Der grüne Punk
T. C. Boyles jüngster Roman lieferte den literarischen Ausgangspunkt: In Frankfurt diskutierten zwei "Freunde der Erde", wie es inzwischen um die idealistischen Maxime ihrer Jugend bestellt ist
Die Männer mit den rötlichen Haaren wirken etwas verloren unter den riesigen Saurier-Skeletten – zwei Freak Brothers im Jurassic Park. Der ROLLING STONE und die „Frankfurter Rundschau“ haben T. C. Boyle (52) und Daniel Cohn-Bendit (56) im Frankfurter Senckenberg-Museum für Naturkunde zusammengebracht. „Ein Ort der ausgestorbenen Spezies – da passen wir doch gut rein“, flachst Boyle, „wir Menschen stehen ja auch kurz vor der Ausrottung.“ Unsinn, poltert Cohn-Bendit, „soweit sind wir noch lange nicht. Wir beide werden noch steinalt“. Der US-Literat und der EU-Grüne auf einem „Klima-Gipfel“ der ungewöhnlichen Art.
In seiner neuen Öko-Satire „Ein Freund der Erde“ beschreibt der US-Bestseller-Autor („Willkommen in Wellville“), wie die grüne Bewegung im Mülleimer der Geschichte landet Die aufrechten Öko-Apostel können in dem bitterbösen Roman mit ihren Protest-Aktionen auch nicht verhindern, dass der Planet im Jahr 2025 auseinander fallt und alle Spezies aussterben. Die Aussichten sind düster. Klima-Kollaps, Überbevölkerung, Chaos. Und mittendrin: Ty Tierwater. Der fanatische Umweltschützer aus dem vorigen Jahrhundert pflegt im Jahr 2025 den Privatzoo eines exzentrischen Rockstars, der unverkennbar Michael Jackson nachempfunden ist Daniel Cohn-Bendit (56), Sponti-Ikone und Europa-Abgeordneter der französischen Grünen, soll beim Treffen mit Boyle den Relevanzgehalt des literarischen Katastrophen-Szenarios prüfen. Das Thema hat erst Ende Juli, auf der Klimakonferenz in Bonn, wieder die Realpolitik beschäftigt.
Den Weg zu ihrem Treffen in Frankfurt hatten übrigens beide umweltschonend zurückgelegt: Boyle kam mit dem Zug von seiner Lesung in Köln, Cohn-Bendit mit dem Fahrrad aus dem Frankfurter Westend. Ob solch vorbildliches Öko-Verhalten noch was bringt, bleibt nach der Lektüre von Boyles neuem Roman zumindest fraglich.
Bob Dylan, die nölende Stimme Ihrer Generation, ist kürzlich 60 geworden. Angenommen, Sie hätten ihm eine Glückwunschkarte geschickt, was hätten Sie ihm geschrieben?
COHN-BENDIT: „The Times aren’t changin – Dany. BOYLE: Ich habe bei einem Festival in New York an einer Hommage für Bob Dylan teilgenommen. Da standen fünf Musiker und fünf Schriftsteller auf der Bühne. Jeder sollte sich mit einem Song von Dylan beschäftigen. Patti Smith sang eine sehr schöne A-capella-Version von „Dark Eyes“, Tracy Chapman war auch da, und Martin Amis trug die Zeilen von „The Times They Are A-Changin'“ wie ein Gedicht vor. Und ich, ich habe „Leopard-Skin Pill-Box Hat“ vorgelesen. Der Song erinnert mich an Dylan, als der noch ein arroganter Punk war, der sich über Leute
lustig machte, die solch einen „Leopard-Skin Pill-Box Hat“ trugen.
COHN-BENDIT: Dabei war doch Jean Luc-Goddard der erste Punk, Dylan war der erste Rapper.
BOYLE: Nicht schlecht, hätte von mir sein können.
