Der Kuchen reicht für alle
Ein Experiment zum Rumhüpfen: Die Kölner Band Locas In Love hat jetzt eine Sängerin und spielt als Karpatenhund Musik, die jeder haben will
Am Ende wird geschossen. Nicht unbedingt, weil die überbordende Stimmung im Publikum Salutböller von der Bühne erforderte: Claire schießt mit der Glitzerkanone, weil sie das jetzt gerne machen möchte. Ein Glitterkonfettiregen fällt in den Schüchternheitsgraben zwischen der Band Karpatenhund und dem Mannheimer Publikum, dahin, wo sonst die ersten drei Reihen wären, und Claire feuert gleich noch eine zweite Salve ab. Genau auf den Beat.
Karpatenhund sind eine schlaue Band. Sie wissen, was man tun muss, wenn man als erste von vier Bands am Abend vor leidlich interessierten Menschen spielt: Sie machen schnurrige Ansagen an die Lichtregie, Sängerin Claire klöppelt wie ein niedlicher Tambourmajor auf ihr Drumpad, und sie erzählen die Geschichte von der Drogenkontrolle auf der Autobahn, inklusive Blutabnahme, während alle schrecklich aufs Klo mussten. „Polizei ist immer gut für eine Geschichte“, sagt Björn nach dem Auftritt hinter der Bühne, „Polizei kommt immer an!“ – „Polizist müsste man sein!“, sagt Niklas, und Claire kühlt sich ihre im Drumpad-Case eingequetschte Hand im Bierkühlschrank.
Man merkt es nicht gleich, aber man befindet sich in einem Labor. Nicht in einem sterilen, langweiligen, sondern in einem angenehmen, mit guter Musik, in dem auch mal Bierflaschen umfallen. Und das ist die Versuchsanordnung für das „Experiment Karpatenhund“, wie Gitarrist Björn Sonnenberg sagt: Man lässt eine schwer kredibile, allerdings mäßig erfolgreiche Indieband – in diesem Fall Locas In Love, wo außer Björn noch Jan Niklas Jansen (Gitarre), Stefanie Schrank (Bass) und Mauri Arca (Schlagzeug) spielen – auf eine hübsche Schauspielerin treffen, die zufällig auch Sängerin ist – in diesem Fall Claire Oelkers. Man mixt beide Komponenten zu einer neuen Band, einer knallbunten, heißherzigen Popband mit klugen Texten, zu denen man aber auch Gummitwisten oder Herumspringen kann, holt sich einen Major-Deal – und schaut, was passiert.
„Das Experiment Karpatenhund ist der Versuch, Musik zu machen, die nicht elitär ist, die sich keiner bestimmten Szene zuschreiben will. Interessante Popmusik, die Haken schlägt, die für kleine Mädchen genauso funktioniert wie für dich und mich und Niklas und alle, die glauben, Connaisseure zu sein, genauso wie für Leute, die sagen, sie hören eigentlich alle Musik und sich darum im Grunde ja gar nicht für Musik interessieren.“ Musik zum Reinspringen wollen Karpatenhund machen. die einem gemäß der großen demokratischen Popgaukelei ohne Vorwissen einfach so gefallen kann, ohne sich aber fiäe allein auf die deskriptive Abhandlung von Liebe, Freizeit und Alltagsschlamassel zu beschränken. „Karpatenhund wollen viele Ebenen anbieten, auf andere Sachen außerhalb unserer Musik verweisen“, sagt Björn Sonnenberg. Aber wenn man nicht merkt, dass wir eine Textzeile haben, die eins zu eins von Modest Mouse übersetzt ist, weil man Modest Mouse gar nicht kennt, kann die Musik trotzdem zu einem sprechen.“
Und dann ist da ja noch die Sache mit der Industrie: Darf man das, als Indie-geschulter Musiker eine Band so unbekümmert offensichtlich in den Wind stellen, einen Major-Vertrag annehmen, ohne sich vorher pflichtschuldig in Kleinstkaschemmen den sogenannten Arsch abzuspielen? Und was bedeutet all das für die Zweit-Band, für Locas In Love? „Für Locas war das eine ganz große Befreiung“, sagt Jan Niklas Jansen. „Mit Karpatenhund können wir gewisse Dinge auslagern – wir mussten beispielsweise beim letzten Locas-Album nicht mehr zwei, drei Popsongs mit aufs Album packen, damit sich die Verluste in Grenzen halten. Wir machen mit der einen Band komplizierte Musik und mit der anderen Pop – und es ist nicht so, dass sich eine Band für die andere schämen muss.“
Versteckte sich also all die Jahre in der dunklen Locas In Love-Bitterschokolade ein poppiger Karamellkern, der nun extrahiert wurde? Wenn ja, harmonierte das hübsch mit dem Gruppennamen Karpatenhund, der ja einer Drei-Fragezeichen-Folge entliehen ist, in der es, grob gesagt, um eine durchsichtige Hundestatue geht, die in einem Pool versteckt ist – und die man nur erkennen kann, wenn man den Blickwinkel ändert.
