Der letzte Hippie
Plant spricht. Über Led Zeppelin, den Verlust von John Bonham, das Verhältnis zu Jimmy Page, die Solojahre. Plus: Die Genese des britischen Blues-Rock. Ein Porträt der Band Of Joy mit aktuellen Interviews. Eine Würdigung des Solo-Katalogs.
Robert Plant ist überwältigt. „Zum ersten Mal war ich mit 20 hier“, erinnert er sich. „Seitdem hat sich alles geändert und zugleich nichts. Das ist immer noch ein wunderschöner Ort.“ Wir stehen auf einem Balkon, zu unseren Füßen die endlosen Sandstrände von Miami Beach. Ein letztes Mal lässt Plant den Blick über die See schweifen, dann wendet er sich mit einem Seufzen ab. Der 62-Jährige hat ausgesprochen gute Laune: Am Vorabend spielte er mit seiner neuen Band, einer Re-Inkarnation seiner Jugendtruppe Band Of Joy, das zunächst letzte von insgesamt zwölf US-Konzerten im Bayfront Park zu Miami. Bei annähernd 40 Grad und extrem hoher Luftfeuchtigkeit wirkte Plant so befreit und schwungvoll wie lange nicht mehr. 30 Jahre nach dem Ende von Led Zeppelin schert sich der musikalische Weltenbummler weder um Erwartungshaltungen noch um kommerzielle Aspekte. Plant tut und lässt, was er will und hat damit sogar Erfolg.
Das neue Album „Band Of Joy“ (Kritik auf Seite 82) knüpft qualitativ an „Raising Sand“ von 2007 an. Beim Konzert in Miami stehen insgesamt sieben komplett umarrangierte Led-Zeppelin-Songs gleichberechtigt neben älterem Solo-Material und den neuen Stücken. Das alles fließt so selbstverständlich ineinander, dass selbst die ältlichen Hippies mit den Batik-Led-Zep-T-Shirts bei Band-Of-Joy-Stücken wie Richard Thompsons „House Of Cards“ applaudieren. „Ich bin mir nicht sicher wegen dieser Abende“, sagt Plant. „Manchmal denke ich, dass ich die Leute überfordere, indem ich ihnen so viele verschiedene Aspekte meiner Karriere vor die Füße werfe. Es gibt diese Hardcore-Fans, die mit einer ganz bestimmten Erwartungshaltung kommen … Schwierig. Aber ich bin sehr glücklich und dankbar, dass ich all diese Dinge immer noch tun kann.“
Am Abend geht es zurück nach London, zuvor möchte der Mann noch einige freie Stunden am Strand genießen. Zunächst aber wird er mit uns reden. Über alles, was war und was noch kommen könnte. Plant spricht im gestochenen Oxford-Englisch des perfekten britischen Gentlemans alter Schule, wirkt bisweilen beinahe distinguiert, dabei aber immer wieder auch erfrischend selbstironisch.
Robert Plant, Sie sind einer der wenigen Musiker ihrer Generation, die sich nicht darauf beschränken, ewig die alten Erfolgskonzepte zu variieren. Woher kommen die Kraft und der Wille, immer wieder Risiken einzugehen, statt auf Nummer sicher zu gehen?
Nun, ich bin ja kein Vertreter, der sein Leben lang immer die gleichen Produkte verkauft. Seit ich 14 oder 15 war und in den ersten Bands gespielt habe, ist mein Antrieb, diese besondere Gabe, das Talent, das mir gegeben wurde, weiterzuentwickeln. Das ist für mich der ultimative Ansporn: Mich selbst umzuhauen und immer wieder zu überraschen, ja zu überwältigen mit dem, was ich tue. Alles andere langweilt mich.
Dann betrachten sie ihre Entwicklung als Musiker als kontinuierlichen Prozess?
In der Tat zieht sich diese Haltung wie ein roter Faden durch meine Karriere: Die Entwicklung von der ersten Version der Band Of Joy zu Led Zeppelin war zum Beispiel ein ganz natürlicher Prozess und kein so großer Schritt, wie man vielleicht denken könnte. Es gibt ganz frühe, nie veröffentlichte Demos von den ersten Sessions, die John Bonham und ich mit John Paul und Jimmy gespielt haben, auf denen wir fast so klingen wie vorher mit der Band Of Joy. Innerhalb der nächsten zehn Jahre hat sich das dann immer weiter entwickelt. Jedes Led-Zeppelin-Album klang anders als das davor, nur darum ging es uns. Nach der Schönheit in der Musik zu suchen, ohne Genre-Beschränkungen oder überhaupt irgendwelche Grenzen. Und auf dieser Reise befinde ich mich immer noch. Alleine in den letzten fünf Jahren habe ich mit den unterschiedlichsten Musikern in Nordafrika gespielt, in Westafrika, im mittleren Osten in der Türkei, in Nashville.
Nun haben Sie allerdings immer noch nicht ganz die Frage beantwortet, woher die Motivation kommt, diese musikalische Neugier auch nach so vielen Jahren aufrechtzuerhalten …
Wahrscheinlich hat das etwas mit der natürlichen Beschränkung zu tun, mit der man als reiner Frontmann zu kämpfen hat. Das ist ja ein sonderbarer Job … Es wäre wesentlich leichter, ein Gitarrist oder Keyboarder zu sein, der eben auch singen kann. Aber wenn man nur singen kann, muss man aus dieser Beschränkung das Maximum herausholen. Wenn einem das gelingt, strahlt man automatisch etwas aus, das andere Musiker dazu bewegt, einem an unbekannte Orte zu folgen.