Dylans Songs lassen oft eine noch düsterere Zukunft erahnen, als Boyle sie in seiner Oko-Satire „Ein Freund der Erde“ skizziert. Wir möchten mal Ihre Dylan-Kenntnisse testen. Wir geben Ihnen eine Liedzeile vor – und Sie nennen uns den Song dazu.
Cohn-BendiT: Ach du Schande. Aber gut, legen Sie los.
„How many years can a mountain exist bef ore it’s washed to the sea.“
BOYLE: Und wir sollen jetzt sagen, aus welchem Song das ist?
COHN-BENDIT: Haben sie doch gesagt. Mir liegt’s auf der Zunge. Aber ich kann es immerhin vorsingen. „How many da da da da da da.“ Hach, ich komm nicht drauf, ich kenne die Musik, aber nicht den Titel.
BOYLE: Ach verdammt, es ist eben einer dieser alten Songs.
Schlappe Leistung, nicht mal „Blowin In The Wind“ erkannt zu haben.
BOYLE: Auf dem Dylan-Fest in New York erzählte ein Professor von den Reimschemen, die Dylan benutzte, und was für ein großer Dichter er sei. Ehrlich gesagt, hatte ich nie so genau darauf geachtet; ich hatte mir immer mehr seine Musik angehört.
Weiter im Spiel.
BOYLE: Er lässt wirklich nicht locker…
„Come gather round people, whereever you roam and admit that the water around you have grown, then you better start swimming or you sink like a stone ior the times..“
COHN-BENDIT: „…they are-a-changin'“ – das war jetzt schon wieder zu leicht.
BOYLE: Aber wirklich. Na los, gebt uns noch einen. Jetzt will ich’s auch wissen.
„And it my thought dreams could be seen they probably put my head in a guillotine but it’s alright..“
Cohn-Bendit: Man?
BOYLE: Nee – „Mam Fm only bleeding.“
COHN-BENDIT: Stimmt BOYLE: Der Song hat mich zu einem Kapitel in meinem ersten Roman „Wassermusik“ inspiriert: „Oh mama, can this really be the end?“ Ich liebe es, high und low culture zu vermischen.
Letzter Versuch: „I heard the sound of thunder it roared out a warning, hear the roar of the wave that could have drowned the whole world, and it’s a..“
BOYLE: .“ „hard, it s a hard, it’s a hard rains a gonna fall.“
Mr. Boyle, der Held Ihres neuen Romans ersäuft mitunter fast in sintflutartigen Regenfällen. Er ist ein verbiesterter Dko-Kämpfer, der auch nicht verhindern kann, dass die Welt im Jahr 2025 unter geht. Jetzt sitzen Sie mit Daniel Cohn-Bendit an einem Tisch. Waren Politiker wie er Vorbilder für den grünen Versager Ihres Buches?
COHN-BENDIT: Jetzt mal schön langsam. Der Typ in Boyles Buch gehört doch wohl eher zur Fundi-Fraktion – und da war ich schließlich noch nie zu Hause. Eigentlich müsste ich mich beschweren, weil in dem Roman kein einziger Realo vorkommt.
BOYLE: Mein Roman wird manchmal etwas missverstanden. Es ist nicht meine Absicht, die Radikalen der Umweltbewegung zu kritisieren oder einfach nur vorzuführen. Das wäre mir erstens zu plump, und zweitens mag ich diese Öko-Terroristen durchaus. Ich habe mich oft mit Ökologie beschäftigt, immer wieder Kurzgeschichten zu dem Thema geschrieben. Diesmal habe ich mir ein besonders satirisches Szenario für den Weltuntergang ausgedacht. Ich will informieren, unterhalten und provozieren. Wenn ich die Leute damit wütend mache, umso besser.
Ihr Öko-Krieger Ty Tierwater lässt sich ja aus Protest gegen die Abholzung der Wälder an der US-Westküste die Füße einbetonieren. Bringt es Sie nicht ins Grübeln, dass solche aufrechten Umwelt-Apostel – nicht nur in Ihrem Buch – heute eher belächelt werden?
