Der Gentleman bittet zur Kasse
Mit exorbitanten Dope-Deals machte Howard Marks nicht nur ein Vermögen, sondern setzte sich gleich auch noch ein literarisches Denkmal: "Mr. Nice" ist die Legende vom heiligen Schmuggler
Durch Zutall hatte ich von seiner Geschichte gehört, auf einer ja, so was gibt es – „Kiffermesse“ in Castrop-Rauxel, anno 1997. Howard Marks war dort in aller Munde, jeder schwärmte vom großen Szene-Guru. Mir sagte der Name rein gar nichts. Bis mir auf besagter Messe die Zeitschrift „Grow“ mit einem Vorabdruck seines Buches „Mr. Nice“ in die Hände fiel. Eine bizarre Geschichte von einem Burschen, der in den 70er und 80er Jahren Dope um den Globus befördert hatte, weltweit und tonnenweise, so wie andere Leute Zement oder Schweinehälften, nur eben nicht ganz legal. Bei den weltweiten Operationen war „Mr. Nice“ sein bevorzugter Tarnname. (Er hatte noch ein paar Dutzend mehr auf Lager.)
Unter diesem Titel hatte Marks sein abenteuerliches Leben auch zu Papier gebracht, und das mit durchschlagendem Erfolg: Die unorthodoxe Autobiografie stand monatelang in der Top 10 der britischen Bestsellerliste. Marks erzählte, wie er als unbedarfter Student zufällig ins Big Business geraten war- und dann auf groteske Weise mit der IRA, dem britischen Geheimdienst MI6, später mit der guten alten Mafia, der CIA und selbst mit ostasiatischen Triaden haarsträubende Deals abwickelte. Die ganze Geschichte war rasant geschrieben, witzig, spannend und obendrein auch noch informativ. Informativ vor allem deshalb, weil undurchsichtig erscheinende globale Zusammenhänge durch seine Schilderungen plötzlich erhellt wurden. Fast schon ein Stück Zeitgeschichte – heißer Stoff für jeden, der sich fragte, was eigentlich hinter den Kulissen der Weltgeschichte abgeht. Ich war jedenfalls von den Socken aber ich war zu spät: Die deutschen Buchrechte waren weg.
Trotzdem wollte ich irgendwas über diesen Kerl machen. Vielleicht einen Film? Ich rief ihn an, auf Mallorca. Sonore Stimme und nett, so was von nett, unglaublich. Wir trafen uns in Oxford. Er hatte abends eine Lesung in der Universität. Ein Heimspiel. Ich sah seine „Show“ vor mindestens 1500 durchgeknallten Fans, keiner älter als 25. Er schleppte mich danach in einen Club, wo alle Lautstärkerekorde gebrochen wurden. Anderntags war ich fix und fertig – und Howard putzmunter. Wir besprachen den Film in zwei Minuten. Alles kein Problem. „Mach, wie du es für richtig halst. Ich vertraue dir.“ Also machte ich.
Schon ein paar Tage später traf ich ihn in Wien wieder. Dort stellte er sein Buch in einem riesigen Headshop einer staunenden Menge vor. Seine Jünger steckten ihm die Pfeifen reihenweise in den Mund. Howard zog sich rein, was kam. Wir sollten danach eine geheime Cannabis-Plantage besuchen. Machten wir. Ich mit der Kamera, Howard mit dem Joint. Viele Meter unter dem Erdboden von Wien befand sich ein Keller, in dem ebenso gut das „Schweigen der Lämmer“ hätte gedreht werden können. Im Sucher sah ich, dass „Mr. Nice“ inzwischen nicht mehr ganz taufrisch war. Dicke Schweißperlen auf der Stirn, das Gesicht weiß wie mit Persil gewaschen. Er sagte, dass es ihm nicht gut ginge: „I got a bong.“
Die stolzen Plantagenfreaks gerieten in Panik. Im Vorraum stand ein vergammeltes Sofa. Howard legte sich drauf, und die Freaks machten sich aus dem Staub. Da saß ich also mit dem ehedem größten Dopedealer der Welt. Ich hatte keinerlei Ahnung, was ein „Bong“ ist. Auf alle Fälle hatte er einen. Skurrile Situation. Oder besser gesagt, durchaus prekär, auch für mich. Kratzt der jetzt ab? Was soll ich bloß sagen, wenn die Polizei kommt? Was ist glaubhaft, was nicht?
Ich dachte mir, ich trage ihn hoch. Allzu schwer schien er nicht zu sein, müsste irgendwie gehen. Da er wie ein Bär schnarchte, wartete ich erst mal ab. Nach einer Stunde entschied ich mich dann endgültig, ihn zu schnappen und nach oben zu schleppen. Kaum packte ich ihn, schlug er die Augen auf: „Hi Frank! Oh, I got a bong for the first time. Sorry.“ Wie bitte? Und was zum Teufel ist ein Bong? Mittlerweile wieder auf den Beinen, sagte er: „Oh, du weißt nicht, was ein Bong ist! Das ist eine Art Kreislaufkollaps nach zu viel Gras- und Haschischrauchen.“
Langwellig wird es mit dem Mann jedenfalls nicht. Denn das waren nur zwei Beispiele aus einer endlosen Kette von Anekdoten, die ich mit ihm erlebt habe. Erzähle ich jemandem, dass ich mittlerweile die Bücher des ehemals größten Dopedealers verlege, dann glaubt mir kein Schwein, dass ich nicht kiffe – zumal ich rein optisch ja halbwegs ins Klischee passe. Howard indes wusste sofort, dass ich nicht kiffe, sondern vergleichsweise straight bin. Er hat mich nie gefragt, warum ich nicht kiffe – oder gar, ob ich es nicht mal versuchen wolle. Er sucht nicht nach seinesgleichen.
