Der letzte Sozialist

Seinen Patriotismus versteht Steve Earle im Sinne von Woody Guthrie. Nun ist das sehr lebendige Hobo-Denkmal, der Country-Rebell nach New York gezogen - und hat zum siebten Mal geheiratet

Krevetten, ein Ananas-Curry und zuckerfreien Jasmin-Eistee ordert Steve Earle im „Galanga“, einem Thai-Restaurant wenige Schritte vom Washington Square Park entfernt. „Bitte keinen Reis“, sagt er zur Kellnerin, „ich habe eine junge Frau und muss die paar Kilo abnehmen, die ich zugenommen habe, seit ich mit Rauchen aufgehört habe.“ Unauffällig gekleidet ist er. Jeans, weißes Shirt, Converse-Turnschuhe. Und doch fällt der Großgewachsene mit der Mähne auf in dem engen Lokal: Nur noch Büschel bedecken die lichte Stirn, sein grauer Zottelbart ist der eines alten Mannes – mittendrin jedoch lugt ein junges Gesicht.

„Den Bart trug ich nur für meine Rolle in der TV-Serie The Wire‘, gestern war der allerletzte Dreh“, raunt er. „Und morgen kommt der Bart ab. Meine Frau stört sich daran.“

Schon erwähnt er sie wieder, die Frau, von derandem Abend in Manhattans West Village fast pausenlos die Rede sein wird: Allison Moorer, 35 Jahre alt, Earles siebte Ehefrau, Country-Sängerin auch sie. Es wäre anmaßend zu urteilen, die rotblon-de Schöne suche im 17 Jahre älteren Earle eine Vaterfigur – aber es war prägend für Moorer, dass sie mit 14 drunten in Frankville, Alabama, die eigenen Eltern in Blutlachen vordem Haus fand. Der Vater hatte die Mutter und dann sich selbst erschossen. Allison und ihre ältere Schwester Shelby Lynne, Musikerin auch sie, strandeten als Waisen in Nashville. „Jetzt denken wir daran, Kinder zu haben“, sagt Earle, der schon zwei erwachsene Söhne, eine Tochter und eine Stieftochter hat. „Allison ist ein Grund für mich, noch ein bisschen am Leben zu bleiben und auf meine Gesundheit zu achten.“ Der 52-Jährige hat auch sein letztes Laster noch abgelegt, das Rauchen, „Allison zuliebe“. Er ist nach New York gezogen, „dank Allison“. Allison hier, Allison da. Überglückliche machen meist die langweiligsten Lieder, man denke an Melissa Etheridges missratenes Album „Lud^y 1 . Anders Steve Earle: Seinzwölftes Studio-Album, „Washington Square Serenade“, mag ruhiger als die Vorgänger sein, langweilig ist es nicht.

Nur ungewohnt, weil Earle statt der vielen Ab- seine Zuneigungen besingt, weil er nicht als dauerbesorgter Berufsrebell gegen seine Lieblingsfeinde – die US-Zensurbehörde FCC, die christlichen Fundamentalisten, Außenministerin Rice, Präsident Bush und all die anderen Republikaner – ins Feld zieht, sondern Liebeserklärungen macht: an New York City und an Allison. Das Duett mir ihr, „Days Aren’t Long Enough“, ist auf Anhieb ein Klassiker, „Sparkle And Shine“ ist ungemein zärtlich, ohne kitschig zu werden. Earle spielt getragenen Folk statt räudigen Roots-Rock, keltische Weisen, leise gestört von nervöselnder Electronica, die Produzent John King von den Dust Brothers eingestreut hat, und Tom Waits‚“Way Down In The Hole“ als obskuren Großstadtblues. Der selbsternannte „Hardcore Troubadour“ ist diesmal weit mehr Troubadour als Hardcore.

Der Mann ist nicht wiederzuerkennen. Nichts von dem kettenrauchenden, zerfurchten, fahrigen Ex-Junkie, der 2004 hier in New York während des Parteikonvents der Republikaner mit seiner Klampfe von Kundgebung zu Kundgebungeilte, um gegen einen „Rieh Man’s War“ anzusingen, nichts von dem irrlichternden, zuweilen wirr monologisierenden Gehetzten. Sein damaliges Album „The Revolution Starts … Now!“ war pure Notwehr, und die Revolution – Earle machte sich für den Bush-Kontrahenten John Kerry stark-hat nicht stattgefunden. Earle ist nicht ernüchtert, aber nüchtern. Noch hat er den kaugummigen Southern Slang drauf, doch er spricht ruhig, mit fester Stimme. Er hört zu, überlegt, blickt einem – was er vor drei Jahren nie tat – durch seine Brillengläser geradewegs in die Augen. „Allison und ich werden gemeinsam touren. Sieht natürlich nach Marketing-Gag aus“, sagt er, „aber uns geht es einfach darum, zusammen zu sein.“

