Der kleine Junge mit der Gitarre
Graham Coxon macht sich auf die Suche nach einer Identität als Solokünstler und besucht seine musikalischen Wurzeln
Die Interviews zu seinem Album „Kiss Of Morning“ gab Graham Coxon noch in seinen Lieblingspub „Crown and Goose“ in Londons hippem Stadtteil Camden. Zum neuen Album kommt er uns ein bisschen entgegen, und wir treffen ihn in Köln. Durchaus ein symbolischer Akt Denn schließlich spricht er dieses Mal über das selbstbewusstere, eingängigere, weniger verschrobene und irgendwie größere „Happiness In Magazines“, bei dem er, wie er mir später erzählen wird, zum ersten Mal einsieht, warum er es mit Interviews bewerben soll. So ganz leicht zu fassen ist Graham Coxon aber immer noch nicht. Als ich zum Interview erscheine, lugt er hinter einer nur spaltbreit offenen Tür hervor, wie ein kleiner Junge beim Versteck spielen. Auch in unserem Gespräch versteckt sich hinter jeder Aussage der mit Mitte 30 irgendwie immer noch tapsige kleine Junge Graham mit all seinen Unsicherheiten und Spleens, der unsicher lacht und sich minutenlang die Augen reibt, um sein Gegenüber nicht anschauen zu müssen.
„Ich habe die neuen Songs etwa vor einem Jahr geschrieben. Damals hab ich die meiste Zeit in meiner Fantasie verbracht, um herauszufinden, wer ich eigentlich jetzt bin, wo ich ganz alleine, ohne eine Band dastehe. Ich habe wohl versucht, ein bisschen Ordnung in meine Vergangenheit zu bringen und wieder Kontakt zu meinen musikalischen Wurzeln aufzunehmen.“
Das Studium der eigenen Ursprünge nahm – wie bei einem zwanghaften Charakter wie Coxon wohl nicht anders zu erwarten – recht seltsame Züge an. „Ich stand im Plattenladen mit dem Kings Of Leon-Album in der Hand und dachte: ‚Nein. Ich muss das wieder zurückstellen.‘ Ich wollte die Musik bei den Wurzeln packen und mich nicht aus zweiter Hand beeinflussen lassen. Ich habe zu der Zeit Cream und Canned Heat gehört und obskure Bands wie Chrome oder Subway Sect – und Monochrome Set. Statt Franz Ferdinand hab ich Monochrome Set gekauft.“
Höhepunkt des musikhistorischen Studiums war sicherlich ein Gig in der Londoner Royal Festival Hall, bei dem Coxon nach einem seiner großen Idole, Bert Jansen, auftreten durfte. Nachdem Jansen sein letztes Stück, den Davy-Graham-Song „Angi“, gespielt hatte trat Coxon allein mit der akustischen Gitarre auf die Bühne. „Oh Gott“, stöhnt er, „ich sah aus wie ein Idiot. Ich hatte vorher nicht daran gedacht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich nach einem der größten Meister der akustischen Gitarre auf die Bühne gehen muss, um mich allein durch vier Songs zu fummeln. Meine Beine wunden weich, die Stimme versagte, ich war total nervös – und hatte zuviel Kaffee getrunken.“
Auch die Beschäftigung mit einem anderen großen Helden führte aus Coxons Sicht direkt in die nächste Peinlichkeit: Vor einiger Zeit erschien eine DVD mit dem Titel „The Pink Floyd & Syd Barrett Story“. Da sieht man Coxon im „Crown and Goose“ sitzen, während er über seine Verehrung von Syd Bartett spricht und einige seiner Songs klampft. „Das ist schon ein paar Jahre her. Sie haben mir ein pint nach dem anderen spendiert, und für jedes pint musste ich einen Song spielen. Ich habe insgesamt bestimmt zehn Songs gespielt. Auf der DVD sieht man, glaube ich, wie ich ‚Here I Go‘ spiele. I storted to sort of do that a little bit live quite a lot.
„Mann, sah ich da bescheuert aus. Dafür schäme ich mich heute noch.“
Auch auf der musikalischen Wurzelbehandlung „Happiness In Magazines“ spricht jeder Song von Coxons ungebrochener Bewunderung für seine alten Helden. Hier gibt’s allerdings nichts, wofür er sich schämen müsste. Einer der schönsten Songs auf dem Album ist von Scott Walker inspiriert. „Scott Walker höre ich schon seit Jahren. Er beeinflusst meine Arbeit nicht wirklich, aber als ich ‚Are You Ready‘ aufnahm, hab ich mir vorgestellt, ich sei er, um in die richtige Stimmung zu kommen. Ich kam mir vor, als steckte ich in einem Cord-Anzug und coolen Schuhen, obwohl ich natürlich meine Studio-Lumpen anhatte. Das ist meine Art, die Unsicherheit zu überwinden. Ich stelle mir auch auf der Bühne immer vor, ich sei jemand anders, denn wenn ich mir meiner selbst bewusst werde, geht alles den Bach runter. Also stelle ich mir vor, ich sei so ein richtiger Popstar« also das, was ich mir unter einem Popstar vorstellte als ich noch ein kleiner Junge war“