Wie sie das erzählen, klingt es wie die leichteste Sache der Welt. Warum aber beschränken sich dann viele Kollegen darauf, das immer Gleiche zu tun? Liegt es vielleicht an den Beschränkungen, die einem durch ein übergroßes Image auferlegt werden?
Ich weiß es nicht. Es hängt davon ab, was man will. Eine Sache der Denkweise. Mick Jagger zum Beispiel ist ein großartiger Sänger – und früher war er auch ein herausragender Texter. In den formativen Jahren, ich spreche von den mittleren Sechzigern, haben die Stones die entscheidenden Schritte unternommen und eine musikalische Vorlage kreiert, an der wir alle uns orientieren konnten, indem sie die keimfreie Pop-Musik der damaligen Zeit mit einem ordentlichen Fauchen aus den Kellern von Chicago unterlegten. Wenn Mick es also heute als notwendig empfindet, weiterhin zu tun, was er immer getan hat – bitte schön. Vielleicht kommt er ja demnächst mit irgendwas um die Ecke, womit keiner gerechnet hat, wer weiß das schon. Meine Altergenossen tun, was sie tun. Und ich tue das eben auf meine Weise. Wenn man sich das Leben ansieht, das die meisten von uns geführt haben, ist es ja ein Wunder, dass wir überhaupt noch hier sind.
Worum es mir vor allem mit dieser Frage ging: Wenn man in späteren Jahren weiterhin versucht, mit dem Rockstar-Image eines jungen Mannes Schritt zu halten, wird man schnell zur tragischen Figur. Wann wurde etwa Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass Sie nicht ihr Leben lang „the golden god“ sein können?
Nun, ich war nicht bei der Krönungsfeier. Ich habe mir diese Krone damals nicht selbst aufgesetzt und spüre folglich diesbezüglich keinerlei Verantwortungsdruck. Ich hatte einfach eine Menge Energie zu jener Zeit. Dieser besondere Schwung, den wir als Band hatten, war schwer zu erklären. Man konnte nicht so richtig sagen, woher das kam. Bereits in den späten Siebzigern war es allerdings unübersehbar, dass uns dieser Schwung langsam abhanden kam – die physische Verfassung, das Energielevel, alles änderte sich. Wenn man jung ist, hat man eben diese ganz besondere Energie. Das kann man an Punk sehen, an den frühen Tagen von Oasis … Wenn sie auf die Bühne kamen, hat’s einfach nur „Boom!“ gemacht, der Wahnsinn. Und wenn man älter wird, macht es eben nicht mehr ganz so oft „Boom“. (lacht)
Auch die sexuelle Komponente ändert sich. Kürzlich bin ich über ein Buch gestolpert, in dem Leute von ihrem extremen Fansein berichten. Unter anderem ist dort von den erotischen Robert-Plant-Fantasien eines jungen Mädchens zu lesen. War es nicht ein bisschen spooky, als 20-Jähriger aus den Midlands plötzlich als Sex-Symbol zu gelten?
Gott, ich könnte mir Schlimmeres vorstellen. Natürlich konnte ich nicht jedem einen Platz in meinem Leben einräumen, aber ich habe mein Bestes getan, diese Phase zu genießen. Eine Zeitlang war es wirklich völlig verrückt, was sich da abgespielt hat. Was ich damals auf der Bühne gemacht habe, kam allerdings aus tiefstem Herzen. Es ging um Schwungkraft, Energie. Wenn man eine Rakete ins Meer schießt, kriegt man nicht nur ein paar Spritzer ab, man erzeugt eine gewaltige Welle. Und eine Zeitlang war ich eben diese Rakete. Davon abgesehen hatte ich damals gar nicht die Zeit, über solche Dinge nachzudenken, wir haben ja ständig gearbeitet. Aber wenn ich nebenbei geholfen habe, erotische Fantasien zu beflügeln oder gar zu erfüllen, ist das doch eine feine Sache. Auch ich habe erotische Fantasien, bis heute.
Mit der aktuellen Inkarnation der Band Of Joy unternehmen Sie nicht zuletzt auch eine Rückkehr zu Ihren Wurzeln, alleine schon des Bandnamens wegen. Es fällt auf, dass es diesen Punkt in ihrer Karriere immer wieder gegeben hat: Nach dem Ende von Led Zeppelin traten Sie in den Midlands mit einer Cover-Band auf. Später unternahmen Sie Ausflüge mit Jimmy Page zu ihren gemeinsamen Wurzeln, es gab die Honeydrippers und Priory Of Brian, mit denen sie zu Beginn des neuen Jahrtausends in Gemeindezentren und kleinen Pubs auftraten. Es scheint, als müssten Sie sich immer wieder musikalisch erden, um danach zur nächsten Neuerfindung des Robert Plant anzusetzen …
Nachdem John gestorben war, gab es für mich absolut keine Möglichkeit, einfach so weiterzumachen, als ob nichts gewesen wäre. Alles, was ich bis dahin gemacht hatte, lag in Trümmern vor mir. Wenn man einen so wichtigen Menschen verloren hat, muss man einen Moment innehalten. Die kommerzielle Entwicklung einer großen Rockband verblasst vor diesem Hintergrund. Denn was gibt es Schlimmeres im Leben, als so einen engen Freund zu verlieren? Warum zur Hölle also hätte ich weitermachen sollen, mit irgendeinem anderen Typen an John Bonhams Stelle?