„Natürlich gibt es auch Leute, die uns einen Raffzahn-Masterplan unterstellen wollen: Aha, jetzt merken sie, dass sie mit der Indieband nichts reißen können, da gründen sie einfach ’ne Popband mit ’ner zehn Jahre jüngeren Sängerin!“, sagt Sonnenberg. „Das ist Unfug. Ich finde es sehr anmaßend, dass einige Leute einem nur dann Glaubwürdigkeit zugestehen, wenn man arm ist, im 20. Semester rumkrebst und im Juze Traunstein einen auf Indieband macht – ich weiß nicht, ob man diese Underground-Ehre wirklich braucht.“
Auch wenn das zunächst paradox klingt: Durch die Gründung des durchaus kommerziell gedachten Karpatenhunds seien Locas In Love mehr Indie-gesonnen denn je. „Der Erfolg des neuen Locas Albums war mir wirklich von Herzen egal. Früher habe ich doch immer heimlich auf einen Charteinstieg mit Platz 98 gehofft. Ich dachte, ich mache doch eigentlich Popmusik, das können doch eigentlich viele Leute verstehen. Das ist mir völlig egal geworden, da geht es jetzt nur noch um Selbstverwirklichung.“
Warum das Experiment Karpatenhund nach zwei Jahren ohne große Werbetrommel Vertreter aller großen Plattenfirmen zum Showcase lockte, die sich in der Folge mit Zähnen und Klauen um die Band balgten, das kann sich keiner so recht erklären. „Wir nehmen an, das war eine Art Herdentrieb“, sagt Jansen. Andere werden nimmermüde den Juli-Silbermond-Helden-Vergleich aus der Moderkiste holen, um den Erfolg zu erklären. Vielleicht der prägnanteste Unterschied zu diesen Bands: das gefühlte Alter. Während Juli und Silbermond mit ihren Baggersee-Retrospektiven und Durchhalteparolen ältlicher daherkommen, als sie und ihr Publikum sind, ertrotzen sich Karpatenhund das Recht auf eine teeniehafte Attitüde. „Wenn ich mit der Konfettikanone schieße, ist das einer der wenigen Momente, in denen ich nicht darüber nachdenke, zum Bürgerbüro zu müssen und ein Formular zu holen“, sagt Claire.
Wie sich Claire und Locas In Love eigentlich kennenlernten? Wie es sich für eine Popband gehört: In der ersten Reihe beim David-Hasselhoff-Konzert auf einer Bootsmesse. So steht es im Internet. Und was ist mit der Geschichte, ein gemeinsamer Bekannter, Verleger und Produzent hätte sie einander ganz prosaisch vorgestellt? „Die erste Geschichte finden wir persönlich interessanter“, sagt Sonnenberg. „Es läuft ja immer auf dasselbe hinaus: Leute lernen sich kennen und beschließen, Musik zu machen“, sagt Niklas, „da kann man dann ja jede symbolische Geschichte dafür erfinden.“ Popcorn statt Maisfeld eben.