Der ewige Nonkonformist
Auf „See My Friends“ spielt Ray Davies mit bekannten Freunden seine Kinks-Klassiker.
Etwas müde, mit verwuscheltem Haar sitzt Ray Davies an einem langen Konferenztisch. Er beantwortet die Fragen in beiläufigem Plauderton, während er mit einem Bleistift auf weißem Papier herumkritzelt. Nach „The Kinks Choral Collection“ legt er mit „See My Friends“ eine weitere Erinnerungsschau vor, an der sich diesmal Prominenz aus 40 Jahren PopGeschichte beteiligt, darunter Bruce Springsteen, Jon Bon Jovi, Billy Corgan, Jackson Browne, Lucinda Williams und Amy Macdonald. Sonst gibt Davies gern den unbeugsamen Grantler.
Sie haben jetzt zwei Platten hintereinander aufgenommen, auf denen sie ihre alten Songs neu interpretieren. Fühlen sich diese Lieder noch frisch an?
Ich denke nicht, dass diese beiden Alben tatsächlich meine Alben sind. Es ist eher eine Art Projekt von Musikern, die meine Songs schätzen. Sie haben diesen Liedern neues Leben eingehaucht. Während der Aufnahmen haben wir eine ganz neue Energie freigesetzt, auch wenn der Kern der Stücke derselbe geblieben ist.
Nach welchen Kriterien haben sie die Musiker ausgewählt?
Es begann in New Orleans. Ein Freund und Nachbar, Alex Chilton, kam zu mir und wir sprachen darüber, einmal einen Song aufzunehmen. Vier Jahre später traf ich ihn bei einem Konzert in London. Später nahmen wir dann einige Stücke auf. Nach Alex‘ Tod entschied ich mich, mit anderen Musikern zusammen zu arbeiten.
Haben die Musiker die Lieder selbst ausgewählt?
Bruce schlug „Better Things“ vor, Metallica „You Really Got Me“. Amy Macdonald wollte gleich vier oder fünf Songs aufnehmen. Ich merkte jedoch schnell, dass ihre Stimme nicht für die Kinks-Originale geeignet war, also habe ich für sie aus „Dead End Street“ kurzerhand ein Swing-Stück gemacht. Im Prinzip war jeder dieser Songs eine neue Herausforderung, weil eben jeder der beteiligten Musiker einen anderen Stil hat.
Fühlen Sie sich geehrt, so viel Anerkennung von berühmten Kollegen zu bekommen?
Natürlich. Am Anfang war ich überrascht, wie unsicher einige der Musiker waren. Sie hatten so viel Respekt mir gegenüber. Das ist ja nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass sie eigene Probleme, ein eigenes Leben und eine eigene erfolgreiche Karriere haben.
Sie haben das Album in Studios auf verschiedenen Kontinenten aufgenommen. Ist es nicht sehr strapaziös, auf diese Weise zu arbeiten?
Es ist irritierend, weil es schwierig ist, dieselben Sounds in verschiedenen Studios zu reproduzieren. Deshalb muss die Vorbereitung gründlicher sein. Die Aufnahmen waren alle schnell gemacht. Nur die Songs zusammen zu bringen, hat ein Jahr lang gedauert. Das Ergebnis ist jedoch sehr bereichernd für mich.
In den Sechzigern haben Sie mit Ihrer Musik den spießigen Mittelstandsbürger in Großbritannien provoziert. Wogegen wenden Sie sich heute?
Ich schreibe kontinuierlich über das, was ich beobachte. Das kann man auf meinen Alben „Working Man’s Café“ und „Other People’s Lives“ sehr gut hören. Was sich heute in England bewahrheitet, sind die falschen Versprechen der 60er-Jahre. Das Land ist politisch und finanziell zu einem kleinen Fisch in einem riesigen Ozean geschrumpft, obwohl es sich selbst noch als großen Fisch sieht. England hat die schlechtesten Politiker und die schlechtesten Medien der Welt. Es gibt einfach zu viel triviale Berichterstattung, um von der Bevölkerung verdaut zu werden.
In einem anderen Interview haben Sie mal gesagt, dass Sie sich nach wie vor als Rebell sehen. Gegen wen oder was rebellieren Sie im Jahr 2010?
Rebell trifft es nicht ganz, ich verstehe mich eher als Nonkonformist. Ich versuche, den einfachen Leuten eine Stimme zu geben, denen sonst kein Gehör geschenkt wird, Außenseiter, die marginalisiert in einer kalten Gesellschaft leben. Solche Verhältnisse regen mich auf, damit beschäftige ich mich.
Ist der Typus des Rebellen in der heutigen Popmusik noch von Bedeutung?
Ich glaube, dass es wichtig ist, eine eigene Meinung zu haben. Jemand wie Damon Albarn füllt mit seiner Musik die Stadien. Das hat für mich nichts mit Rebellion zu tun. Aber es gibt doch viele gute Songwriter, die etwas zu sagen haben und keinen Plattenvertrag bekommen. Die Musikindustrie gibt ihnen nicht die Chance, gehört zu werden. Sie sind die wahren Rebellen.