Der Festival-Pionier
Vor 25 Jahren veranstaltete Marek Lieberberg zum ersten Mal Rock am Ring. Er erinnert sich.
Als wir Rock am Ring auf den Weg brachten, hatte es in Deutschland seit mehr als einer Dekade kein wirklich großes Festival mehr gegeben. Veranstaltungen dieser Art wurden von Presse und Politik verteufelt. Sicher, damals gingen auch einige amateurhafte Festival-Versuche schief. Es gab zum Beispiel Ausschreitungen, weil Bands nicht auftraten oder Veranstalter ihre Verpflichtungen nicht einhielten. Doch vieles war schiere Propaganda von behördlicher und kirchlicher Seite. Sie führte dazu, dass man trotz zahlreicher Bemühungen lange Jahre keinen Austragungsort mehr fand.
Rainer Mertel, der erste Geschäftsführer des neuen Nürburgrings, schenkte uns sein Vertrauen. Als Vorbild diente unser zweites British Rock Meeting 1972 in Germersheim, zu dem 100 000 Menschen kamen. Natürlich war damals noch mehr Enthusiasmus als Professionalität im Spiel, aber trotzdem hatten wir aus den chaotischen Verhältnissen von Woodstock und den gravierenden Fehlern von Monterey gelernt: Es ist schön, mit einer Gitarre in den Wald zu ziehen – wenn man alleine ist. Wenn es jedoch um 100 000 Menschen geht, braucht man ein Fundament, eine Struktur. Sonst kann sich die Musik nicht in Freiheit entfalten.
Meine Erinnerung an Rock am Ring 1985: unglaubliche Anspannung. Wir wussten ja nicht, ob uns die Premiere gelingen sollte. Wie würden sich die Publikumsströme bewegen? Würden wir pünktlich anfangen können, den schwierigen Zeitplan einhalten? Bekommen die Ordnungskräfte alles in den Griff? Bei aller Seriosität der Planung wusste ich um Gefahren und Unwägbarkeiten. Ich habe in diesen Tagen nur wenig geschlafen, war ständig an allen neuralgischen Punkten. Als ich dann sah, dass alles wie am Schnürchen klappte, war ich überglücklich.
Ich habe kaum Erinnerungen an einzelne Bands, nur Flashbacks Marius Müller Westernhagen, der in der ihm üblichen Verklemmtheit das Publikum aufrief, es möge doch möglichst viel bumsen. Gianna Nannini, wie sie zaghaft ihre Brüste vor dem Publikum entblößte. Und Bono, wie er waghalsig auf das Zeltdach kletterte. In diesem Moment hielten wir alle den Atem an – ein falscher Schritt hätte fatale Folgen gehabt.
Ich hatte damals die Illusion, dass ein Festival alle Spielarten der Rockmusik miteinander vereinigen müsse. Chris De Burgh, U2, Huey Lewis, Saga, Westernhagen, das war eine eklektische Melange. In den Sechzigern hat man Künstler nicht so sehr in Sparten verpackt, Tourneen waren immer stilistisch vielseitig. Mitte der Neunziger musste ich aber erkennen, dass das Festival eine Reform benötigte.
Die schönste Belohnung meiner Anstrengungen um eine deutsche Festivalkultur ist der stets friedliche Verlauf, dass am Ring in all den Jahren niemand zu Schaden gekommen ist. Vor Jahren ist ein Fan auf dem Weg zum Campingplatz von einem rücksichtslosen Autofahrer überfahren worden und verstorben. Das war traumatisch. Doch auf dem Gelände selbst sind wir von Unglücksfällen verschont geblieben. Ich habe immer gesagt: Die Menschen sind wichtiger als die Musik. Wenn während eines Auftritts Gefahr droht, muss der Stecker gezogen werden!“