Der laute Ruf der Seele
Beinahe hätte es Spoon zerlegt. Nun kehrt die große Indie-Band nach langer Pause zurück
Der beste Weg, einen noch nicht Infizierten mit der amerikanischen Band Spoon anzustecken, ist immer noch der Lautstärkeregler – schön weit nach rechts drehen. Wenn einem der Rhythmus in Beine und Magen fährt, die Gitarren das Hirn zersägen, seltsame Klänge unbekannter Herkunft um die Ohren fliegen und ein Rotzbengel darüber seine Verse spuckt, fühlt sich das an wie ein Konzentrat aus den besten Momenten der späten Beatles, der frühen Attractions und -ganz subtil – der mittleren Can. In den USA schaffen sie es damit mittlerweile regelmäßig in die Top 10, in Europa spielen sie immer noch vor ein paar Hundert Leuten.
Britt Daniel, Sänger und Chef der Band, nimmt das gelassen. Der 43-Jährige genießt die Ausflüge in die Diaspora. Er sitzt vor einem preisgünstigen Drei-Sterne-Hotel in Friedrichshain und blinzelt in die Sonne. „Ich mag Berlin“, sagt er, „nur im Winter möchte ich nicht mehr herkommen.“ Der bitterkalte graue Hauptstadtwinter hat nämlich nicht nur einige Tageslichtlampenherstellersöhne zu Millionenerben gemacht, sondern auch seine Band an den Rand der Depression gebracht. Es begab sich im November 2010 (meteorologisch ist das natürlich noch Herbst, aber den gibt es in Berlin ja nicht), Spoon verließen nach einer langen Tour von Tegel aus den europäischen Kontinent, und alle waren mies drauf. „Ich war vollkommen genervt und hatte keine Lust mehr, in dieser Band zu spielen“, erzählt Daniel. „In zehn Jahren hatten wir fünf Alben gemacht – für Sixties-Standards ist das nicht besonders viel, aber in Zeiten, in denen man irre viel touren muss, um über die Runden zu kommen, bedeutete das, dass wir eigentlich nie eine Pause gemacht hatten. Und am Ende habe ich es gehasst.“
Eine Teilschuld an der schlechten Stimmung hatte wohl auch das damals aktuelle Album, „Transference“, das die Band musikalisch an ihre Grenzen getrieben hatte -einige der Songs hatten sie nicht mal im Studio richtig hinbekommen und daher die Demoaufnahmen veröffentlicht, live war es dann nur noch frustrierend gewesen. Daniel suchte sich nach der Tour erst mal andere musikalische Partner: Divine Fits hieß die Band, die er mit Dan Boeckner von den kanadischen Post-Punks Wolf Parade gründete. „Von Dan habe ich sehr viel gelernt“, schwärmt er. „Auf der Bühne ist er ein Lichtstrahl, ein Quell positiver Energie. Es macht ihm so viel Spaß, da oben zu stehen, dass ich dachte, ich kann nicht erwarten, dass die Band mich anschiebt, wenn ich mit übler Laune auf die Bühne gehe. Ich muss selbst meinen Teil dazu beitragen, dass die Show gut wird.“
Mit der neuen Band kam die Energie zurück, und Daniel wies seine Spoon-Kollegen -Schlagzeuger Jim Eno, Bassist Rob Pope und Keyboarder Eric Harvey -schließlich an, doch schon mal ohne ihn mit der nächsten Platte anzufangen. „Ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn sie schon mal ein bisschen Musik aufnehmen könnten, auf die ich dann nur noch draufsingen muss“, sagt er. „Aber sie waren nicht besonders begeistert von der Idee, weil sie wissen, dass ich wählerisch bin und sowieso alles wieder umwerfe. Aber sie haben es versucht und einen echt guten Track aufgenommen: ,Outlier‘ heißt das Stück jetzt. Ich habe ihnen gesagt:,Das habt ihr ganz ohne mich geschrieben und ich liebe es.'“
Daniel nahm aber nicht nur die positive Einstellung von Divine Fits mit in den Spoon-Proberaum: auch der Keyboarder Alex Fischel folgte ihm von der neuen zur alten Band. Um (wieder) zusammenzufinden, spielten alle gemeinsam ein Spiel: Jeder musste einen Song beschreiben, den er besonders mochte, ohne zu sagen, wie er hieß. Dann versuchte der Rest der Band, ihn anhand der Beschreibung zu spielen. „Eric kam mit einem Iggy-Pop-Song, Jim mit den Buzzcocks, ich mit irgendwas von Arcade Fire und ,The Word‘ von den Beatles – ich liebe diesen Song! Und die Beatles haben gezeigt, wie durch die Kombination verschiedener Persönlichkeiten in einer Band etwas entstehen kann, das größer ist als die einzelnen Bandmitglieder – das war auch der Grund, warum ich mal mit einem zweiten Songwriter eine Band gründen wollte, und so entstand Divine Fits.“
Welcher Lieblingssong am Ende welchen Track des neuen, zunächst von Joe Chiccarelli, dann von Dave Fridmann produzierten Spoon-Albums „They Want My Soul“ beeinflusst hat, will Daniel allerdings nicht sagen. Das Titelstück, so viel verrät er, hat seinen Ursprung in „You’re Making Me High“ von Toni Braxton. „Vor etwa zehn Jahren habe ich das im Radio gehört und war begeistert, klang für mich ein bisschen wie Fleetwood Mac. Ich habe damals versucht, ein Lied mit denselben Akkorden zu schreiben. Es war dann etwas zu nah dran und jetzt habe ich es für die neue Platte etwas abgewandelt.“ In dem Stück taucht eine weitere Obsession aus der Vergangenheit wieder auf: „Jonathan Fisk wants your soul“, singt Daniel nämlich, und dieser Jonathan Fisk war die Titelfigur eines Songs auf „Kill The Moonlight“ von 2002. Sie basiert auf einem Typen, der den jungen, im texanischen Temple aufwachsenden Daniel auf dem Weg zur Schule mal zusammengeschlagen hat. „Meine Freunde und ich wurden damals ziemlich oft schikaniert“, erzählt Daniel. „Wenn man sich nicht für Metal, Country oder Football interessierte, hatte man es damals in Texas nicht leicht. Sie nannten uns queer bitches und irgendwann nannten wir uns selbst so. Damals habe ich mir gewünscht, in London, New York oder wenigstens Austin zu wohnen, wo es mehr Leute gab, die sich für New Wave interessierten, aber vermutlich war es gut für den Charakter.“ Metal mag er zwar immer noch nicht, aber mit dem Werk von Hardrock-Acts wie AC/DC und Led Zeppelin hat er sich angefreundet. Und der Typ, der für Jonathan Fisk Pate stand, ist ein guter Freund geworden – und Spoon-Fan. Er mag Musik am liebsten, wenn sie laut ist.