Ein Getriebener war er. Einzig die Tätowierungen – ein Totenkopf und der Schriftzug „Fear No Evil“ am rechten, ein Herzornament am linken Oberarm-erinnern an jene Zeit. Flüchtig und heftig seine Liebschaften, seine Ehen, seine Höhenflüge, seine Abstürze. 1986 kracht Earles Debüt „Guitür Town“ auf Rang eins der Country-Charts, schon zwei Jahre später lassen die Genre-Radios den jungen Wilden fallen, zu hart die Gitarren, zu derb die Texte. Der Verstoßene lässt sich gehen, Alkohol, Kokain, Heroin – Knast. „Das Gefängnis und der Entzug, den ich dort 1994 machte, haben mir das Leben gerettet“, sagt er. „Ich wusste immer, dass ich besser schreibe, wenn ich nicht verladen bin. Es ist Bullshit zu glauben, man brauche Drogen, um kreativ zu sein. Ich ging auch nie high auf die Bühne, erst nachher nahm ich massenhaft Drogen, nächtelang. Aber mit Allison …“ Womit wir wieder beim Thema wären. „Gott, ich habe sechs Ehen in den Sand gesetzt, mit Allison bin ich endlich nicht mehr so dickschädlig, so versessen darauf, recht zu haben“, sagt er. „Es ist das erste Mal, dass ich clean geheiratet habe, deshalb wird diese Ehe halten. Als ich das letzte Mal geheiratet hatte, war mein Crackdealer Trauzeuge.“

Nicht, dass er nur noch aufs Private versessen wäre. Earle klopft an die Mauer der Wirtsstube. „Da drüben schrieb John Reed Ten Days That Shooked The World‘, seinen Bericht über die Oktoberrevolution in Russland.“ John Reed, Reporter und Gründer der Kommunistischen Arbeiterpartei der USA, ist eine von Earles Leitfiguren. „Ich bin halt Sozialist und … Mmh, die Shrimps sind herrlich, sie sind in Reispapier eingewickelt… Und ich glaube noch immer, dass Sozialismus möglich wäre. Was in der Sowjetunion und der DDR abging, war ja kein Sozialismus.“

Der Bildungsbürger und der Outlaw in ihm reden stets gleichzeitig, und es verhält sich im Gespräch wie zuletzt mit der DVD-Konzertaufnahme „Live At Montreux 2005“: Sein Zorn ist eindringlicher, wenn er verhalten bleibt. Earle wirkt umso bissiger, wenn er nur auf den Stockzähnen aggressiv ist – wenn er knurrt, statt zu bellen. „Ich bin nicht überzeugt, dass die USA das Leben meiner Kinder überdauern ¿werden. Bush hat den Leuten vorgegaukelt, es gehe uns blendend, doch die Wahrheit ist: Dieses Land ist bankrott.“ Die Kellnerin schenkt Jasmintee nach, derweil Earle kenntnisreich die politische Lage in Europa kommentiert. Wachsender Fremdenhass, Österreichs Haider, Italiens Berlusconi und der Isolationismus der Von Banz Friedli

Schweiz bekümmern ihn. Er verlangt die Rechnung, bezahlt. „Komm, jetzt zeig ich dir das Quartier!“ Und holt zu einer musikhistorischen Führung durchs Greenwich Village aus, Hort des Folk-Revivals der 6oer Jahre. „Hier hat Woody Guthrie gewohnt!“ – „Da hatte Dylan seine erste New-Yorker Bleibe.“ – „Dort, wo dieser Sexshop ist, war eine Eisdiele, in der sie jammten, wenn es im Park regnete: Dylan, Eric Andersen, Phil Ochs.“ – „Da drüben eröffnete Izzy Youngdas Folklore-Center, brachte Leute wie Doc Watson zum ersten Mal nach New York, holte Dock Boggs aus der Versenkung. Damit drang den Jungen eine Musik ins Bewusstsein, die sonst vergessen gegangen wäre.“ – „Und hier, das .Washington Square Hotel‘, hieß früher ,The Earle Hotel‘, darin trieben es Dylan und Joan Baez, weil sie nicht in seine Wohung gehen mochte.“ Earle biegt in die Jones Street ein. „Hier wohnen wir. Es ist exakt die Strasse, die Bob Dylan und Suze Rotolo auf dem Cover von ,The Freewheelin‘ Bob Dylan‘ runtergehen. Verrückt, nicht?“ In der Frage schwingt der Stolz mit, Teil dieser Kultur zu sein. Und man merkt, wie sehr es ihm, dem Streunenden, um Wurzeln geht, um Zugehörigkeit.

Demnächst will Earle das Album produzieren, das Joan Baez zumso. Jahrestag ihres allerersten Auftritts plant. Er moderiert eine wöchentliche Radiosendung, legt gerade letzte Hand an einen Roman, hat zwei Theaterstücke in Arbeit, eines über Folk-Ubervater Pete Seeger, das andere über die Flutkatastrophe in New Orleans, und er will mit seiner Frau einen musikalischen Fremdenführer fürs Village herausgeben. Ein Mann voller Geschichtsbewusstsein, voller Zukunftspläne.

