Der geglückte Tag
In dem Kurzfilm „"Drei amerikanische LPs" von 1969 denken Peter Handke und Wim Wenders über Musik von Van Morrison, Harvey Mandel und Creedence Clearwater Revival nach
Dieser Film, der vielleicht 15 Minuten dauert, ist heute kaum zu sehen und zu bekommen. Um es wie Wim Wenders zu sagen: Der Maik Brüggemeyer und ich, wir bekamen ihn für die Arbeit an dieser Beilage nicht auf Video oder DVD. Das ist aber nicht so schlimm, weil: In „Drei amerikanische LPs“ geht es um die Macht der Erinnerung und der Rockmusik, um das Verschwinden der Landschaft in der Stadt und die Freiheit der Straße. Und so will ich mich darum bemühen, den kleinen Film zu memorieren, der so viel Eindruck auf mich gemacht hatte, als ich ihn als Junge sah. Man sieht eine kleine Wohnung, unaufgeräumt, und dort liegen die drei amerikanischen LPs: „Astral Weeks“ von Van Morrison, „Cristo Redentor“ von Harvey Mandel und „Green River“ von Creedence Clearwater Revival. Morrison ist bekanntlich Ire, doch seine zweite Solo-LP nahm er in den USA auf. Stimmt also. Die Kamera zeigt nun den Balkon der Wohnung, auf dem wohl Peter Handke steht und raucht, es öffnet sich das Panorama einer sogenannten Neubausiedlung – acht-, neungeschossige Hochhäuser, wie sie Ende der 60er Jahre gebaut wurden. Während Van Morrison singt, sieht man nun Wenders und Handke unten – sehr klein – auf ein Auto zugehen. Mittlerweile hat Wenders wohl das mit den drei Platten erklärt.
Im Auto dann erzählt Handke mit einer Stimme, die ebenso schleppend und schläfrig klingt wie die von Wenders (bloß mit kärntnerischem Zungenschlag), dass er einmal in Memphis, Tennessee, war (vermutlich mit der fidelen Reisegesellschaft der Gruppe 47) und dass dort die Bürgersteige ganz hoch seien, sodass die Kinder hinaufspringen müssen. Nun orgelt Harvey Mandel, später Musiker bei Canned Heat, der auf „Cristo Redentor“ Blues-Rock und Psychedelik verbindet. Man sieht die deutsche Landschaft, und die beiden Reisenden denken an Amerika. Dann erklingt „Green River“ von John Fogerty, das Auto fährt auf den Hof eines verlassenen Autokinos, man sieht die Säulen mit den Lautsprecheranlagen, die große Projektionsfläche. Und sonst nichts. Während Handke und Wenders wieder in die Stadt fahren – man sieht jetzt Baustellen, Kräne, Gruben, Eisenträger -, erzählt Wenders, Creedence Clearwater „spielen wie ein Mann“, ihre Musik sei „wie eine Tafel Schokolade“. Dann endet der Film. In meiner Erinnerung. Damals sprach niemand so über Rockmusik. Als ich den Film sah, sprach auch niemand so über Rockmusik. Und heute spricht noch immer niemand so über Rockmusik. Schon die Langsamkeit hat etwas Provozierendes, zugleich etwas ungemein Behütendes. Wenders sprach viel später davon, dass er einer der „angstfreiesten Menschen überhaupt“ sei. Nun gibt es zwar keine Steigerung der Angstfreiheit, aber die Behauptung ist auch so triumphal genug. Und auch Handke war ja niemals ein Angsthase, hatte schon die „Publikumsbeschimpfunq“ geschrieben und sich mit Langweilern wie Walter Jens angelegt. In dem Dokumentarfilm „Von einem, der auszog“ über die frühen Filme von Wenders äußert sich Handke zur Freundschaft mit dem Filmemacher, und offenbar handelt es sich um eine ideale Verbindung. Sie hatten sich Mitte der Sechziger kennengelernt und bald wieder getroffen, und Handke sprach gern mit dem Studenten, der sich dann an der Münchner Filmhochschule einschrieb. Wobei es weniger ums Sprechen als vielmehr ums Schweigen geht: Der Wim sei möglicherweise noch schweigsamer als er selbst, glaubt Handke, und oft reden sie kaum miteinander, wenn sie beisammen sind. Das erinnert an Cary Grant und Howard Hughes: Der eine war der größte Frauenschwarm (der mit Randolph Scott ein Haus bewohnte), der andere der größte Schürzenjäger von Hollwood. Die beiden Männer saßen stundenlang nebeneinander im Garten und lasen Zeitung. Wenders verfilmte später die „Angst des Tormanns“; Handke schrieb das Drehbuch für „Falsche Bewegung“. Und die feierliche Sprache hörten wir im „Himmel über Berlin“ wieder.