Der Fall Furtwängler, Regie: István Szabó
„Taking Sides“ heißt der Film im Original, also eine Seite wählen oder Position beziehen. Wilhelm Furtwängler hat es nicht getan im Dritten Reich. Der umschwärmte, für seine Brillanz gerühmte Dirigent trat unter Hitlers Herrschaft weiterhin auf, im Publikum saßen auch zahlreiche Nazis, denen seine romantischen Interpretationen von Beethoven und Bruckner besonders gefielen. Major Steve Arnold (Harvey Keitel) von der US-Army wird nach Kriegsende aufgetragen, Furtwängler als Nazi-Kollaborateur zu überfuhren. Arnold hat zuvor noch nie etwas von ihm gehört und ist immer wieder erstaunt, jedoch nicht beeindruckt, dass ihn alle vergöttern. Die Musiker seines Orchesters loben wie abgesprochen seine künstlerische Magie und seinen Mut, Hitler den Nazigruß verweigert zu haben; außerdem habe er Juden geholfen. Dem russischen Kolonel Dymshitz (Oleg Tabakov) ist das alles egal – er will Furtwängler „unbedingt“ in Leipzig auftreten lassen und „gegen einen anderen Dirigenten, ein ganzes Orchester eintauschen“. Sogar Arnolds Sekretärin Emmi (Birgit MiVON OLIVER HÜTTMANN Leinwandnichmayr), im KZ inhaftierte Tochter einer der Hitler-Attentäter, sowie der jüdische Emigrant und US-Offizier David (Moritz Bleibtreu), dessen Vater die Nazis ermordeten, verhehlen nicht ihre Sympathie. Arnold lässt Furtwängler (Stellan Skarsgärd) zunächst schmoren und verhört ihn dann so herablassend, spöttisch und bissig, wie er es früher als Versicherungsdetektiv getan hat Er sei nie in der Partei gewesen, wehrt sich der zerquälte Musikus, habe alle offiziellen Posten abgegeben und immer nur am Vorabend wichtiger Nazi-Festakte gespielt Arnold, der ihn impertinent duzt und als „Bandleader“ seiner „Kumpels Adolfjosefund Heinrich“ bezeichnet, hält Furtwänglers stumme Opposition für Opportunismus und die Naivität, Kunst und Politik könne man trennen, für eine feige, eitle Schutzbehauptung. Er drangsaliert Furtwängler mit Bluffs und Schmutz über dessen Vielweiberei und Eifersucht auf den „kleinen Kara“, wie Furtwängler Herbert von Karajan nannte. Furtwängler, das schlechte Gewissen, wurde später endastet. Aber er habe ihn „ins Schwitzen gebracht“, sagt Arnold, der hier für eine selbstgerechte Siegermacht steht, die davor warnt, mit dem geschlagenen Feind zu sympathisieren. Emotional, pointiert und mit intellektuellem Scharfsinn balanciert Szabö zwischen Schuld und Dilemma, Aufklärung und Sühne, ohne eine einfache Moral einzufordern, zu verurteilen oder freizusprechen. Der Zuschauer muss selbst entscheiden. 4,0