Der frühe Vogel
Jason Molina, Songwriter und Chef von Magnolia Electric Co., hat seine besten Einfälle, wenn andere noch schlafen.
Wenn andere selbsternannte Rockstars für gewöhnlich ins Bett gehen, steht Jason Molina schon wieder auf— um vier Uhr früh! Nein, jetzt kommt keine der Geschichten vom geschundenen Fabrikarbeiter, der neben seinem dayjnh noch wunderbare Musik macht. Der Vordenker von Magnolia Electric Co., der bereits zuvor mit Songs: Ohia seine songschreiberische Ausnahmeposition unter Beweis stellte, hat das Morgengrauen als inspirierende Konstante für sich entdeckt: „Egal, wo du bist, in einer Großstadt, auf dem flachen Land, in den Bergen oder am Meer, egal, welche Jahreszeit gerade ist — die frühen Morgenstunden vermitteln dir jederzeit und an jedem Ort haargenau das gleiche Gefühl. Mir hilft das ungemein, mich auf mein Songwriting zu konzentrieren.“
Das Leben auf Tour ist dabei natürlich in gewisser Weise kontraproduktiv, trotzdem steht nicht zu befürchten, daß der Amerikaner in Zukunft auf seine ausgiebigen Gastspielreisen verzichten wird. „Wenn wir in eine kleine Stadt kommen, in der wir noch nie gespielt haben, und dort plötzlich 500 Menschen sind, die uns hören wollen, wird mir immer wieder bewußt, daß es nicht reicht, uns irgendwo im Studio einzuschließen und zu sagen: .Danke, daß ihr unsere Alben kauft.“‚ Was nun nicht heißt, daß er es seinem Publikum leicht macht. Obwohl er dieses Jahr mit dem feinen “ What Comes After The Blues“ und nur wenige Monate zuvor mit dem grandiosen, äußerst treffend betitelten Livealbum „Trials & Errors“ bereits zwei Platten veröffentlicht hat, setzt er seinen Zuhörern live am liebsten brandneue Songs vor. Auch deshalb, weil seine Mitstreiter weit übers Land verstreut leben und die gemeinsamen Tourneen die ideale Möglichkeit bieten, neue Stücke zu erarbeiten. „Mein Interesse besteht immer darin, auf die nächste Platte, auf den nächsten guten Song hinzuarbeiten“, erklärt Molina das knapp, in seiner gelassenen, betont unaufgeregten Art. „Letztlich geht es um die Frage: Kommen die Leute wegen der Show oder wegen der Musik? Bei uns ist es eindeutig Letzteres, deshalb ist es überhaupt kein Problem, Stücke zu spielen, die niemand kennt.“
Die Songs, die er im Juni erstmals auf hiesigen Bühnen vorstellte, lassen vermuten, daß auf dem nächsten Album die countryesken Elemente von „What Comes After The Blues“ gegen einen Schuß Psychedelik ausgetauscht werden dürften — und die Abkehr vom verschrobenen Heimwerker-Indierock zum bisweilen hymnischen elektrischen Gitarren-Rock Neil Youngscher Prägung abgeschlossen werden könnte. Dabei ist das Gefühl stets wichtiger als Inhalt oder Form der Songs.
Der Fülle der eigenen Songs zum Trotz hat Molina auch eine Schwäche für Coverversionen. Am liebsten spielt er todtraurige Outsider-Balladen nach, die von ähnlich schweren Schicksalen erzählen wie viele seiner eigenen Songs. So entließ er unlängst beim mitreißenden Auftritt in Köln das Publikum nach dem 14minütigen Rockorkan „Texas 71“ nicht in die laue Sommernacht, sondern beendete sein Set mit Warren Zevons „Carmelita“, der Geschichte einer gescheiterten Existenz „all strung out on heroin on the outskirts of town“. Das muß Frühaufsteher-Humor sein.