Priory Of Brian war ebenfalls ein wichtiger Wendepunkt: Ich hatte jahrelang sehr intensiv mit Jimmy Page gearbeitet, aber irgendwie hat mich das musikalisch nicht erfüllt, die Sache war zu groß geworden. Also ging ich zurück zu den einfachen, überschaubaren Dingen, um mich zu erden. Einfach mit Freunden und Nachbarn Musik machen. Im Café spielen, wo die Leute gerade ihren Kuchen essen. Ich mag es, von Zeit zu Zeit mein Ego runterzuschrauben, diesen ganzen Rockstar-Bullshit hinter mir zu lassen. Mich der Tatsache zu erinnern, dass es nicht um Eitelkeiten geht, sondern einzig und allein um das große Geschenk eines musikalischen Talents und die damit einhergehende Verantwortung. Wenn man das ganze Drumherum, die großen Produktionen und das ganze Theater wegnimmt, kann es passieren, dass man in irgendeinem kleinen Laden spielt, und von der unbekannten Band, die vorher dran ist, an die Wand gespielt wird. Das ist die Realität. Ich fühle mich wohl in der Gesellschaft von echten Musikern. Von Leuten, die keinerlei Hoffnung haben, mit der Musik etwas zu erreichen, die in normalen Nine-to-five-Jobs arbeiten und nachts spielen, weil ihnen sonst etwas fehlt.
Auch Led Zeppelin waren ja den Drogen und Privatjets zum Trotz zuerst eine Gruppe sehr begabter Musiker, die ohne den ganzen Wahnsinn wahrscheinlich ihr Leben lang in irgendeiner Pub-Band gespielt hätten. Ich sprach vor einiger Zeit mit John Paul Jones. Bei ihm hatte man das Gefühl, dass es ihm nie um etwas anderes als die Musik ging.
Die Sache ist: Diese Band, in der wir vier zusammen gespielt haben, war eine magische Kombination. Was sich daraus ergab, war so zwingend und polarisierend, man musste sich entscheiden, das konnte man nur lieben oder hassen, und das war wunderbar. Wir waren keine Surfer, die über ihr neugeborenes Baby singen. Musik, die man im Café auflegen kann und die keinen stört. Man muss sich klar positionieren, sonst kann man es gleich lassen. Und auch wenn wir heute älter sind, könnten wir vermutlich immer noch ein paar Wellen schlagen – wenn John, und das ist der Punkt, noch am Leben wäre. Da er leider tot ist, machen wir eben andere Sachen. John Paul etwa hat jetzt diese wunderbare Band, die Them Crooked Vultures. Ganz fantastisch!
An diesem Punkt eben nicht weitergemacht zu haben, ist ja tatsächlich der eine Punkt, der Led Zep von den meisten anderen Bands unterscheidet. Das erfordert Charakter …
John Bonhams Sohn war letzte Nacht bei der Show, Jason. Als er noch jung war, half er mir bei den Demos für mein erstes Solo-Album. Ich glaube, dass er eine Zeitlang gedacht hat, dass er automatisch den Platz seines Vaters übernehmen könne. Aber so läuft das nicht, das ist hier keine verdammte Dynastie! Ich war überrascht, als Fidel Castro seinen Bruder an seiner Statt installiert hat. (lacht) Dabei lehrt uns die Geschichte ja, dass Dynastien dem Untergang geweiht sind. Ich glaube ganz fest daran, dass alles im Leben seine feste Zeit hat und danach unwiederbringlich vorbei ist. Man sollte nicht an Dingen festhalten. Unsere Intention war von Anfang an, keinerlei Kompromisse einzugehen. Nun: Mit jemand anderem als Bonzo weiterzumachen, wäre einer gewesen.
Die Zusammenarbeit mit Alison Krauss war in dieser Hinsicht übrigens ganz ähnlich, der gleiche Geist. Diese Songs mögen zwar auf den ersten Blick für manche Leute etwas gemächlich klingen, aber das war in musikalischer Hinsicht ganz eindeutig etwas, was ich mir in dieser Qualität und Intensität niemals hätte träumen lassen. Das ist die Flagge, unter der ich segele. Drunter möchte ich es nicht machen.
„Raising Sand“ war in der Tat in jeder Hinsicht Ihr größter Erfolg seit dem Ende von Led Zeppelin …
Definitiv. Wenn man die Zeit mitdenkt, war es sogar bedeutender als einige der Dinge, die wir mit Led Zeppelin gemacht haben. Und ich spreche nicht von kommerziellem Erfolg. Aber mit den Jahren zeigt sich halt, ob etwas zu einem Teil der musikalischen DNA einer Ära wird oder ob es irgendwann verschwindet. Und wie wir heute wissen, hat längst nicht alles, was wir damals gemacht haben, die Zeit überdauert. Diese Sache mit Alison empfinde ich jedoch als im besten Sinne zeitlos.
„Band Of Joy“ klingt nun wie eine Weiterführung von „Raising Sand“ – unter Hinzufügung einer Extraportion Robert Plant.
