Der Krieg der Formate
Von der Einführung der DualDisc erhofft sich die Industrie neue Impulse - doch hinter den Kulissen feilschen Anwälte noch um Patente und Pronzente
Als Andrew Lack, Chef des frisch fusionierten Branchen-Primus Sony BMG, im Januar 2003 seinen Job bei Sony antrat, hatte er ein kleines Problem. Er, der bisherige TV-Mann, der primär ob seiner strategischen Qualitäten engagiert worden war, hatte von Musik keine Ahnung und wollte sich zügig in die Produktpalette einarbeiten. Nach der Arbeit schleppte er CDs und DVDs mit nach Hause – und war konsterniert, wie prähistorisch-umständlich es doch war, von einem Medium aufs andere umzusteigen. „Ich dachte mir:, Wär’s nicht toll, wenn man den Tonträger einfach umdrehen – und auf der Rückseite Informationen oder Videos vom jeweiligen Künstler abrufen könnte?'“
Tata Tata – die Geburtsstunde der DualDisc hatte geschlagen.
Nein – hatte sie nicht. Denn schon etliche Jahre früher war Dieter Dierks im rheinischen Pulheim auf eine ähnliche Idee gekommen. Dierks, in den 70er Jahren erfolgreichster deutscher Rock-Produzent, hatte Ende der 90er Jahre damit begonnen, das technische Problem anzugehen, das ebenso banal wie unüberwindbar schien: Wie kann ich zwei verschiedene Datenträger zusammenschweißen, ohne daß der Doppeldecker die zulässige Dicke von 1,5 mm überschreitet? Dual Layer-DVDs haben eine Stärke von 1,2 mm, die herkömmliche CD („Red Book“-Standard) liegt zwischen 1,2 und 1,5 wobei die Daten allerdings gewöhnlich 1,1 mm unter der Oberfläche eingebrannt werden.
Während sich die Unterhaltungskonzerne für das Thema nicht erwärmen mochten (allein die Vorstellung, zwei Tonträger zusammenzukleben, schien arrivierten Technikern wohl zu piefig), bastelte Dierks solange, bis er die Lösung gefunden hatte. Er nannte sein Kind „DVD Plus“ und meldete weltweit Patente an, und zwar für „alle beidseitig bespielbaren Hybrid-Discs mit einer Stärke von 1,1 bis 1,5 mm“ – wohl wissend, daß eine Stärke jenseits von 1,5 mm eh von keinem Player angenommen würde.
Während die Patente in Europa und Australien rechtskräftig sind, ist in den USA die Patentanmeldung pending; in anderen Territorien steht die patentrechtliche Anerkennung noch aus.
Die Musikkonzerne, in Agonie ob des endlosen Aderlasses durch illegale Downloads, hatten derweil begonnen, die immer unattraktivere CD durch bessere Ausstattung und zusätzliche Features am Leben zu erhalten. Analog zur Musik-DVD, die dank diverser Extras derzeit einen erstaunlichen Boom erlebt, war der beidseitig abspielbare Bastard plötzlich ein hochinteressantes Medium. Das technische Problem hatten die Sony-Entwickler letztlich auch gelöst: Mit 1,49 bleibt ihre Scheibe hauchdünn unter den kritischen 1,5 mm.
Unter Federführung von Sony BMG schlossen sich die fünf verbleibenden Musik-Multis zusammen, um das neue Format als „DualDisc“ zu etablieren. Nach einigen Testballons, die sowohl als CD als auch als DualDisc ausgeliefert wurden (wobei 30% der Käufer zum neuen Format griffen), kommt Ende April die Nagelprobe: Das neue Springsteen-Album „Devils & Dust“ wird in den USA nur als DualDisc ausgeliefert – zu einem Preis, der geringfügig über dem regulären CD-Preis liegt.
Vor Veröffentlichungen in anderen Territorien steht nun aber nicht nur das „DVD Plus“-Patent, sondern auch die Tatsache, daß die Fehlerquote bei Herstellung der DualDisc bislang suboptimal war. Sony BMG erkennen das Dierks’sche Patent inzwischen zwar in allen patentierten Territorien an (die Verhandlungen mit den anderen Konzernen haben begonnen), wollen aber trotzdem an ihrer DualDisc-Technologie festhalten – von der wiederum nicht nur Dieter Dierks behauptet, daß sie seinem „DVD plus“-Format derzeit deutlich unterlegen sei (weniger Spielzeit, höhere Fehlerquote).
Mit der „DVD Plus“-Technologie wurden immerhin bereits mehrere Millionen Datenträger produziert, meist von kleineren Lizenznehmern. Auf besonderen Wunsch von Herbert Grönemeyer erschien sein Album „Stand der Dinge“ bereits im Dezember 2000 als „DVD Plus“ – und fand reißenden Absatz und viel Beifall. Glaubt man unabhängigen Insidern, hat „DVD Plus“ einen entwicklungstechnischen Vorsprung, den die Konkurrenz bislang noch nicht wettmachen konnte.
Nichtsdestotrotz bleibt Sony BMG bei seiner DualDisc-Technologie – möglicherweise, um weitere Abhängigkeiten von Dierks zu vermeiden. Man muß dafür allerdings in Kauf nehmen, daß die Einführung des neuen Formats in Europa nun auf den Sommer verschoben wurde. (Angepeilter Verkaufspreis dann: 20 bis 22 Euro.) Entweder sind europäische Hersteller nicht in der Lage, die Fehlerquote auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, oder aber es gibt Engpässe in Produktion oder Vertrieb.
Beide Parteien werden also in den nächsten Monaten aufmerksam den Gang der Verhandlungen verfolgen. An einer gütlichen Regelung kommen am Ende beide wohl nicht vorbei.
Ob der Tanz ums goldene Patent-Kalb aber überhaupt die Aufregung wert ist, muß die Zukunft zeigen: Gut möglich, daß die DualDisc respektive „DVD Plus“ nicht vom Konsumenten angenommen wird und ein Nischendasein wie SACD oder DVD-Audio fristen wird. Nicht auszuschließen aber auch, daß die CD ihren 21. Geburtstag nicht mehr erlebt, sondern von dem neuen Format-Bastard über Nacht abgelöst wird.
Dann allerdings werden die Patentanwälte wohl noch mehr Überstunden schieben müssen.