BOYLE: Ty ist nicht gerade der Vorzeigeheld seiner Bewegung, aber so etwas gibt es sowieso nicht. Ich wollte, dass dieser Typ egoistisch, selbstgerecht, eben nicht perfekt ist. Hätte ich die grüne Bewegung als edel, hilfreich und gut gezeigt, würden die Leser maulen: „Was für ein langweiliger Scheiß.“ Ich wollte die Widersprüche einer solchen Bewegung zeigen.
COHN-BENDIT: Jede soziale Bewegung hat ihre Momente von Irrationalität und Fundamentalismus.
Eine „cleane“ Bewegung existiert nicht. Nehmen Sie nur die Globalisierungsgegner. Die sind zum Teil völlig irrational, aber viele von ihnen stellen ja durchaus die richtigen Fragen. Und genau darüber schreibt Boyle ja. Er sagt: „Diese Bewegung ist ein Widerstand in der Gesellschaft, aber die Menschen dahinter sind deshalb keine Heiligen, sondern ganz normale Menschen, die genauso irrational wie alle andere reagieren.“
Herr Cohn-Bendit: Wie realistisch sind denn Boyles Untergangs-Szenarien anno 2025?
COHN-BENDIT: Wenn ich eben Roman lese, frage ich mich nicht, ob er jetzt realistisch ist oder nicht. Boyle übertreibt maßlos – aber er beschreibt ein reales Problem: die Veränderung des Klimas. Boyle zeigt, wie die Welt den Bach runter geht Und in dieser Welt gibt es Menschen, die gegen die Zerstörung kämpfen. Nur sind die in ihrem fanatischen Kampf so verbohrt und verrückt geworden wie die Welt um sie herum. Die Leute, die die Erde verteidigen, können sie am Ende selbst nicht mehr ausstehen. Und das ist zum Teil brüllend komisch.
Sie finden glücklose Umwelt-Aktivisten lustig?
COHN-BENDIT: Also die Stelle, als die beiden Öko-Kämpfer aus Protest gegen die Abholzungen tagelang nackt im Wald leben und dann völlig ausgehungert und zerstochen zurückkommen, ist große Klasse.
Haben Sie das auch mal gemacht?
COHN-BENDIT: Nackt im Wald? Ich bin doch kein Idiot BOYLE: Schön, dass ich Sie zum Lachen bringe. Aber ich habe auch versucht, eine komplexe realistische Vision der Umweltkatastrophe zu zeigen. Wir tendieren ja ständig dazu, alles in Gute und Böse aufzuteilen. Nur ist das nicht glaubwürdig und törnt die Leser eher ab. Ich mache mich nicht nur lustig. Denn die Radikalen unter den Umweltschützern haben, vor allem ihre Aktionen in den 80er und 90er Jahren, viel Aufmerksamkeit auf die Abholzungen von in Kalifornien gelenkt Ich habe daher auch große Sympathie für jemanden wie Julia Butterfly Hill.
Die Frau, die zwei Jahre in einem Redwood-Baum ausharrte, um gegen die Zerstörung der kalifornischen Wälder zu protestieren. In Ihrem Roman übernimmt Sierra, die Tochter von Tierwater, diese Rolle.
BOYLE: Genau. Julia Butterfly Hill war eine große Inspiration. Was sie gemacht hat war außergewöhnlich – sie saß da wie Rapunzel, die ihr Haar herunterließ, wie eine Jungfrau auf einem Baum, weit weg von Sex und dem Rest der Menschheit – eine Märtyrerin, genau wie Sierra in meinem Buch.
Ist ein Martyrium denn noch eine effektive Protestform im Umweltschutz?
BOYLE: Die Frage ist doch eher, wer heute überhaupt noch zu den Umweltschützern zählt. Das sind doch alles wohlhabende Leute, die bereits ihr Haus in den Bergen haben. Und das wollen sie sich natürlich bewahren.
Leute wie Sie, Mr. Boyle?