Das ist richtig. Genau so wichtig ist aber die Riesenportion Buddy Miller auf diesem Album. Letzte Nacht haben wir versucht, „Silver Rider“ von Low zu spielen. Es ist ein schwieriges Unterfangen, so einen fragilen Song ausgerechnet in Miami vor einer tobenden Menge und bei diesen Temperaturen zu spielen. Ein bisschen als würde man das Programm unterbrechen und plötzlich anfangen zu jonglieren. Doch mit Buddy haut das irgendwie immer hin, auch unter unpassenden Bedingungen.
Nach welchen Kriterien haben Sie und Buddy Miller die Songs für das Album ausgesucht?
Wir haben das Album zusammen produziert, aber die Songs habe ich bis auf ein oder zwei Ausnahmen alleine ausgesucht. Das einzige Kriterium war, wie gut das Material zu meiner Stimme passt. Auch wenn die Songs sehr unterschiedlich sind, war es mir wichtig, einige der Merkmale des „Raising Sand“-Albums aufzugreifen, das Konzept aber gleichzeitig weiterzuführen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte Patty Griffin. Sie beide passen auf der Bühne perfekt zusammen. Wie sind sie zu ihr gekommen?
Buddy hat uns miteinander bekannt gemacht, er produziert ja ihre Platten. Ich war auf der Suche nach einer prägnanten weiblichen Stimme. Mit ihr ist es eine lustige Sache: Ich weiß, dass sie die Musik mag, mit der ich in früheren Phasen meines Lebens assoziiert wurde. Und manchmal, wenn ich singe und zu ihr rüber gucke, sehe ich, wie sie völlig durchdreht, das ist toll!
Wie erinnern Sie sich an die ursprüngliche Band Of Joy mit John Bonham am Schlagzeug? Sie spielten damals Westcoast-inspirierten Folk-Rock und wie man hört, war der spätere Slade-Musiker Noddy Holder ihr Roadie …
Das wird immer wieder behauptet, aber tatsächlich war sein Vater einer unserer Roadies, nicht er selbst. Noddys Vater hatte ein Fensterreinigungs-Unternehmen und deshalb einen Transporter. Und zwischen all die Eimer und Leitern packten wir dann unser Equipment. Diese Phase war völlig verrückt, glanzvoll, aufregend, stümperhaft, kaputt und zielstrebig, von allem etwas. Meines Erfolges wegen kann ich wohl die damaligen Bedingungen nicht eins zu eins wiederherstellen. Aber mit der aktuellen Band-Of-Joy-Besetzung komme ich jenem Geist ziemlich nahe. Zu dieser Zeit hatte ich von nichts eine Ahnung, ich war komplett naiv. Und genauso komme ich mir vor, wenn ich nun mit diesen unfassbaren Typen aus Nashville zusammen bin. Ich weiß im Prinzip nichts. Weil diese Leute so unfassbar begabt sind … Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung, wie ich da jemals reinkommen soll.
Ist es wirklich so ein großer Unterschied zu den Rockmusikern, mit denen sie sonst meistens spielen?
Oh ja, ein riesiger Unterschied. Diese Leute haben einen unfassbaren Kosmos von Songs, von deren Existenz ich bislang nicht die geringste Ahnung hatte, und die können sie alle perfekt singen und spielen. Sie sind in der Lage, ihr Talent in allen Richtungen einzusetzen, das kann ich nicht. Sie sind Stereo, ich bin Mono. Ich bin der Brief, der durch den Briefschlitz geschmissen wird, eine kleine Botschaft des Postboten, nicht besonders bedeutend. Aber diese Jungs sind das verdammte Haus!
Nun kokettieren sie aber …
Keineswegs. Ich bin ein Rock’n’Roll-Sänger, der viel rumgekommen ist und ein paar Sachen gut drauf hat. Aber dieses hohe musiktheoretische Wissen fehlt mir völlig. Diese Nashville-Typen sind … professoral, wenn man so will.
In früheren Jahren hatte man auf der Bühne mitunter den Eindruck, es sei regelrecht eine Qual für sie, alte Zeppelin-Titel wie „Whole Lotta Love“ zu singen. Nicht nur der hohen Stimmlage wegen, sondern auch, weil es so schien, als hätten Sie eigentlich gar keine Lust. Mit der Band Of Joy aber klingen die Zeppelin-Songs wahnsinnig leicht und gelingen ganz wunderbar. Gestern hatte man den Eindruck, dass es Ihnen regelrecht Spaß machte, etwa „Gallows Pole“ zu spielen. Liegt das an den neuen Arrangements?
Ich denke schon. Nehmen wir jemanden wie Bob Dylan. Ein überaus interessantes Phänomen: An einem Abend ist er atemberaubend, am nächsten Tag das genaue Gegenteil. Mal spricht er, mal nicht, man weiß nie, was man bekommt … Er macht Werbung für Victoria’s Secret, oder wie auch immer das heißt, wussten Sie das? Für Unterwäsche und Dessous – was ich noch verstehen kann, weil es sehr mysteriös und auf jeden Fall lustig ist. Aber ich schweife ab. Worauf ich hinaus will: Die Art, wie Dylan diese Songs, die mein Leben und das so vieler anderer verändert haben, wieder zum Leben erweckt, was er mit ihnen macht, wie er mit ihnen lebt und alt wird … „Masters Of War“ etwa, das ist so unfassbar gut. Seine Band ist toll, was Charlie Sexton da macht!
