Der größte Bösewicht von allen
Das Jahr 2011 läuft gut für die berüchtigte Kunstfigur Alice Cooper: Sie wurde in die „Rock And Roll Hall Of Fame“ aufgenommen und setzt ihren legendären Albtraum von 1975 fort.
Es ist heiß in Phoenix, Arizona, 44 Grad. Alice Cooper ist das gewöhnt, der 63-Jährige lebt schon lange dort. Aber dieses Jahr habe es zu lange nicht geregnet, erklärt er, und das wirkt sich ungünstig auf die Vegetation aus. Unwillkürlich muss man an die berühmte Szene aus „Wayne’s World“ denken, in der er seinen beiden Verehrern einen ellenlangen Vortrag über die Entstehung Milwaukees hält. Kurz bevor man „Does this guy know how to party or what?“ fragen will, hält Alice Cooper inne und schließt das Thema ab: „Aber wir sind ja professionell hier, wir erledigen auch bei Hitze unseren Job.“
Gearbeitet hat der Mann immer viel – und sein Privatleben dabei stets strikt vom Geschäft getrennt. Vincent Damon Furnier, der Typ, der Alice Cooper darstellt, ist seit 35 Jahren verheiratet und hat drei Kinder, glaubt an Gott und spielt leidenschaftlich Golf. Der Begriff „Schock-Rock“ wurde für seine Bühnengestalt erfunden. Bei den Shows wird geköpft und aufgeschlitzt, dazu singt er Hits wie „School’s Out“ und „Poison“. Es gibt nicht viel, womit Alice Cooper einen noch überraschen könnte. Dass er jetzt – 36 Jahre nach „Welcome To My Nightmare“ – mit einer Fortsetzung des Albums ankommt, ist allerdings doch erstaunlich.
Warum „Welcome 2 My Nigthmare“?
Ich wollte wieder mit Bob Ezrin arbeiten, der ja auch „School’s Out“ und „Billion Dollar Babies“ und all unsere großen Alben produziert hat, auch das erste „Nightmare“. Die Idee war: Lassen wir Alice noch einen Albtraum erleben! Albträume kann man schließlich mit fünf genauso haben wie mit 55. Es hat Spaß gemacht, sich zu überlegen, was Alice heute erschrecken würde. Technologie bestimmt. Disco und HipHop auch, deshalb gibt es den Song „Disco Bloodbath Boogie Fever“.
Der Humor von Alice Cooper wird ja oft übersehen. Stört Sie das?
Es ist schade, denn ich versuche immer, Späße einzubauen. Selbst wenn Alice der Kopf abgehackt wird, ist das lustig, weil es so übertrieben ist. Eine Sekunde ist man vielleicht schockiert, aber dann muss man lachen. Man muss den Horror entweder mit Romantik oder mit Comedy konterkarieren – mit etwas Gegensätzlichem. Wenn ich auf der Bühne „Only Women Bleed“ singe, tanze ich zärtlich Walzer mit einer hübschen Frau, und dann kommt „Cold Ethyl“, und ich zerlege sie in Stücke.
Wie wichtig ist Bob Ezrin für Sie?
Er ist unser George Martin. Der hat die sehr guten Songs der Beatles genommen und sie in Meisterwerke verwandelt. Bob Ezrin kommt aus der Klassik, er kennt Chopin und Beethoven, und mit all seinem Wissen hat er aus dem Alice-Cooper-Detroit-Rock’n’Roll etwas Neues gemacht. Mein Song ist der Ton, er töpfert daraus etwas Besonderes.
Als Sie das erste „Nightmare“-Album aufnahmen, waren Sie Alkoholiker, jetzt sind Sie seit 30 Jahren trocken. Wie verändert das die Arbeit?
Ich habe auch als Alkoholiker immer sehr gut funktioniert. Ich konnte 15 Stunden im Studio schuften. Ich hatte einen Glimmer, bin aber nie umgefallen oder so. Ich war auch nicht aggressiv oder so ein grüblerischer Säufer wie Jim Morrison. Die meisten werden ja streitlustig oder faul, aber ich nie. Ich merke allerdings, dass mein Gehirn ohne Whisky-Cola viel schneller arbeitet.
Bei „What Baby Wants“ singt Ke$ha mit. Wieso ausgerechnet sie?
Sie ist ja auch ein Freak. Sie wäre am liebsten ein weiblicher Robert Plant, sie wird bestimmt nicht ewig HipHop machen. Aber hier passt sie genau deshalb so gut. Was wäre denn für Alice ein absoluter Albtraum? Eine HipHop-Diva! Und Ke$ha sind die ekligsten Zeilen für den Song eingefallen, die ist wirklich krass.
Müssen Sie manchmal lachen, wenn Sie Songs wie „I’ll Bite Your Face Off“ schreiben?
Natürlich. Jeder Song hat seine eigene Persönlichkeit, und „Bite Your Face Off“ erinnert mich an die Rolling Stones 1964 – die waren damals unsere großen Vorbilder. Warum also nicht so eine Hommage? Wir haben uns diesmal erlaubt, alles Mögliche auszuprobieren.
In diesem Jahr wurden Sie in die „Rock And Roll Hall Of Fame“ aufgenommen. Bedeutet Ihnen das viel?
Für mich ist das wie ein Schulabschluss. Nach 30 Jahren bekommt man endlich sein Diplom! Den Beweis, dass man es geschafft hat. Denn die Jury besteht ja aus unseren Lehrern – aus denen, die wir immer bewundert haben: Leute von den Beatles, den Stones, den Yardbirds, den Who. Natürlich ist es eine Ehre, wenn die finden, dass man es wert ist. Obwohl ich nicht finde, dass ich es verdient habe, neben all diesen Leuten zu stehen.
Aber hat Bob Dylan nicht schon 1978 gesagt, dass Sie als Songschreiber unterschätzt werden?
Das wäre für mich genug gewesen, da brauche ich keine „Hall Of Fame“ mehr. So ein Satz von Bob Dylan reicht mir als Bestätigung für den Rest des Lebens. Dass der überhaupt weiß, wer Alice Cooper ist! Dass er unsere Musik hört! Für mich ist es das schönste Kompliment, denn bei all dem Spaß an der Theatralik sind es doch die Songs, die zählen.
Aber Sie sehen sich auch als Schauspieler?
Sicher. Ich könnte kein Rocksänger mehr sein, ohne Alice Cooper zu sein. Diesen Bösewicht zu spielen macht zu viel Spaß. Die Gestalt hat ja überhaupt nichts mit mir zu tun. Was Jim Morrison und Jimi Hendrix und viele andere umgebracht hat, war, dass sie versuchten, ständig die Person zu sein, die sie auf der Bühne waren. Alice greift nie auf die reale Welt über. Er wäre dort im Gefängnis, im Irrenhaus oder gleich im Grab. Ich lasse ihn auf der Bühne, und so bleibe ich gesund.