Der Lohn der Mutigen
Die Tätowiererin Kat von D leitet eine erfolgreiche TV-Show und hat zwei Bestseller geschrieben. Demnächst darf sie Thomas Gottschalk stechen – und jetzt plant sie auch noch ein Album.
Kat von D ist heiser, und das ist das Schlimmste, was dieser Frau jenseits von einem Armbruch passieren könnte. Die Tätowiererin redet gern. Und viel. Und sie hat gerade ein neues Buch veröffentlicht, und darüber muss sie nun in Berlin unbedingt reden. Heute noch, denn morgen geht es zurück nach Los Angeles. Vor zwei Wochen ist ihr Haus abgebrannt – mitsamt all ihren Antiquitäten, diversen Klavieren und dem kleinen Aufnahmestudio im Keller. Fast nichts wurde verschont, vor allem aber starb ihre geliebte Katze Valentine im Feuer. Trotzdem sagt Kat von D: „2010 war das beste Jahr meines Lebens.“ Und man glaubt ihr sogar.
Die Flüchtigkeit von Tagebüchern hat oft etwas Tröstliches, im Falle von Kat von Ds zweitem Buch, „The Tattoo Chronicles“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 29,95 Euro), wirkt sie aber eher tragisch. Als sie die Notizen zu ihren vielen bunten Hautkunstwerken schrieb, glaubte Kat von D, in Mötley-Crüe-Bassist Nikki Sixx die wahre Liebe gefunden zu haben. Inzwischen ist sie mit der früheren wahren Liebe von Sandra Bullock, dem Ehebrecher Jesse James, zusammen. Der scheint ein Faible für volltätowierte Frauen zu haben, doch sollte man Katherine von Drachenberg, 28, nicht mit einer billigen Proletin verwechseln. Die amerikanische Latina mit deutschen Wurzeln hat eine irre Karriere hingelegt: Durch die TV-Doku-Soap „L.A. Ink“ laufen in ihrem Studio permanent die Nadeln heiß, ihr erster Bildband, „High Voltage Tattoo“, war ein Bestseller, jetzt will sich sogar Thomas Gottschalk von ihr stechen lassen.
Warum nun noch die „Tattoo Chronicles“? „Ich habe schon immer Tagebuch geschrieben, also ging es vor allem darum, die vielen Einträge zu überarbeiten, Lücken zu schließen und die Rechtschreibung zu überprüfen. Ich habe nichts geändert. Mein Ziel war nicht, mein Innerstes nach außen zu kehren, sondern eher, Leuten beizustehen, die wie ich mit Depressionen und Selbstzweifeln kämpfen. Ich hätte mich gefreut, wenn ich so ein Buch gehabt hätte, als es mir schlecht ging. Ein Buch, das sagt: Es geht nicht darum, cool zu sein oder über allem zu stehen, sondern ehrlich zu sein.“ Bei ihrer Arbeit hat Kat von D ständig mit dem Tod zu tun, sie sticht viele „memorial tattoos“ für Menschen, die Eltern oder Geliebte verloren haben und sie so doch noch festhalten wollen. „Tagebücher sind mein Ventil. Ich bin obsessiv-kompulsiv, hypersensibel und überemotional. Ich brauche eine gewisse Ordnung im Leben, ich habe schon früher meine Gummibärchen farbcodiert. Ich muss alles, was auf mich einströmt, irgendwie verarbeiten. Mir fiel es schwer, all die Geschichten, die man mir erzählte, wegzustecken. Damit sie mich nicht mehr verfolgen, fing ich an, sie alle aufzuschreiben. Besser, als immer nur den Freund vollzujammern!“
Der Ex, Nikki Sixx, spielt in den „Tattoo Chronicles“ die zweite Hauptrolle. Ist es für sie nicht seltsam, diese Liebesgeschichte so noch einmal aufzuwärmen? „Ach, ich bin froh, dass wir noch Freunde sind, es gibt keinerlei Ressentiments. Ich habe schon immer alle Liebesbriefe aufgehoben, die ich je bekommen habe, und ich habe nie eine Tätowierung bereut, die ich mir aus Liebe stechen ließ. Ich erinnere mich lieber an die schönen Momente.“ Mit Sixx machte sie Schluss, weil er zu viel auf Tour und zu wenig für sie da war: „Ich bin auch sehr beschäftigt, aber ich nehme mir die Zeit – ich opfere Schlaf. Ich habe auch noch nie in meinem Leben Urlaub gemacht, aber ich kann gut Prioritäten setzen.“
Dann verliebte sie sich in Jesse James, ausgerechnet. „Ich stand vorher nie dermaßen in der Öffentlichkeit, das hat mich geschockt, also habe ich mich zurückgezogen und die Klappe gehalten. Ich wollte nämlich nie berühmt sein! Ich wollte einfach nur arbeiten, aber jetzt denke ich: Vielleicht kann ich wenigstens ein paar Leute inspirieren. Ich glaube daran, dass alles seinen Grund hat. Durch diese neue Beziehung stelle ich fest, dass es mir wirklich egal ist, was andere Leute denken.“ Sie lässt kurz den Kopf hängen und schaut auf ihre volltätowierten Arme. Um ihr linkes Auge ragen viele kleine Sterne, am Ausschnitt blitzt ein Blätter-Motiv hervor. „Naja, wenn mir die Meinung anderer Leute so wichtig wäre, hätte ich wohl gar keine Tattoos. Also werde ich jetzt nicht anfangen, mich um die öffentliche Meinung zu kümmern.“
Und Kat von D ist noch nicht fertig mit der Welt, sie hat viel vor. Tätowieren ist ihre „liebste Kunstform, aber nicht die einzige“. Sie malt und spielt Klavier. Gerade hat sie gelernt, wie man Kronleuchter baut, im Herbst 2011 gibt es ihre erste Kleider-Kollektion. Demnächst will sie auch noch ein Album aufnehmen – ihre raue Stimme ist keine schlechte Voraussetzung. Sie raucht wie ein Schlot (zurzeit sogenannte elektrische Zigaretten, die nicht qualmen, weil es in Hotels und Flugzeugen ja nicht anders geht), nimmt allerdings seit zwei Jahren Gesangsunterricht und hat in ihrem Nachbarn Danny Lohner (Nine Inch Nails) schon den richtigen Produzenten gefunden. Wie ihre Songs klingen werden? „Wir beide lieben Depeche Mode, das kann ich schon mal sagen, also werden wir uns gut verstehen. Aber die Songs schreibe ich selbst. Ich will alles selbst machen. Ich habe ja diese Zwangsstörung – ich kann es nicht leiden, wenn andere sich einmischen. Mir geht’s darum, mich auszudrücken und etwas Wertvolles zu schaffen. Ich mag keine Wegwerfprodukte.“ Deshalb nervt sie langsam die Frage, ob sie eins ihrer Tattoos bedauert. Doch auch dafür hat sie einen Plan: „Demnächst lasse ich mir, No Regrets‘ stechen. Auf meinem Rücken ist noch ein bisschen Platz.“