Der Folksänger

Seine Musikleidenschaft wurde entfacht, als er im Radio zum ersten Mal den Song „Gee“ der Doo-Wop-Gruppe The Crows aus Harlem hörte. Doo Wop war die Musik der afroamerikanischen Jugend, die Gesangsgruppen in den Straßen New Yorks seit den Vierzigern vortrugen. Also versuchte Simon sich mit seinem Schulfreund Art Garfunkel als Doo Wop-Duo, was für zwei jüdische Jungen aus Queens aber nicht wirklich eine Karriereoption war. Die Everly Brothers konnten da schon eher als Vorbild dienen. Und Simons unterkomplexe Kopie ihrer Hitformel, „Hey Schoolgirl“, wurde für das Duo, das sich damals noch Tom & Jerry nannte, ein kleiner Hit. Aber alle weiteren Versuche scheiterten. Auch der Job als professioneller Songwriter, der unter den Pseudonymen Jerry Landis, Paul Kane oder True Taylor Novelty Songs schrieb, war für Simon nicht der Richtige.

Als er die Lieder des jungen Bob Dylan entdeckte, der in den Folkclubs downtown in Greenwich Village bereits ein Star war, glaubte er, seine Bestimmung gefunden zu haben. In Songs, wie Dylan sie schrieb, fanden Simons Leidenschaften zusammen: die zur Musik und die zur amerikanischen Literatur, die er an der High School lieben gelernt hatte. Vielleicht konnte er auch solche Lieder schreiben. Vielleicht war auch er ein Folksänger.

Die New Yorker Folkszene sah das allerdings anders. Als er dort aufkreuzte und seine ersten Protestsongversuche „He Was My Brother“ und „Sparrow“ und einige Lieder, die er von Joan-Baez-Platten kannte, zum Besten geben, nahm man ihn nicht ernst. Was konnte eine jüdischer Mittelklassejunge aus Queens schon vom harten Leben wissen, von dem all die Folksongs handelten? Er beschloss, es in Europa zu versuchen, schließlich stand in den liner notes zu „The Freewheelin‘ Bob Dylan“, sein Vorbild habe in Folkclubs in London gespielt. Tatsächlich kam Simon dort besser an.  Schon allein, dass er aus den USA kam, machte ihn als Folksänger absolut glaubwürdig. Man liebte seine Lieder, und bei seinem zweiten Aufenthalt in England stellte er einen wenige Tage nach der Ermordung John F. Kennedys im elterlichen Badezimmer begonnen Song fertig, der in New York zum Türöffner werden sollte: „The Sounds Of Silence“.

Tom Wilson, Produzent bei Columbia Records, suchte gerade Material für die Pilgrims, ein Gesangstrio, das die schwarze Version von Peter, Paul & Mary werden sollte, und Simon durfte seine Lieder vorspielen. „The Sounds Of Silence“ machte das Rennen. Wilson bat ihn, ein Demo davon aufzunehmen. Was Simon dann auch gleich tat – mit einem guten Bekannten aus der Folkszene an der Gitarre. Er hieß Jim McGuinn und sollte bald an die Westküste ziehen, sich Roger nennen und mit den Byrds den Folk Rock erfinden. Zudem überzeugte Simon den Produzenten, noch einmal mit seinem alten Freund Artie vorbeikommen zu dürfen, um ihm sein Duo-Arrangement des Songs zu präsentieren. Zu zweit waren sie ziemlich überzeugend und so bekamen Simon & Garfunkel einen Plattenvertrag.

Am Tag vor der letzten Aufnahmesession für ihr Debütalbum spielten sie im Gerde’s Folk City in Greenwich Village, um die Folkszene doch noch auf ihre Seite zu bekommen. Sogar Bob Dylan war da, lachte über ihre wohlgesetzten Harmonien und unterhielt sich absichtlich laut mit dem „New York Times“-Kritiker Robert Shelton. Kein gutes Omen. „Wednesday Morning, 3 AM“ war dann tatsächlich ein Flop – zu ernst und tiefgründig für Popfreunde, zu glatt und gefällig für Folkies.

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