In meinem Fall ist es ein bisschen anders. Songs wie „Over The Hills And Far Away“ und „Misty Mountain Hop“ sind im Prinzip trivialer Teenie-Kram. Sie beinhalten keine Botschaft für eine bessere Welt, erheben nicht die Forderung, die politischen Führer für ihre Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Und leider geht es auch nicht darum, dass Tony Blair zum römischen Katholizismus konvertierte, nachdem er das Parlament verlassen hat – und dass ausgerechnet dieser Mann sich zum Friedensgesandten im mittleren Osten aufschwingt, der uns ja immerhin die ganze Scheiße eingebrockt hat, indem er den Amerikanern hinterher gehechelt ist wie ein Hund.
Sie sprechen Blairs neue Rolle als Sondergesandter des Nahost-Quartetts an?
Exakt. Und so viele andere Dinge, um die es in meinen alten Songs leider nicht ging. So was kam erst auf „Mighty ReArranger“. Stattdessen sang ich über Hobbits. (lacht) Aber mein Gott, ich war gerade mal 20, als ich “ Misty Mountain Hop“ schrieb. Und Dylan hat sich in einem ganz anderen Umfeld bewegt. Trotzdem kann ich viel von ihm lernen, was die musikalische Herangehensweise betrifft. Wenn man seine Songs Abend für Abend in den immer gleichen Versionen spielt, kann man genauso gut bei Dunkin‘ Donuts arbeiten. Ich mag meine alten Songs immer noch sehr, und gerade deshalb will ich sie lebendig erhalten.
Bringen sich die anderen Musiker bei den neuen Arrangements ein, oder legen Sie das alles fest?
Jeder steuert Ideen bei. Im Falle von „Misty Mountain Hop“ habe ich im Prinzip einen imaginären Radiergummi genommen, und einfach einige Noten aus dem ursprünglichen Riff radiert. Wenn man jede vierte Note wegradiert, verändern sich der Rhythmus und die Notation, aber es bleibt immer noch der gleiche Song.
Bei „Rock & Roll“ wurde Bonhams Eröffnungs-Pattern gestern erst ganz zum Schluss einmal kurz angedeutet, trotzdem wusste jeder sofort, was gespielt wurde.
Oh ja, das war ein schöner Tribut von Marco. Ein überaus höflicher Kerl. Das Letzte, was man von diesem Typ erwarten kann, ist so zu spielen wie ein Rock-Schlagzeuger, denn er kommt einfach aus einer völlig anderen Welt. Trotzdem hat er letzte Nacht ein paar Sachen gemacht, für die sie ihn in Nashville erschießen würden.
Das Signifikante an der ersten Band-Of-Joy-Inkarnation ist aus heutiger Sicht vor allem, dass Sie dort erstmals mit John Bonham zusammenkamen. Wie erinnern Sie sich an Ihr erstes Zusammentreffen?
Bonzo spielte damals in einer Band namens The Way Of Life. Er kam zu einem unserer Konzerte in einer Dancehall. Diese Dancehalls waren eine feine Sache: Tausend Leute. Alle tanzten, keiner guckte zur Bühne. Ich war nicht nur als Sänger, sondern außerdem als Master Of Ceremony engagiert. Ich musste also die Bands ansagen, mich schnell umziehen, und dann wieder auf die Bühne springen und singen. So lief das damals. Und eines Abends kommt eben John Bonham reinmarschiert. Er war mit Pat Phillips da, seiner späteren Frau. Dieser Typ war unfassbar selbstbewusst, fast aufgeblasen. Nach der Show sagte er mir, ich sei ganz in Ordnung als Sänger und Frontmann, könnte aber noch viel besser sein, wenn ich nur mit ihm zusammenspielen würde.
Ich fragte ihn, wo er wohne und er sagte es mir, und ich erwiderte, dass er zwar ein sehr guter Schlagzeuger sei, aber auf keinen Fall den Sprit wert, den wir bräuchten, um ihn jeden Abend nach den Gigs nach Hause fahren zu können. So war das damals, die Spritkosten fraßen uns auf. (lacht) Heute fliege ich in zwölf Stunden nach Nashville zu einer Probe, damals konnte ich mir nicht einmal den Sprit leisten, um 20 Meilen weiter den Schlagzeuger abzusetzen.
Wie haben Sie diese Zeit generell in Erinnerung, ihre Kindheit und Jugend in den englischen Midlands?
Ich wuchs in einer schwierigen, freudlosen Zeit auf. Musik spielte in meiner Erziehung und in meiner Familie nur eine sehr beiläufige Rolle. Keiner in meiner Familie gab sich der Musik hin.
Ich dachte, Ihr Vater sei Geiger gewesen …
Stimmt im Prinzip, aber ich habe ihn nie spielen gehört. Nicht ein einziges Mal. Mein Großvater spielte Trombone, Violine und Trompete und mein Urgroßvater auch. Aber das war Ende des 19. Jahrhunderts. Er stand damals einer Marschkapelle vor. Sehr diszipliniert und militärisch. Als ich aufwuchs, gab es jedoch keinerlei Musik-Besessenheit in meiner Familie. Und die Medien im UK dieser Zeit waren eine Katastrophe. Erst als ich zehn oder elf war, öffneten sich bisweilen Fenster, durch die erste Klänge von Little Richard und Elvis in meine Welt strömten. Was fantastisch war, ein wunderbares Mittel gegen das deprimierende Grau in grau jener Jahre.
Wie kamen Sie mit dieser Musik in Berührung?