BOYLE: Absolut. Als ich Vorjahren von Los Angeles in die schöne Küstenstadt Santa Barbara zog, sagte ich meiner Frau: „Von jetzt an bin ich gegen alles.“ So funktioniert das nun mal. Wir sind alle von uns selbst besessen. Aber es geht ja auch gar nicht darum,
ob wir jetzt alle Mülltrennung machen oder nicht. Das primäre Problem ist doch, dass es zu viele von uns gibt. Und wir werden immer mehr. Der größte Verbrecher der Erde ist für mich daher der Papst, weil er gegen Geburtenkontrolle ist.
Wenn Sie solche Angst vor der Überbevölkerung haben, Mr. Boyle, wie kommt es, dass Sie selbst drei Kinder gezeugt haben?
BOYLE: Ganz einfach: Weil ich auch nicht anders als die anderen bin, weil wir alle wie Tiere sind. Weil meine Frau mich gekrallt hat und ich ihr nicht widerstehen konnte, darum!
Sind Sie ein Zyniker, Mr. Boyle?
COHN-BENDIT: Jetzt tun Sie ihm aber unrecht. Na gut, wir sind alle selbstbesessen, und egoistisch. Die Männer, die die Welt lenken, sind es auch. Aber Boyle ist kein Zyniker, weil er das beschreibt. Er ist ein Humanist, der uns eine dunkle Welt zeigt und damit eine Diskussion anfacht BOYLE: Vielen Dank, ich bin nämlich wirklich kein Zyniker, ich bin pessimistisch.
COHN-BENDIT: Das kann man wohl sagen. Und Sie haben einen rabenschwarzen Humor, der Ihren Pessimismus erträglich macht Es ist ja sehr verdienstvoll, in Ihrem Buch die Löwen vor der Ausrottung zu schützen. Aber wenn der Tierschützer dann von einem der letzten lebenden Löwen gefressen wird, ist das zumindest für ihn wenig erfreulich.
BOYLE: Das müssen Sie anders sehen: Es ist doch auch ein ehrenvoller Tod, von dem letzten Löwen gefressen zu werden. Okay, die Szene ist furchtbar, aber auch furchtbar komisch. Aber im Ernst: Die Fragen, die mich beschäftigt haben, sind folgende: Haben wir Menschen überhaupt das Recht, Spezies von einer Umgebung in die nächste zu verpflanzen? Dürfen wir Natur kontrollieren, sie manipulieren oder domestizieren? Wir machen es einfach – egal ob im Bio-Engineering oder in der Gen-Forschung. Das erinnert mich an die alten „Frankenstein“-Filme. Da gab es immer einen Wissenschaftler, zu dem irgendjemand sagte: „Aber Sie sind ja völlig verrückt.“ Und der Wissenschaftler lachte dann: Ja, hähähä.“ Genau das scheint im Moment zu geschehen. Wir steuern auf ein Desaster zu.
COHN-BENDIT: Das kann man sehr schön an der Debatte um die Gen-Forschung beobachten. Wir können Menschen und die Natur schon jetzt verändern. Aber wir wissen nicht, was wir da tun. Wir fugen etwas hinzu – und das hat jedes Mal langfristig die Natur verändert. Es reicht nicht, jetzt einfach zu sagen: JDies ist richtig oder falsch.“ Es ist die Aufgabe der Politik, jetzt einen Rahmen zu schaffen, der diese Umwälzung in den Griff bekommt.
Glauben wir Boyles Zukunftsvisionen, wird das nicht klappen, da nicht mal die Grünen den Planeten retten können.
COHN-BENDIT: Mal langsam. Natürlich, nur die Mehrheit der Menschen kann unseren Planeten retten, nicht eine Partei. Aber im Gegensatz zu Boyle habe ich Hoffnung. Aber es ist ein großer, schwieriger Kampf. Das sieht man, wenn bei jeder Benzinpreiserhöhung wieder alle verrückt werden – von der „FR“ bis zur „Bild-Zeitung“. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass in vielen Teilen der Welt mehr und mehr Leute fühlen, dass es mit dem Raubbau an der Natur so nicht weiter gehen kann. Unser Ziel muss sein, den kleinen Weg zu finden, auf dem die Mehrheit gehen will, um ihren Lebensstil zu ändern. Und diese Debatte haben wir im Moment. Boyles Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu.
