Der Kultur-Bauer
Vor 20 Jahren wollte der kleine Sender Vox ganz modern sein und brachte im Rahmen von „Spiegel TV“ Gespräche mit Hellmuth Karasek und anderen Redakteuren, die ihr Gegenüber tatsächlich etwas zu fragen hatten. In Talk-Runden saß missmutig Maxim Biller, und manchmal spürte man beinahe den Geist von Günter Gaus. Vox machte damals das, was später Beckmann und Jauch und Lanz versuchten.
Eine Sendung hieß „Canale Grande“, ein Medienmagazin von der Art, die der große Friedrich Küppersbusch etabliert hatte. Darin plauderte und deklamierte ein theatralischer Mann mit kantigem Profil und Haartolle: Dieter Moor kam aus der Schweiz und war Schauspieler, er spielte den Medienprofi, den Bescheidwisser, den Schnellsprecher. Mit dem journalistischen Konzept von Vox verschwand auch der sympathische Herr Moor, Vox entdeckte später das Kochen, man kann sagen: Der Sender überlebte. Moor auch.
Seit einigen Jahren moderiert er „titel, thesen, temperamente“, ein Sonntags-Feuilleton aus dem Holozän der ARD. Die Wörter sprudeln wieder in diesem angenehmen Idiom, auch die kompliziertesten, papierensten Sätze kann Moor fast fehlerfrei aufsagen, und er spricht fast so wohlklingend wie Elmar Gunsch. In Brandenburg unterhält Moor jetzt einen Bauernhof mit Wasserbüffeln, er ist nachhaltig geworden und macht in Öko-Bewirtschaftung. Ein Buch schrieb er auch darüber. In einem verhallten Palais leitete Moor eine Talk-Runde im RBB, sie verbreitete gemütliche Atmosphäre, in unwirtlicher Umgebung. Eine Weile prüfte Moor mit Prominenten neue Bücher, die er selbst zwar nicht gelesen hatte, aber sein Gesprächspartner. Diese Formate wurden eingestellt, glaube ich.
Für 3sat und RBB berichtete Dieter Moor auch von der Berlinale -bei der Gelegenheit sah er ein paar Filme und wunderte sich darüber, dass am Ende die langweiligsten, sperrigsten und verblasensten Beiträge mit Preisen ausgezeichnet wurden. Er verwechselte Regisseure, Filmtitel und Handlungen und wollte sich mit Humor retten, doch bei den Berliner Filmfestspielen gibt es keinen Humor. Bei der Berlinale geht es, zum Beispiel, um einen iranischen Regisseur, der im eigenen Haus einen Film über seinen Hund dreht und fürchtet, dabei entdeckt zu werden. Eine politische Allegorie. Nicht Moors Ding.
Für den RBB fährt er jetzt in einem alten Volkswagen durch Brandenburg, er trägt meistens Jeans, ein weißes Hemd, eine Wachsjacke und sieht gut aus. „Bauer sucht Kultur“ ist gefilmtes Prenzlauer Berg auf dem Land: Moor besucht Architekten, die alte Gutshäuser retten und Ruinen, Literaten, die Dorfbüchereien betreiben, Landschaftsgärtner und Öko-Wohngemeinschaften, Künstler und Lebenskünstler. Sogar der Wirt der Berliner Schausteller-Kantine Grill Royal spricht sich für Entschleunigung aus und geht an einem See spazieren. Immerzu schwärmt Moor von Hausgemachtem, Selbstgezogenem, eigenhändig Aufgebautem; oft seufzt er wohlig von Kultur, wenn er Natur meint. Niemand sagt so schön „Speckbrot“ wie Moor. Und niemand lässt sich so gern dabei filmen.
Einmal besucht Moor ein Autokino aus der DDR-Zeit, das nur noch öffnet, weil ein paar Leute aus dem Dorf sich abends am Imbiss treffen. Moor tut so, als sei Currywurst mit Fritten eine seiner Lieblingsspeisen, und fragt dann, wo er sein Auto abstellen muss. Natürlich hat er nie in einem Freilichtkino „Nebel des Grauens“ gesehen. Er hat nie auf der Rückbank gefummelt und nie Pommes Schranke gegessen. Vielleicht hat er nicht mal „Ulysses“ gelesen. Und jetzt nennt er sich auch noch Max Moor. Aber ein so kultivierter Bauer ist an sich schon Kultur.