„Der Kinder wegen“ reiste Konstantin Wecker nach Bagdad, schüttelte Hände, sang und sorgte dafür, dass die Medien endlich schöne Dinge über ihn sagen
Militärmärsche sind im Irak zur Zeit die verbreitetste Musikgattung. Morgens, mittags, abends schallen sie aus dem Radio, und die einzige englischsprachige Zeitung des Landes, „Iraq Daily“, verkündet täglich auf Seite eins den gleichen Warnspruch des allmächtigen Präsidenten Saddam Hussein:,“Bereitet euch vor und vertraut auf Gott.“
In der deutschen Botschaft verstärkt man gerade die Wände gegen Bombendruck, und die wenigen Ausländer, die sich noch hier befinden, haben alle vorsorglich schon die Koffer gepackt Kein guter Zeitpunkt für eine Reise in den Irak. „Doch“, fand Koastantin Wecker und schloss sich der im schwäbischen Tübingen ansässigen deutschen Friedensgruppe „Kultur des Friedens“ an (die bei einem Kongress Ende der Achtziger von Mikis Theodorakis und Christa Wolf mitgegründet wurde, (www.culture-of-peace.de), die am 5.Januar mit Liederbüchern und vier Gitarren im Gepäck nach Bagdad abflog. „Ich will mir ein eigenes BUd vom Irak machen, weil ich nicht glaube, dass Krieg die Lösung ist.“
Bei der Ankunft in Bagdad waren erst einmal viel banalere Probleme zu lösen. Aus Kalkül (oder Höflichkeit) empfing die irakische Regierung Wecker und Co. wie Staatsgäste. Fünf abgedunkelte S-Klasse-Mercedes standen zur Abholung der deutschen Gäste bereit, und es kostete Mühe, den Sänger zum Einsteigen in die Karossen zu bewegen. Dann rauschte man ab ins Al-Rashid, das Luxus-Hotel von Bagdad.
„Wenn diese scheiß Autos nicht verschwinden, reise ich sofort wieder ab“, tobte Wecker. Der Organisator der Reise, Chorleiter und Allzeit-Friedensaktivist Henning Zierock, übersetzte den in Friedensdiplomatie eher unerfahrenen Wecker gegenüber den Gastgebern so: „Wir danken Ihnen für den höflichen Empfang. Aber wir würden es vorziehen, in einem Bus zu fahren und in ein einfaches Hotel umzuziehen.“ So geschah’s. Selbst Tareq Aziz, einer der engsten Vertrauten Husseins, nickte ab, wenn auch leicht beleidigt: „Wenn Sie uns beim Sparen helfen wollen, bitte sehr.“
Von Stund an war von der Überwachungsmaschine nichts mehr zu sehen und zu hören. Selbst erfahrene Irak-Korrespondenten kullerten mit den Augen, wenn sie hörten, wo Wecker an diesem oder jenem Tag wieder alles gewesen war. „Saddam City“, eine Art geschlossener Elendsbezirk mit zwei Millionen Einwohnern, den bisher kein Reporter filmen durfte: Wecker lief seelenruhig herum, sprach mit Händlern, Kindern und Arbeitslosen.
In einem Teehaus mitten im Bazar-Viertel, in dem sich jeden Freitag die Schriftsteller und Philosophen treffen, stand auf einmal Wecker von der Sitzbank auf und sang a cappella: „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist_“ – was in einem Land, das seit 12 Jahren nicht nur unter Wirtschaftsboykott, sondern auch unter kultureller Isolation leidet, einem mittelschweren Erdbeben gleichkommt.
Vor allem „der Kinder wegen“ wollte er in den Irak reisen, hatte Wecker vor seinem Abflug noch gesagt Vier Tage später stand er in einem dunklen 12-Quadratmeter-Loch, das gleichzeitig Wohn-, Schlafzimmer und Küche der achtköpfigen Familie Hasmat ist „Du bist kein schlechter Vater“, sagte er zu dem um Fassung ringenden Familienoberhaupt, das seinen achtjährigen Sohn Amir zu einem Schmied in die Arbeit schicken musste, weil sein Einkommen zum Erhalt der Familie nicht ausreicht Wecker übernahm eine Patenschaft für Amir, der geht ab sofort weiter zur Schule.
Nur zum Schluss, im Al-Rabat-Theater, mussten vor dem Konzert nochmals die Diplomaten ans Werk. Wecker hatte vorgeschlagen, den Schaukasten vor der Halle mit einem Bild Saddams bei einer Militärparade für die Zeit des Auftritts mit einem schwarzen Tuch zu verhängen. Der Vertreter des Kultusministeriums wäre bei dem Vorschlag fast ohnmächtig geworden – Wecker hatte Mitleid und spielte unverhüllt.
„Die Freundlichkeit dieser Menschen, die allen Grund hätten, den Westlern feindlich gegenüber zu stehen, hat mich überwältigt“, sagte er am Ende der Woche. Und daheim wolle er „alles tun, was ich kann, dass dieser wahnsinnige Krieg verhindert wird“. Vermutlich denkt er dabei nicht nur ans Singen.