Die Grünen in Deutschland hatten auch schon mal mehr Zulauf.
COHN-BENDIT: Das sehe ich anders: Grüne Politik ist nicht out. Wir sind in Europa gerade dabei, eine sozial und ökologische Alternative zu dem „american way of life“ zu entwickeln, wie er jetzt unter Bush wieder forciert wird – mit all seinen negativen Auswirkungen auf die Dritte Welt und die Umwelt BOYLE: Aber glauben Sie denn, dass sich die USA verändern werden? Na gut, Bush wird in vier Jahren wieder verschwunden sein, aber in der Zeit wird er eine Menge Schaden angerichtet haben. Werden sich die Amerikaner an den Europäern ein Beispiel nehmen, weil sie vielleicht weniger Sprit als verbrauchen? Oder werden sie sagen: „Zur Hölle mit diesen Europäern, lasst uns noch größere Autos bauen.“ Ich fürchte, die letzte Version ist die realistische.
Sie müssen es wissen, Mr. Boyle. Fühlen Sie sich nicht angestachelt, wie Ihr Romanheld die Umweltsünder unter Ihren Landsleuten wachzurütteln?
Nein. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie man im Moment die öffentliche Meinung in den USA ändern könnte. Ich schreibe ja auch keine Bücher, weil ich mich an ein heißes Thema dranhängen möchte. Ich bin von diesem Thema besessen. Die meisten amerikanischen Schriftsteller schreiben nur über Freundinnen und Scheidungen. Ich interessiere mich halt für geopolitische Themen, so bin ich nun mal.
Cohn-BendiT: Und ein bisschen interessieren Sie sich auch für Sex.
BOYLE: Da haben Sie natürlich Recht. Auch Umweltschützer haben Sex. Aber ernsthaft: Ich bin über die Umwelt besser informiert als der Durchschnitts-Amerikaner. Ich bin aber kein Sprecher für eine Bewegung, ich bin kein Politiker, ich habe kein Forum und versuche auch nicht, dir etwas anzudrehen. Ich hasse es, zu predigen.
Und Sie bekennen sogar: Auch ich bin eine Umweltsau.
BOYLE: Auch wenn ich kein Aktivist bin, kann ich mich der Natur sehr verbunden fühlen. Das klingt jetzt vielleicht kitschig, denn das hätten sie von mir bestimmt nicht erwartet Stimmt.
BOYLE: Ich demonstriere nicht und ich kette mich nicht an Bäume. Aber ich wandere gerne durch die Wälder. Ich liebe die Wälder, ich bin gerne von Natur umgeben, es ist gut für meine Seele, mein tierisches Selbst. Das können Sie sicherlich verstehen, Dany.
COHN-BENDIT: Ehrlich gesagt, nein. Ich bin kein Naturfreak, ich liebe die Großstadt. Allein in der Natur fühle ich mich verloren, ich hätte keine Lust, allein durch den Wald zu laufen. Da vereinsamt man ja.
Mal eine andere Frage: Haben Sie im US-Wahlkampf eigentlich für Ralph Nader, den Kandidat der Green Party, gestimmt?
BOYLE: Nein. Ich habe ihn nicht gewählt – denn ich bin für Realpolitik. Meine Stimme ging an die Demokraten – in der Hoffnung, dass Bush geschlagen werden könnte. Im Gegensatz zu mir haben viele Amerikaner leider nicht bemerkt, wie blind und böse dieser Mann ist. Seine einzige Vision scheint zu sein: „Meine texanischen Freunde und ich sollten noch ein bisschen reicher werden.“ Dann hat er erst mal alle die Umweltschutzbestimmung, die Clinton kurz vor der Amtsübergabe noch verabschiedet hatte, auf Eis gelegt. Ich wusste, dass Nader Gores Chancen auf einen Sieg reduziert. Das ist irgendwie zynisch…
COHN-BENDIT: Das Problem war doch, dass es keiner geschafft hat, Gore und Nader zusammen zu bringen. Das muss man den Intellektuellen in den USA ernsthaft ankreiden.
