 1982. Holdsworths Band bestand aus dem Schlagzeuger und Pianisten Gary Husband, dem Bassisten Paul Carmichael und dem Sänger Paul Williams. Zu der Zeit war Holdsworth in der Gitarrenszene bereits hoch angesehen – etwa bei Eddie Van Halen, der Holdsworth zur Nummer eins erklärte, über den grünen Klee lobte und seine Prominenz sowie Kontakte nutzte, um seinem Kollegen einen Deal bei dem Majorlabel Warner Bros. zu verschaffen.

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Es hätte so schön werden können: Holdsworth und Band gingen mit dem bekannten Produzenten Ted Templeman ins Studio. Mit dabei waren Jeff Berlin (Bass, ehemaliger Bruford-Bandkollege), Chad Wackerman (Schlagzeug, damals bei Frank Zappa) sowie Paul Williams (ehemaliger Sänger von Juicy Lucy und Tempest). Holdsworths Major-Debüt sollte auch sein einziges auf einem Majorlabel erschienenes Album werden – genau gesagt: Es wurde nicht mal ein Album. Templeman und Holdsworth hatten massive kreative Differenzen, „Road Games“ erschien als LP (nur auf Vinyl, erst Jahre später auf CD). Immerhin: Es wurde 1984 für einen Grammy in der Kategorie „Best Instrumental Rock Performance“ nominiert.

Holdsworth: Weitere Alben und die SynthAxe

Es folgten eine Reihe von bemerkenswerten Alben, etwa Metal Fatigue im Jahr 1985 und Atavachron im Folgejahr. Hier nutzte Holdsworth ein besonderes Instrument, das er bekannt machte und das noch heute mit ihm verbunden wird: die SynthAxe, einen MIDI-Controller zwischen Synthesizer und Gitarre.

„Das geht eigentlich bis weit in meine Kindheit zurück. Denn ich wollte immer ein Horn oder eine Geige oder etwas anderes spielen, bei dem man eine Note formen kann, im Gegensatz zur Gitarre, die im Grunde ein Schlaginstrument ist“, erklärte er im Interview mit „The Guardian“. „Und ich habe immer versucht, die Gitarre so klingen zu lassen, dass sie nicht wie ein Schlaginstrument klingt. Als die SynthAxe aufkam, öffnete sie nicht nur die Tür zu verschiedenen Texturen und Klängen, die auf der Gitarre nicht verfügbar waren […] Ich habe durch das Spielen dieses Instruments eine Menge gelernt“, so Allan Holdsworth weiter.

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„Secrets“ und die Arbeit in „The Brewery“

1989 erschien mit „Secrets“ eines seiner besten Alben. Insgesamt nahm Holdsworth ab den 1990er-Jahren in seinem Homestudio „The Brewery“ elf Soloalben auf. Sein letztes: Flat Tire: Music for a Non-Existent Movie im Jahr 2001. Zwischenzeitlich musste er seine Karriere aufgrund privater Probleme pausieren – es war auch bekannt, dass Holdsworth zu viel trank.

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2015 initiierte Holdsworth ein PledgeMusic-Projekt, um neues Studiomaterial in der Sammlung Tales from the Vault zu veröffentlichen. Das Album wurde im Juli 2016 veröffentlicht.

Holdsworth arbeitete im Laufe seiner Karriere mit zahlreichen Musikern zusammen, darunter Level 42, Derek Sherinian, Stanley Clarke, Jack Bruce, Krokus und viele andere.

Auch wenn Holdsworth in Musikerkreisen längst legendär war – reich wurde er damit nicht. Zwischenzeitlich musste er Equipment verkaufen, um Geld zum Leben zu haben.

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Apropos Equipment: Da war er auch innovativ. „Ich habe diese Box [den ‚Harness‘] gebaut, die man einfach an den Ausgang eines Verstärkers anschließt. Sie hat einen Ausgang mit einer Lautstärke- und einer Tonregelung. Es ist ein komplett isolierter Ausgang, der an eine Stereo-Prozessorkette oder einen Mono-Endverstärker angeschlossen werden kann, sodass man die Lautstärke von null bis beliebig regeln kann. Und sie fängt den gesamten Klang des Originalverstärkers ein“, beschrieb er etwa einen Attenuator, den er sich selbst baute. Gemeinsam mit Kiesel veröffentlichte er mehrere Signature-Gitarren und war einer jener Gitarristen, die Headless-Modelle populär machten.

Allan Holdsworth: Tod

Allan Holdsworth starb am 15. April 2017 in seinem Haus in Vista, Kalifornien. Er war 70 Jahre alt. Er hinterließ vier Kinder aus zwei gescheiterten Ehen. Eine offizielle Todesursache wurde nicht genannt, mehrere Medien berichteten allerdings von Herzversagen.

„Ich stimme dem Begriff ‚bester Gitarrist‘ nur sehr selten zu“, sagte Steve Vai einmal über ihn. „Es erscheint mir geradezu obszön, etwas so Subjektives in eine ‚Beste‘-Kategorie einzuordnen. Aber wenn ich jemanden nennen müsste, wäre es Allan Holdsworth.“ Vai fuhr fort: „Er war in einer Weise einzigartig, die, wie ich glaube, noch nicht vollständig erkannt wurde. Viele Musiker gelten als ihrer Zeit voraus, aber meistens sind sie das nicht wirklich. Sie sind vor allem den anderen ihrer Zeit voraus.“

Holdsworth im Jahr 2006
Jordi Vidal Redferns

Voivod-Gitarrist Daniel Mongrain beschrieb ihn einst so:

„[Allan] war eine einzigartige Persönlichkeit – allein schon, wie er Dinge betrachtete. hat die Musiktheorie auf seine eigene Weise neu erfunden – ohne das Wissen in der Schule zu erlangen. Er hat sie einfach analysiert, internalisiert und aus seiner eigenen Perspektive genutzt. Dadurch schuf er eine völlig einzigartige musikalische Landschaft. Es wird nie wieder einen Allan Holdsworth geben. Und ich spreche nicht nur von seiner verrückten Legato-Technik oder Ähnlichem. Es ist das gesamte Paket – die Harmonie, die Komposition, die Improvisation, die Art, wie er die Gitarre und Musik betrachtete.“

„Jack Cheese on the Banjo“

Einmal noch zurück zum Titel The Man Who Changed Guitar Forever: Es ist ironisch, dass ausgerechnet das auf Holdsworths Grabstein steht. Allerdings mit dem Zusatz: „Jack Cheese on the Banjo.“ Es ist keine Übetreibung zu behaupten, dass die Gitarrenwelt so einen wie Allan Holdsworth zuvor nicht gesehen hatte – und leider auch wohl nicht mehr sehen wird.