Durch den Besatzersender American Forces Network aus Deutschland. AFN und Radio Luxemburg, dazu die Piratenstationen. Einige Jahre später in Birmingham, ich war bereits auf dem Gymnasium, hatte ich dann das große Glück, dass sich durch die Nähe der Art School so eine Art Bohemian-Clique an meiner Schule gebildet hatte. So kam ich mit Beat-Lyrik, Jazz, Leadbelly und den ersten Folk-Clubs in Berührung. Was für ein Segen! Wenn ich auf irgendeine andere Schule gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich nie etwas von Big Bill Broonzy, Son House und all den anderen erfahren. So aber war ich infiziert.
Wie wichtig war zu dieser Zeit die frühe Rhythm-and-Blues-Szene in London? Hat man das als Junge aus der Provinz sehnsüchtigen Blickes verfolgt?
Das war absolut entscheidend für meinen weiteren Werdegang. Diese Leute zeigten, dass es eine Alternative gibt zur populären Musik unserer Zeit. Pop war damals so unfassbar brav, massentauglich und keimfrei … Im Prinzip nichts anderes als ein juvenileres Äquivalent des schrecklichen Krams, den unsere Eltern hörten. In dieser Situation waren Cyril Davies, Alexis Korner, die frühen Rolling Stones und die Pretty Things ein Geschenk des Himmels.
Einige Jahre später spielten sie mit der ersten Inkarnation der Band Of Joy im Londoner Club Speakeasy und angeblich war Alexis Korner im Publikum.
John Baldry war dort, nicht Alexis. Nun, die Welt ist klein, und wenn man wirklich will, trifft man immer die richtigen Leute. Und ich hatte eben das große Glück, bald darauf auf Alexis zu treffen und sein Interesse zu erregen.
Korner hat sie als Sänger in London eingeführt, eine Weile spielten Sie vor Led Zeppelin in einer gemeinsamen Band mit ihm …
Mit ihm und dem Pianisten Steve Miller. Eine unschätzbar wertvolle Zeit. Er hatte ein wahnsinniges Wissen und konnte das extrem gut vermitteln. All diese Geschichten … Ich meine, Muddy Waters hat auf seiner Couch übernachtet. In einer Sozialwohnung in Notting Hill Gate. Ich weiß gar nicht, ob man ihn unbedingt als den Vater des britischen Blues bezeichnen sollte. Das wären vielleicht eher Chris Barber oder Lonnie Donegan. Aber Alexis konnte einem extrem gut vermitteln, wie seit den 20er-Jahren eine Sache die andere ergeben hatte. Wie sehr die Entwicklung des Blues und Jazz mit der Geschichte der schwarzen Bevölkerung in den USA zusammenhing und mit der Industrialisierung, der Landflucht, den Völkerwanderungen usw. All diese Dinge habe ich von Alexis gelernt. Er hat mir verdeutlicht, dass das Mississippi-Delta für eine unfassbar lange Zeit wie eine kleine afrikanische Insel war. Diese Verbindung kann man sogar auf den Fat-Possum-Platten von R.L. Burnside noch hören. Auch wenn er relativ spät dran war, hört man auf seinen Platten eine direkte Verbindung zu Westafrika. Leider ist Alexis nicht mehr unter uns, aber er war sich absolut der Reise bewusst, die diese Musik von Westafrika über die Sklavenschiffe ins Delta und später nach Chicago gemacht hat. Diese Links sind absolut faszinierend. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Tinariwen und Robert Petway, der mit Tommy McClennan in den frühen Vierzigern gespielt hat. Das ist im Prinzip immer der gleiche Akkord.
Wie war es für sie nach all den Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit dem Blues und amerikanischem Rock’n’Roll, als sie schließlich mit Led Zeppelin zum ersten Mal in die USA kamen?
Nun, England war, wie es war. Klein, engstirnig. Trotzdem liebte ich die Welt, aus der ich kam. Die Arbeiterviertel der britischen Midlands, die Clubs, das Mod-Movement, das war eine tolle und intensive Zeit. Sehr aufregend. Aber absolut nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das ich hatte, als ich zum ersten Mal in L.A. aus dem Flugzeug stieg. Schon das Design des Kontrollturms am Flughafen kam mir vor wie eine Requisite aus einem Science-Fiction-Film. Ein Polizist mit einer Knarre, barfüßige wunderschöne Mädchen mit Blumen in den Haaren auf den Straßen, das Chateau-Marmont-Hotel … Bonzo und ich schauten aus dem Fenster und sahen eine Welt, die sich für nichts entschuldigte. Dieses Selbstverständnis. Atemberaubend.
Und natürlich hat mich die Musik begeistert: Buffalo Springfield und all diese Bands waren ja ein enormer Einfluss für die erste Band Of Joy gewesen. Und in L.A. waren plötzlich Neil Young, Stephen Stills, Richie Furay und all diese tollen Musiker. Außerdem waren da alle Studios, und auf dem Strip konnte man am einen Abend Jim Morrisson sehen und am nächsten Howlin‘ Wolf. Wenn Sie also fragen, wie ich mich gefühlt habe, als ich zum ersten Mal da war, lautet die Antwort: Es war wie nach Hause zu kommen.
Sie selbst sind diesem Akkord, von dem Sie eben sprachen, um die ganze Welt gefolgt und tun das bis heute. Was würden Sie heute als Ihr Zuhause bezeichnen?