Mr. Boyle, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sehen, dass die Grünen in Deutschland und inzwischen auch in Frankreich fest im politischen Leben verankert sind, in den USA aber nur eine marginale Rolle spielen?
BOYLE: Wir Amerikaner sollten mit Bewunderung auf die deutschen Grünen sehen. Sie sind ein Beispiel dafür, was machbar ist, wenn man Koalitionen schließt. Sie haben Regierungsverantwortung. In vielen europäischen Ländern gibt es die Tradition eines Mehrparteiensystems. Die USA aber sind seit ewigen Zeiten in ihrem Zwei-Parteien-System festgefahren. Eine Dritte hat es nie geschafft.
COHN-BENDIT: Aber jetzt müsste es doch in den USA eine Debatte über eine neue Koalition geben. Es gibt ein Potenzial für eine neue Mehrheit, sie war da, die Demokraten und Nader waren die Mehrheit. Es muss auf politischer Ebene funktionieren. Es ist Unsinn, wenn Demokraten und Nader-Leute sich jetzt gegenseitig als Verräter bezeichnen. Dann werden sie solche Fundis wie in Boyles Buch.
Brauchen die USA also gerade jetzt jene autrechten Oko-Kämpfer, über die Boyle sich so lustig macht?
COHN-BENDIT: Die brauchen wir in Europa vielleicht auch.
Mit den Grünen in der Bundesregierung stellt sich die Frage, wie die jetzt staatstragenden Ex-Aktivisten auf Protestaktionen gegen Castor-Transporte oder G8-Gipfel reagieren.
COHN-BENDIT: Die Menschen haben doch das Recht zu sagen: Wir wollen das Ende der Atomkraft und zwar jetzt. Und dann ist es die Aufgabe der Politik zu sagen: In fünf, in zehn Jahren oder in zwanzig Jahren. Das ist dann eine Frage der Mehrheiten. Als Grüner bin ich komplett auf der Seite des Kompromisses, der jetzt geschlossen worden ist. Aber ich verstehe auch, dass es viele Leute gibt, denen der Atom-Ausstieg nicht schnell genug geht. Die Deutschen haben diese verbohrte Vorstellung, wonach nur e»» Weg in die Hölle führt. Ist doch Quatsch: Es führen viele Wege in die Hölle. Wo ist das Problem?
Das Problem ist die nachlassende Sorge um die Umwelt. Tschernobyl ist lange her.
CoHN-BENDIT: Tschernobyl war auch etwas anderes. Das hatte sofortige Auswirkungen. Wenn heute Biblis explodierte, würde uns das ins Gesicht fliegen,
und niemand würde das ignorieren. Die Auswirkungen der Klima-Veränderungen aber werden wir erst in zwei Generationen spüren. Und jetzt über ein Problem der Zukunft zu streiten, das ist das Abenteuer und auch das Schwierigste in der Politik.
Oder die Kunst der Politik? Herr Cohn-Bendit, Sie haben sich ja mal als politischen Künstler bezeichnet.
COHN-BENDIT: Ich habe mir die Freiheit genommen, nie die politisch korrekte, die erwartbare Antwort geben zu müssen. Das liebe ich an der Politik. Ein politischer Künstler ist jemand, der versucht, mit der Komplexität der Dinge zu spielen und so unsere Sicht- und Denkweisen zu verändern.
glaublich viel Spaß. Ich schulde niemandem etwas, ich kann sagen: „Fuck you.“ Ich kann machen, was ich will – und trotzdem Einfluss haben.