Nach dem Rundgang setzt Earle sich auf eine Bank im Washington Square Park, der seinem Album den Namen gab. Er führt hier täglich seine Hunde spazieren. Rundherum ist Manhattan zur Shoppingmeile gesäubert, hier aber hat ein Durcheinander aller Rassen und Klassen überlebt, hier wird flaniert, politisiert und polemisiert. Eine Dixieband scheppert, Skateboarder umkurven die Säufer und Freaks, die Dealer und Süchtigen. Weiter vorn spielt eine Hardrockkapelle lausige Dylan-Covers, Kinder baden im Springbrunnen, Alte spielen Schach.

„Diese Stadt ist der Grund, weshalb ich noch nicht nach Europa ausgewandert bin“, sagt Earle. „In New York herrscht diese kulturelle Vielfalt, die ich in ,City Of Immigrants‘ beschreibe. Hier habe ich den Glauben und das Zutrauen in mein Land wiedergefunden. Hier meint keiner, ein bestimmter Pass oder eine bestimmte Hautfarbe berechtige ihn zu irgendetwas.“

Mister Earle, Sie sagten stets, der Highway sei ihr Zuhause…

„,.. .doch wir beide wissen, dass das nicht wahr ist.‘ So geht es weiter. Ja, diesen Song habe ich für Townes Van Zandt geschrieben.“

Ja, der „Ft. Worth Blues“. Gilt er denn nicht genauso für Sie?

„Doch. Wir standen uns sehr nahe und wussten, dass das, was wir öffentlich sagten, nicht dasselbe war wie das, was wir einander anvertrauten. Ich wusste die ganze Zeit, in welch großen Schwierigkeiten Townes steckte, und fand es nicht cool, dass viele Leute seine Kaputtheit noch verklärten.“

Dennoch wären Sie demselben Mythos um Drogen und Musik fast erlegen?

„Dass ich an derselben Krankheit wie Townes fast zugrunde ging, ist die Ironie des Schicksals. Ich glaubte damals lange Zeit, ich könne sowieso nichts ausrichten gegen die Sucht, sie gehöre ganz einfach zu der Art von Künstlerleben, das ich führte.“

Steve Earle, ein Musician’s Musician, bewundert und gecovert von Willie Nelson, Johnny Cash, Emmylou Harris und den Pretenders. Ein Countrymusiker für Countryhasser, Inbegriff des „anderen“ Nashville, des „anderen“ Amerika, gerade in Europa angehimmelt, denn wo nährt sich hiesiger Antiamerikanismus? In Amerika selbst, bei den Steve Earles, den Dixie Chicks, Michael Moores, Gore Vidals und AI Gores. Just in den neuen Liedern zeigt sich freilich, wie grundamerikanisch der Antiamerikaner Earle ist: ein Prediger, ein Moralist, ein Heimatliebender.

Sind Sie Patriot?

„Ich glaube, ja. Jeder, der die Kultur liebt, in der er aufgewachsen ist, und der seine Familie und die Gemeinschaft so sehr liebt, dass er für sie kämpfen, ihre Freiheit, ihre Menschenrechte verteidigen würde, der ist ein Patriot. Ich bin stolz, Amerikaner zu sein.“

Dann reklamieren Sie den Begriff Country Music im Sinn von Woody Guthries „This Land Is Your Land“ auch für sich und überlassen ihn nicht Toby Keith, Darryl Worley und Konsorten?

„Aber sicher. Dieses reaktionäre, rechtsextreme Schulbubenzeugs hat in etwa das Niveau von Kindern, die sich im Sandkasten beschimpfen. Ich glaube kaum, dass Leute wie Keith und Worley wirklich politische Aussagen machen wollen, sie wollen nur Geld machen. Sie appellieren an die niedrigsten Instinkte ihres Publikums, um reich zu werden.“

Und Sie?

„Ich mache Musik nicht um des Geldes willen, ich mache Musik, weil ich nicht anders kann. Ohne Musik würde ich sterben.“

Wer verkörpert denn nun das wahre Amerika – die oder Sie?

„Idealisieren wir die USA mal nicht! Sie existieren ja nur deshalb, weil Leute aus England und Holland, die wussten, dass die Sklaverei in Europa verboten würde, sie noch für einige Jahrzehnte praktizieren und damit reich werden wollten. Sie kamen hierhin und töteten alle, die hier lebten. Mag sein, dass unsere Verfassung später um Meinungsfreiheit und Menschenrechte ergänzt wurde, aber zunächst war sie vor allem ein Dokument, das Besitz sichern und beschützen sollte. In Bushs Politik geht es heute genau darum: Besitz zu schützen, die Reichen zu schützen. Diesem Regime passt es, dass nicht jeder medizinische Versorgung kriegt, nicht alle dieselben Chancen haben.“

Ist Ihnen aufgefallen, wie oft Sie auf der neuen Platte das Wort „home“ verwenden?

„Tue ich das? Nun gut, ich habe oft darüber nachgedacht, was mein Zuhause sei“

Und?

„Allison.“ SeinHandy klingelt. „Allison? Hey, Darling…“

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