Ich lebe in Worcestershire in der Nähe der walisischen Grenze, also ist das wohl meine Heimat im engeren Sinne. Grundsätzlich ist Heimat für mich aber kein Ort, sondern ein Zustand. Trotzdem brauche ich einen festen Platz. Heute Abend und einige Bloody Marys später werde ich hoffentlich gesund aus dem Flugzeug schwanken, und dann geht’s erst mal nach Hause.
Seit der Trennung von Ihrer Frau Maureen Wilson in den Achtzigern leben sie überwiegend alleine. Zumindest haben Sie nie wieder geheiratet. Trotzdem sind Sie und Wilson Freunde geblieben und erzogen gemeinsam die Kinder.
Allerdings, ich treffe sie morgen.
Tatsächlich? Das ist toll, oder?
Nun, noch toller wäre es, wenn sie mich mit einem gutes Essen empfängt. (lacht)
Und, wie stehen die Chancen?
Ich denke, sehr gut. Maureen ist wunderbar.
Worauf ich hinaus will: Seit den Tagen von Led Zeppelin ist es Ihnen gelungen, ihr Privatleben aus der Presse zu halten. Keine Supermodel-Freundinnen, keine Drogengeschichten. Sind sie besonders clever oder besonders langweilig?
„Der Spiegel“ oder die „News Of The World“ können mich gerne fotografieren, wenn ich an einem Samstagnachmittag bei den Wolverhampton Wanderers auf der Tribüne stehe. Sie sind außerdem herzlich eingeladen, sich mit mir auf eine archäologische Entdeckungstour durch die walisischen Berge zu begeben. Ich weiß allerdings nicht, ob sie das so sehr interessieren würde. Es könnte sein, dass sie ein bisschen enttäuscht sind, weil ich nicht mit Prinzessin Soundso von Soundso auf irgendwelchen Partys abhänge. Es gibt in jeder durchschnittlichen Kneipe interessantere Leute als mich für diese Art der Berichterstattung.
Sie haben inzwischen mehrfach gesagt, dass das Kapitel Led Zeppelin für Sie mit dem Konzert in der Londoner O2 World endgültig abgeschlossen ist. Wie wichtig war es für Sie, einen guten Abschluss zu finden?
Bei Led Zeppelin stehen so gigantische Erwartungen im Raum … Wir müssen uns nicht nur an uns selbst und dem, was wir damals waren, messen, sondern auch an der Erwartung der Menschen, die über die Jahre ins Unermessliche gestiegen ist. So viele Dinge wären richtigzustellen … All dem an nur einem Abend gerecht zu werden, ist völlig unmöglich. Für mich persönlich war dieses Konzert kein Test, um zu sehen, ob es noch funktio-niert – und danach eine gigantische Stadiontour zu buchen. Das wäre so offensichtlich dämlich gewesen: „Lasst uns auf eine große Welt-Tournee geben, wo wir dann jeder einen eigenen Privatjet haben und hinter der Bühne nicht miteinander reden.“ Ich wollte das Monster ruhen lassen. Meine Idee war eher: Lasst uns an einem Abend in überschaubarer Umgebung ein schönes, versöhnliches Ende finden für die-se Geschichte und all die Emotionen, die mit ihr verbunden sind. Lasst es uns für uns selbst tun, aber auch für Jason Bonham und seine Mutter. Und für John Bonhams Mutter, die ich am Samstag, den 21. August, sehen werde, wenn nichts dazwischenkommt.
Sie halten also Kontakt zu Bonhams Familie?
Klar. Am 21. hat der Roadie der Original-Band-Of-Joy Geburtstag. Der Junge kümmert sich um Pat Bonham. Ich werde also Bonzos Mam sehen. Und ich glaube, nein, ich weiß, dass unser Konzert in London all diesen Menschen eine Menge bedeutet hat.
Trotzdem kann man wahrscheinlich nicht komplett die Tatsache ignorieren, dass sich innerhalb weniger Tage 20 Millionen Menschen um Karten für dieses eine Konzert beworben haben. Kommt in so einem Moment nicht doch ganz kurz die Versuchung hoch? Ich meine, es hätte vielleicht die großartigste Tournee aller Zeiten werden können …
Es wäre ganz sicher die größte Tour aller Zeiten geworden. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es auch die beste Tour aller Zeiten geworden wäre – vermutlich eher nicht. Ich habe einfach zu viele andere Dinge zu tun, um mich zwei Jahre auf so einen Wahnsinn einzulassen. Wenn man nicht gerade von der Idee besessen ist, dass es das Tollste ist, mit einem riesigen Cargo-Jet in Serbien zu landen oder in jedem Land der Welt ein Sportstadion auszuverkaufen, gibt es auch absolut keinen Grund, warum man so etwas tun sollte. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben, so wie es läuft. Kameradschaft ist ausschlaggebend für mich. Das Zwischenmenschliche ist für mich die wichtigste Voraussetzung, wenn ich mit anderen Menschen zusammenarbeiten will.
Kameradschaft zwischen Ihnen und Jimmy Page scheint ein schwieriges Thema zu sein. Wie würden sie das Verhältnis zwischen Ihnen beiden beschreiben?
