Der Garbage-Mann über seine Rolle als Erfolgs-Produzent und die Arbeit mit der Emocore-Band AFI
Sechs, sieben Jahre ist es jetzt schon her, dass Butch Vig ein ganzes Album lang auf dem Produzentensessel Platz genommen hat. Die langen und viel Kraft kostenden Zirkel aus Aufnahmen und Tournee haben Garbage schon mit dem ersten Album zur Vollbeschäftigung werden lassen, und entsprechend war an Fremdproduktionen gar nicht zu denken. Wenn Vig sich nun für das erste Major-Album der eigenwilligen Emo-Core-Revoluzzer AFI wieder an die Regler mieten lässt, dann muss man zumindest hinhören. Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, dann ist mit „Sing The Sorrow“ ein Album unterwegs, das in Zukunft nicht weit hinter „Nevermind“ und „Siamese Dream“ in der Liste Vigscher Großtaten erscheinen wird – eine Behauptung, deren Richtigkeit sich selbstredend erst noch wird erweisen müssen.
Butch Vig jedenfalls hat schon wieder andere Dinge im Sinn. Zum Zeitpunkt des Gesprächs sitzt der Trommler und Produzent daheim in Madison, Wisconsin und hofft auf besseres Wetter. Heute morgen sollte es eigentlich in Richtung New York gehen, wo Garbage in ein paar Tagen bei dem Benefiz-Happening „Music Cares“ eine garbagized Version von „Pride (In The Name Of Love)“ zum Besten geben sollen – in diesem Jahr sind U2-Songs das Motto des Events, und Bono selbst durfte die teilnehmenden Künstler auswählen.
Bei unserem letzten Gespräch hast du wegen der vielen Arbeit mit Garbage Fremdproduktionen bestenfalls wieder in vier, fünf Jahren für möglich gehalten. Woher der Sinneswandel?
Ich habe vor ein paar Jahren mal einen Song von The Offspring produziert, der im Original von AFI stammt. Die Band mochte meine Version ihres Liedes und schickte mir ein paar Demos mit der Anfrage, ob ich mit ihnen arbeiten wolle. Ich habe dann das gemacht, was ich immer mache, wenn ich an einer Band interessiert bin: Ich habe sie mir live angesehen.
Ist das tatsächlich immer noch entscheidend?
Für mich jedenfalls. Ich muss hören, ob man mit den Instrumentalisten im Studio arbeiten könnte und muss verstehen, was die Band eigentlich für eine Identität hat. AFI haben mich schlicht umgeblasen! Eine solche Energie zwischen Publikum und Band habe ich seit Nirvana nicht mehr gespürt. Das war wie Massenhysterie; die Leute kommen von ewig weit her, und bevor das Konzert anfängt, singen sie die AFI-Songs Wort für Wort, wie so eine Art gemeinsames Glaubensbekenntnis. Ein unfassbares Szenario. Da hatte ich mich entschieden.
Im Allgemeinen ruft man dich ja dann, wenn eine Indie-Band ihr erstes Major-Album macht und sozusagen für den breiten Geschmack hergerichtet werden soll. Ist das eine Rolle, die dir gefällt?
Also, sagen wir mal so: Ich kann die Hardcore-Fans, die ihre Band gern für immer geheim halten wollen, gut verstehen. Mir geht es manchmal nicht anders. Aber ich kann eben auch die andere Seite nachvollziehen. Als Künstler willst du wachsen und hast keine Lust, immer dasselbe zu machen. Du willst deine Chancen wahrnehmen und sehen, wie weit du es mit deiner Musik bringen kannst. Ich glaube, eigentlich hat jeder Musiker den Ansporn, seine Songs einem größtmöglichen Publikum zu erschließen.
Ein Spagat, der vielen nicht gelingt.
Auch deshalb kommen Bands wie AFI zu mir: Ich bin selbst Musiker, ich habe Hunderte von No-Name-Punk-Bands produziert und bin also wohl nicht verdächtig, bloß ein Handlanger unangenehmer A&R-Manager zu sein. Ich kann helfen zu verstehen, wie Major Labels ticken und wie man mit ihnen fertig werden kann, ohne die eigene Vergangenheit und Integrität aus Spiel zu setzen und aus den Augen zu verlieren, weshalb man eigentlich Musik macht.
Nun klingen AFI ja auch nicht so, als würden sie demnächst die Billboard-Charts anführen.
Wir haben uns mit diesem Album ganz schön weit raus gewagt und vieles stehen lassen, was man als Produzent eigentlich hätte kürzen müssen. Aber auch das muss man als Produzent lernen: Bei allem Willen zur Effizienz und musikalischen Klarheit ist es notwendig zu verstehen, was eine Band in ihrem Kern ausmacht, und entsprechende, vielleicht scheinbar zu selbstverliebte Parts nicht nur beizubehalten, sondern übergroß werden zu lassen und zum Bestandteil der Musik zu machen. Sonst produzierst du an der Band vorbei. Aber das wäre mit AFI nicht gegangen: Die haben einen guten bullshit detector.