COHN-BENDIT: Ihre Bücher „Ein Freund der Erde“ oder auch das Einwanderungsdrama „America“ wirken genau deshalb in die politische Arena hinein, weil Sie selbst nicht mit einer Partei verknüpft ist und keine politische Botschaft haben. Das heißt ja nicht, dass Sie keine politische Meinung haben.
Mr. Boyle, Sie haben mal gesagt, die Generation der 68er habe nichts erreicht — nur Drogen, Gangs, kaputte Familien. Herr Cohn-Bendit, was halten Sie davon?
COHN-BENDIT: Wenn mir heute ständig unter die Nase gerieben wird: „Was habt Ihr schon groß gemacht?“ – das fuchst mich richtig. Zuerst einmal hat unsere Generation die Welt verändert. Und wir haben uns selbst verändert. Nicht alles hat sich so verändert, wie wir es wollten. Aber wir haben „nein“ zum Vietnam-Krieg gesagt, wir haben „nein“ zur bigotten gesellschaftlichen Moral gesagt – und deswegen ist die Welt von heute so anders. Das heißt nicht, dass wir mit allem Recht hatten. Aber nehmen wir das Beispiel USA: In den 60er Jahren gab es selbst in New brk Lokale und Orte, die für Schwarze verboten waren.. Ganz zu schweigen vom Süden des Landes. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, welcher Rassismus in den USA vorherrschte.
BOYLE: Also gut, ich habe 68 kritisiert, und ich zähle mich selbst zu dieser Generation. Ich wollte sagen, dass wir auch nach einer neuen Tradition hätten suchen müssen, um jene Tradition zu ersetzen, die wir so wunderschön zerstört haben. Jetzt sind viele aus unserer Generation in der Politik angekommen. Wir haben die Verantwortung. Die Frage ist: Woran glauben wir, was haben wir erreicht? Ich bin auch stolz, dabei gewesen zu sein. Ja, wir haben die Welt verändert, wir haben die Umweltpolitik verbessert, die Gesellschaft ist toleranter geworden. In den 50er Jahren war Amerika für Schwarze ein schlimmer Ort, heute sind wir auf dem Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft. Ich war 1968 gut darin, die alten verkrusteten Strukturen zum Einstürzen zu bringen. Ich frage mich, ob ich gut genug bin, etwas Neues aufzubauen. COHN-BENDIT: Wir haben’s versucht, aber es stimmt. Wir waren zu schwach, etwas Neues aufzubauen. Wir hatten damals sehr viel Mist in unseren Köpfen.
Mr. Boyle, sind Sie in diesem Sinn auch ein politischer Künstler?
BOYLE: Interessant, was Sie da sagen, Dany. Von den amerikanischen Politikern sagt keiner, was er denkt oder fühlt, weil er ja irgendeinen Wähler verschrecken könnte. Sie können nie ehrlich sein, also auch nie progressiv sein oder Visionen entwickeln, weil sie auf alles eine parteikonforme Antwort geben müssen. Das gilt im übrigen auch für die Burschen, die ich unterstütze. Und weil die Lage so desolat ist, macht mir meine Rolle in dieser Gesellschaft unGlauben wir dem „Spiegel , so sitzt Ihnen jetzt die nächste Generation der 40-Jährigen im Nacken. Leute, die Käpt’n Kirk und nicht Che Guevara verehren, die an sich selbst und nicht an Solidarität glauben.
Fühlen Sie sich bedroht?
COHN-BENDIT: Noch sind wir ja nicht abgetreten: Wir sind noch hier. Es ist zu leicht, da eine neue Generation herbeizuschreiben und die dann noch mit Guido Westerwelle zu benennen. Klar, die Show muss weiter gehen. Der „Spiegel“ braucht solche Slogans.
BOYLE: Sehen Sie uns an, wie wir hier sitzen, Dany und ich: Wir sind nicht nur jung, sondern auch vital – es wird verdammt schwer sein, uns loszuwerden.