Das hört sich total dämlich an, aber Jimmy ist Steinbock und ich bin Löwe – das passt auf Dauer nicht zusammen. Ich war zu einem bestimmten Zeitpunkt in unserer beider Leben sehr nützlich für ihn, weil ich diese überspitzte Frontmann-Persönlichkeit hatte und also genau das verkörperte, wonach er suchte. Ich wünsche ihm in jeder Hinsicht alles Gute, es gibt keine versteckten Böswilligkeiten. Meine Haltung ist nur: Wenn du darüber reden willst, etwas Neues und Frisches zu machen – sehr gerne. Egal, ob ich mit Jimmy arbeite oder mit Alison oder mit wem auch immer – sobald wir den Punkt erreichen, an dem alles zur Routine erstarrt, verliere ich das Interesse. Ich bin 62 Jahre alt, ich kann nicht den Rest meines Lebens nur das Gleiche machen. Wenn Jimmy morgen mit fantastischen Ideen ankommt und einem ägyptischen Orchester in der Tasche, können wir sofort loslegen.
Dann gibt es also kein böses Blut zwischen Ihnen beiden?
Keineswegs. Aber die Dinge sind so, wie sie sind. Er hat seine Vorstellungen und ich meine. Ihm scheint es vor allem um sein Vermächtnis, um das Erbe von Led Zeppelin zu gehen – und das interessiert mich nun wirklich nicht im Geringsten.
Vielleicht war diese Haltung der Grund, dass Ihnen als einzigem ehemaligen Led-Zeppelin-Musiker eine wirklich dauerhafte Solo-Karriere gelungen ist. Welches ihrer eigenen Alben schätzen Sie heute am meisten?
Auf „Fate Of Nations“ sind einige wirklich gelungene Songs, aber aus heutiger Sicht klingt es für meinen Geschmack ein bisschen retro. Das gilt für einige meiner alten Platten. Inzwischen würde ich mich wahrscheinlich für „Pictures At Eleven“ entscheiden, weil es das erste Album nach Led Zeppelin war. Der erste Trip, der wirklich weg vom Mutterschiff führte. Zudem war ich extrem begeistert von der Zusammenarbeit mit Phil Collins. Von seiner Hingabe, seinem Enthusiasmus. Aber vielleicht sollten sie jemand anderen fragen. Mir gefällt ja auch das wahrscheinlich unpopulärste Led-Zeppelin-Album mit am besten: „Presence“.
Was Sie über die Produktion von „Fate of Nations“ sagten, gilt erst recht für „Shaken’n’Stirred“ und „Now And Zen“, die unter der Produktion und einer übertriebenen Anbiederung an den Zeitgeist der Achtziger leiden …
Absolut. Aber ich war damals immer noch ein junger Mann. Als wir John verloren haben, war ich gerade mal 32. Das gefiel mir damals: mich bis morgens um sechs im Studio zu verschanzen, mit Cubase und den ersten Samplern zu experimentieren. Der kritische Rückblick ist die Aufgabe von euch Journalisten und Kritikern. Es ist völlig okay, wenn ihr meine Karriere resümiert, die Dinge so zu bewerten, wie Sie das gerade getan haben. Aber zu jener Zeit hat es sich einfach richtig angefühlt. Ich hatte kein Interesse, eine Westentaschen-Version von AC/DC abzugeben. Rockmusik interessierte mich nicht mehr. Heute bin ich ausnahmslos zufrieden mit all meinen Platten. Sie alle hatten zu ihrer Zeit ihre Berechtigung.
Das ist ja ein generelles Problem: Kaum eine Ära hat den Test der Zeit produktionstechnisch so schlecht überstanden wie die Achtziger
Wir alle wollten es zu dieser Zeit eben mal anders machen. Um Gottes Willen, ich habe sogar „The Look Of Love“ von ABC gekauft! Unfassbar, diese Outfits, der ganze Auftritt – Jesus Christus! Aber: Martin Fry hat es wirklich ernst gemeint. Wenn du dahinter stehst, stehst du dahinter – und bezahlen musst du dann zum Schluss. (lacht)
Gehen Sie immer noch regelmäßig zu den Spielen der Wolverhampton Wanderers?
Wir haben am 7. August ein Freundschaftsspiel gegen Athletico Bilbao und am 14. ein Heimspiel gegen Stoke City, das erste Spiel der neuen Premier-League-Saison. Beantwortet das ihre Frage? Selbstverständlich gehe ich hin! Ich werde mir am 7. August meine neue Dauerkarte abholen.
Eine Weile lief es nicht so gut für das Team, aber in den letzten Jahren kommen sie ganz gut zurecht, oder?
Wir haben einige gute Spieler gekauft. Das Lustige ist: Die gerade abgelaufene Weltmeisterschaft war so voller Emotionen. Ghana, Uruguay, es gab einige wirklich tolle und überraschende Mannschaften. Dummerweise entschied sich der britische Verband, jemanden zu engagieren, der kaum in der Lage ist, sich selbst auszudrücken. Und ausgerechnet dieser Typ sollte dann unser Team von exaltierten Primadonnas managen. Kein Wunder, dass das nicht geklappt hat.
Neben Fußball: Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie wie jetzt nach einer längeren Tournee zurück nach England kommen?
Nun, ich vermisse meinen Hund, wenn ich unterwegs bin. Und insbesondere jetzt in Miami auch die Möglichkeit, unter vernünftigen klimatischen Bedingungen Tennis spielen zu können.
Dann sind Sie also immer noch aktiv?
Absolut. Gleich morgen bin ich zu einem Match mit einigen Freunden aus meinem Dorf verabredet. Ich freue mich jetzt schon.