Der Glamour der Desillusion
Draußen bläst eine steife Brise über die Alster, drinnen, in der ersten Etage des Hamburger Literaturhauses, halten Steve Mackey und Jarvis Cocker, die höflichen Briten von Pulp, entspannt Hof: charmant und geduldig, selbstironisch und sybiüinisch – und ohne sich zum Narren zu machen. Was bei so manch närrischer Frage der Presse nicht einfach ist. Brit-Pop? „Das war wie eine Party. Du mußt wissen, wann du gehst: Sonst landest du neben breitgetretenen Zigarettenkippen und leeren Flaschen.“ Lieblingsverein? „Ich fijrchte Sheffield Wednesday. Aber nur, weil sie Blau tragen.“ Und Groupies en masse? „Eine nette Idee. Aber es kann keine Realität sein. Wäre auch ungesund – mental und vermutlich auch physisch.“
Zwischendurch wurde dann sogar Substantielleres verhandelt. Die naheliegende Frage etwa, wie eine Band weitermachen kann und soll, die nach langen Jahren am Rande der Wahrnehmung mit „Different Class“ und „Common People“ ziemlich plötzlich zum Allgemeingut mit Sprachrohrfunktion wurde. Die, so Cocker, „nicht länger Beobachter“ war, sondern „selbst involviert in diesem Spiel“. Vor allem, nachdem der Pulp-Chef im Folge seiner Attacke gegen Michael Jackson sispublic oddity unter Rechtfertigungsdruck über den Boulevard geschleift wurde. Apropos: Any tegrets? „Hinterher bist Du fast gezwungen, es durchdachter erscheinen zu lassen. Dabeiwar es eine spontane Reaktion, die ich zwei Tage später vielleicht nicht gezeigt hätte. Es hatte unangenehme Folgen für mein Privadeben. Aber die Resonanz des Publikums hat mir gezeigt, daß ich richtig lag. Ich hätte trotzdem gewünscht, daß nicht ausgerechnet ich es tun mußte.“
Kontrollierte Offensive heißt jedenfalls das Motto des neue Pulp-Albums „This b Hardcore“. Cocker und Mackey hören zwar britischen Drum’n Baß und French-House, und bauten den Titelsong erstmals um ein (Peter Thomas-) Sample herum. Doch die Lächerlichkeit einer Reinkarnation etwa als Techno-Act ist ihnen bewußt. Cocker hantiert mit dem Bild vom alten Freund, den man nach Jahren mal wiedertreffe. „Du willst zwar die Person wiedererkennen, aber ein bißchen Fortschritt sollte auch sichtbar sein. Sonst wird es deprimierend.“ Verwirrung stifteten Pulp gewiß mit ihrer Single „Help The Aged“, die Anzügliches mit dem Unvermeidlichen sprich: Vergänglichen („Funny how it all falls away“) verbindet Die gleichnamige Wohltätigkeits-Organisation bekam für die Verwendung des Titel einen Obolus vom Verkaufserlös. Was Pulp eher verschmerzen konnten als den Eindruck, sie würden „nach zwei Jahren Pause ausgerechnet mit einer Charity-Single zurückkommen“, sagt Steve Mackey. „Es sah fast aus wie Phil Collins, der sein Herz für Obdachlose entdeckt.“ Inspiriert wurde der Song nicht nur von Cockers „Angst vor dem Älterwerden“, auch von einem Video, in dem Robert Plant eins der gängigen Models zu Füßen liegt. Cocker: „Er sah aus wie einer dieser schmutzigen alten Männer, die sich im Park einen runterholen wollen. Im Popgeschäft gibt es viele Möglichkeiten, seine Würde zu verlieren, gerade wenn man älter wird.“
Ein Home-Video mit Sexspielen, das Cocker „unglücklicherweise“ in die Finger bekam, stand Pate für den Titelsong. Nun ist die Erkenntnis, daß der Sex im „Peep“-Zeitalter kaum derselbe sein kann, nicht gerade bahnbrechend. Doch es geht um Desillusionierung als heilsamen Prozeß und den Trost, der daraus erwachsen kann. Wie spätestens in dem Schlußsong „The Day After The Revolution“ mit seiner „sehr beruhigenden“ Endlosschleife, so Cocker, die durchaus als Einschlafhilfe funktioniert: „Hauptsache, die Leute schlafen vorher nicht ein. Aber da war vieles nicht gerade angenehm. Der Song sagt: Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit, das zu akzeptieren. Denn die Vergangenheit kannst du nicht ändern. Aber du kannst sie davon abhalten, den Rest deines Leben zu ruinieren.“
Desillusionierung schließt natürlich auch die Politik ein. Vereinnahmungsversuchen der neuen Regierung in der Downing Street, die ihn vor der Wahl als „Rock The Vote“-Aushängeschild ködern wollte, hat sich Cocker konsequent, doch schweren Herzens widersetzt. Schließlich hatte er selbst immer Labour gewählt Mackey findet es nach dem Sozialkahlschlag von „Modernisierer“ Tony Blair „fast schlechter“ als unter Thatcher: Bei der sei wenigstens von vor Anfang an klar gewesen, daß „man verarscht wird“.
Letzte Meldung: Der einstige Filmstudent Jarvis Cocker wird eine Dokumentar-Serie fürs britische TV drehen. Thema: Künstler als Außenseiter.