Seine Art zu leben, sehr schnell zu leben, ist bewusst gewählt, mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Er war zwölf Jahre seines Lebens im Knast. Er will nichts mehr auslassen. Er pumpt sich die Lungen voll, bis nichts mehr geht, und er lässt keinen Tropfen Alkohol stehen. Was drin ist, ist drin. Die verschärfte Form von Hedonismus. Das Ganze ist exzessiv und durchaus auch ein wenig infantil. Er weiß das.
Dies alles spielt vor einem ausgesprochen soliden Bildungshintergrund. Marks hat (in Oxford) Physik und Philosophie studiert. Er ist hochgradig intelligent und verlässt sich, speziell im Umgang mit anderen Menschen, vollkommen auf seinen Instinkt. Er checkt nicht ab, er holt keine Erkundigungen ein, man könnte sagen, ergeht arglos mit Menschen um. Kaum zu glauben, dass er zu seiner Dealerzeit nie nachgeprüft hat, mit wem er es zu tun hatte. „Ich habe einfach keine Geschäfte mit Leuten gemacht, die ich nicht mochte“, sagt er dazu. Vertan habe er sich nicht. Nur einmal, aber das war nicht so dramatisch. Und genau so macht er es noch heute.
Marks ist Marks und sonst nichts. Mit Schubladen geht da gar nichts. Ein alter Hippie? Ja, bis zu einem bestimmten Punkt vielleicht. Ein Rock’n’Roller, ein Punk? Auch das, aber auch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ein Gangster? Je nach dem, wie man ihn definiert. Die gesellschaftlich sanktionierte Definition mag dann zutreffen, wenn sie mit beinhaltet, dass sich dieser Mann von nichts und niemandem etwas vorschreiben lässt. Schon gar nicht das, was für ihn gut oder schlecht sein soll. Ein Einzelgänger? Ja, absolut. Er ist radikal individualistisch, keine Frage, aber er ist nicht skrupellos.
Das unterscheidet ihn wiederum von gefährlichen Egomanen. Er hat nie Gewalt angewendet. Man kann, ja man darf Howard Marks nicht mit tatsächlich skrupellosen Drogenbaronen wie Pablo Escobar in einen Topf rühren. Dazwischen liegen wahrlich Welten. Es gehört aber seltsamerweise zum Standardrepertoire aller gutbürgerlich-medialer Berichterstattung, ihn genau in diese Ecke zu stellen. Er empört sich nicht darüber, sondern lacht sich kaputt. Auch ein typischer Wesenszug von ihm: Im Zweifelsfalle lacht er – und obwohl er sich ausdrücklich als walisischen Nationalisten tituliert, so hat er doch britischen Humor vom Feinsten. Er könnte durchaus auch als Comedian unterwegs sein.
Er stellt sich selbst zur Schau und hat diesbezüglich ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein entwickelt. Er ist dabei nicht messianisch unterwegs, er will niemanden zu irgendwas bekehren. Höchstens dazu, sich nicht vor den Karren von anderen spannen zu lassen, sich selbst ein Urteil zu bilden, sich nicht irgendjemandem oder irgendwas anzuschließen, nur um irgendwo dabei zu sein. Weil das authentisch ist, liegen ihm die Fans zu Füßen.
Zuletzt etwa bei der Lesereise durch Deutschland, wo er in Köln, Leipzig, Heidelbergund Stuttgart gefeiert wurde. Wieder vor einem überwiegend sehr jungen Publikum. Da präsentiert er dann eine echte Multi-Media-Show und erzählt Geschichten aus seinem neuen Buch „Seiior Nice“. Natürlich sind die „alten“ Themen drin, aber auf seinen ausgiebigen Reisen, speziell nach Südamerika, mutierte Marks zum peniblen Historiker, der die Spur des walisischen Top-Piraten Henry Morgan hartnäckig verfolgte.
Als er im April nach Deutschland kam, quartierten wir ihn für die Premierenshow in Köln auf dem Petersberg bei Bonn ein, im ehemaligen Gästehaus der Bundesregierung. Wir fuhren hin und wandelten durch die Lobby. Auf dem Weg zum Restaurant nahm er mich zur Seite und sagte: „Du weißt, ich liebe Luxus, aber das ist eins der fünf besten Hotels, in denen ich jemals war. Das war doch wirklich nicht nötig.“
Ich wusste, dass er das sagen würde, und erwiderte: „Ich dachte mir, dass du das sagen wirst – und genau deshalb haben wir es gemacht.“ Er stutzte eine Sekunde, weil er nicht sicher war, ob er mich wirklich richtig verstanden hatte. Doch dann sagte er breit grinsend: „Dann ist ja okay.“
Bei den deutschen Buchrechten von „Mr. Nice“ kam Frank Steffan noch zu spät. Inzwischen sind in seiner „Edition Steffan“ aber diverse Marks-Memorabilia erschienen, so die beiden DVDs „Howard Marias -Der Film“, „Dope Stories -Lire in Cologne“, das Buch „Dope Stories“ sowie, unlängst, „Senor Nice“. Mehr Infos unter: www.edition-steffan.de