Der Kellner der Boheme
MIT POLITISCHEN Auseinandersetzungen habe das nichts zu tun, sagt Patrick Richardt über sein Debütalbum „So wie nach Kriegen“. Gekämpft hat der junge Liedermacher aus Krefeld nämlich auf dem Schlachtfeld der Jugend, auf dem die Träume bekanntermaßen zuerst fallen. So scheiterte beispielsweise seine erste Band Oh, Napoleon, in der Richardt Schlagzeug spielte, trotz vielversprechendem Vertrag bei Universal schon nach einer Platte. Doch Richardt zog seine Lehren daraus, krempelte die Ärmel hoch, renovierte mit ein paar Freunden ein heruntergekommenes Haus, zog dort ein, las „alten Krempel“ von Bertolt Brecht und Hermann Hesse und sattelte auf Klavier und Gitarre um, auf denen er zum ersten Mal Songs in deutscher Sprache verfasste. Heute beschreibt er diese Phase als „Zeit des Aufbruchs“, geprägt von dem „Gefühl, sich selbst etwas aufzubauen“.
Dementsprechend zweckoptimistisch geraten Richardts Songs, die zwischen Selig-Pathos und Tim-Bendzko-Unbeschwertheit taumeln. „Hör auf, dich zu beklagen“, heißt es im Refrain von „Wir segeln“. Und im selben Song: „Hör auf, mich anzuklagen!“ Zwischen diesen beiden Zeilen steckt das bescheidene Selbstbewusstsein einer neuen Generation deutscher Songwriter, die seit Gisbert zu Knyphausen schneller durch die Talent-Filter deutscher Plattenfirmen laufen als Fair-Trade-Kaffee durch die Bio-Filter Berliner Szene-Cafés. Vorbei das hypersensible Indie-Gepuschel der sogenannten Nullerjahre. Konjunktur haben Clueso, Jan Delay und Max Herre sei es gedankt wieder die schwiemeligen Schnodder-Hymnen eines Udo Lindenberg. Mit dessen Musik wuchs auch Richardt auf, weshalb sein Tonfall manchmal an die sympathische Trotzigkeit des notorischen Filzhut-Rockers erinnert. „Ich finde auch nicht alles geil, was mich umgibt“, erklärt er. „Aber ich kann nicht so viel damit anfangen, wenn Musik komplett im Negativen verharrt.“ Ihm fehle halt oft das „Kernige“ in der Popmusik.
Während der Aufnahmen zu „So wie nach Kriegen“, die in einem Bunker aus dem 2. Weltkrieg gemacht wurden, hätte es unter den Musikern auch ein Symbol gegen zu viel Schmalz und Weinerlichkeit gegeben: Richardt nennt es „Faust der Standhaftigkeit“. Im vergangenen Jahr hat er Konzerte für Kettcar und Thees Uhlmann eröffnet, seine Erwartungen hält er trotzdem auf Sparflamme. Dass er mit Musik mal sein Geld verdienen könnte, ist für ihn unrealistisch. Zu frisch sind da noch die Erfahrungen mit dem Beinahe-Erfolg seiner ersten Band. Das hat ihn spürbar geprägt und lässt ihn fast schon eine Spur zu erwachsen wirken für einen Newcomer. Seinen Lebensunterhalt verdient er hauptsächlich als Kellner in einer Krefelder Bar.
Momentan bewirbt Richardt jedoch vor allem sein Debütalbum, wofür er auch schon mal in die ZDF-Kochsendung „Topfgeldjäger“ geht, „obwohl ich gar nicht kochen kann“. An Fleiß mangelt es ihm also definitiv nicht. Richtig sauer wird er hingegen, wenn er sich gegenüber Gleichaltrigen, die gerade Studienabschlüsse machen oder bereits arbeiten, für sein Bohemien-Dasein rechtfertigen muss. „Viele Leute können nicht verstehen, dass man seinen eigenen Weg geht und eben nicht diese Sicherheit hat, die sich die meisten aufbauen“, klagt Richardt. „Ich finde es sehr merkwürdig, dass die meisten den Beruf des Musikers erst dann anerkennen, wenn man damit genügend Geld verdient.“
Bei dem, was Richardt seinen Zeitgenossen im Smalltalk alles ablauscht, darf man gespannt sein, welche Alltagsentwicklungen er künftig musikalisch verarbeiten wird. Vielleicht singt der Boheme-Kellner ja demnächst Lieder über spießige Studenten und Mittelständler mit panischem Sicherheitsbedürfnis – vorausgesetzt natürlich, es bleibt immer schön energisch und nicht zu negativ.