Der Eskapisten-Krimi

Jeder zweite Deutsche besitzt statistisch gesehen eine Folge der Drei Fragezeichen. Im November erschien die 150. Folge der Hörspielserie. Die drei Sprecher sind Helden einer Generation.

Ein Hörspielsprecher ist immer auf Sendung, sogar am Frühstücksbüfett. Als sich Oliver Rohrbeck im Speisesaal seines Hamburger Hotels ein Stück Butter auf den Teller bugsiert, synchronisiert er die sorgfältige Bewegung mit einem gedehnten „soooo“. Eine Scheibe Käse balanciert der 46-Jährige mit lautmalerischer Waghalsigkeit durch die Luft, als wäre es für den Gouda gerade ähnlich brenzlig wie sonst nur für seine Figur Justus Jonas. Seit 1979 leiht Rohrbeck dem rechthaberischen ersten Detektiv der Drei Fragezeichen seine Stimme. Jens Wawrczeck spricht den zweiten Detektiv Peter Shaw, Andreas Fröhlich ist als Bob Andrews für Recherche und Archiv zuständig. Auch sie sind seit der ersten Folge um den „Super-Papagei“ dabei, der seither in der Zentrale der Detektive auf dem Schrottplatz bei Telefonaten im Hintergrund krächzt.

„Vielleicht gibt es uns noch, weil wir zu Beginn der Serie so unschuldig waren“, sagt Wawrczeck. Er sitzt in einem Café nahe der Außenalster und überlegt, ob man das so stehen lassen kann. Bei den Aufnahmen zur neuen Folge „Skateboardfieber“ am gleichen Tag sollte er so tun, als würde er auf dem Skateboard vor Geheimagenten fliehen. Wawrczeck, 48, hat nie auf einem Skateboard gestanden. Wer die ängstlich-mutige Rolle des Peter Shaw kennt, weiß: Er kann das trotzdem wie kein Zweiter ins Mikrofon spielen.

Mitte November ist die 150. Folge der Hörspielreihe erschienen: „Geisterbucht“ ist mit einer rätselhaften Erbschaft, seiner Spurensuche mit allerlei Fallstricken und der finalen Schatzbergung ein typischer Fall für die drei Detektive. Für Jugendliche ist es ein einigermaßen komplexes wie spannendes Hörspiel – und doch keine ernsthafte Konkurrenz für den erotischen Haudrauf-Grusel, den sie heute in rauschhaften Fantasy-Welten suchen. Die erwachsenen Hörer der Drei Fragezeichen sind mittlerweile ohnehin in der Überzahl. Für diese letzte westdeutsche Jugendgeneration sind die Fälle, die Justus, Peter und Bob im fiktionalen kalifornischen Städtchen Rocky Beach lösten, ähnlich konstitutiv geworden, wie es die Erzählungen von Karl May für ihre Eltern waren. Es ist wohl ein stiller Protest gegen die immer grelleren Fetische der Popkultur, dass diese kaufkräftige Gruppe die Drei Fragezeichen genauso wiederentdeckt hat wie die musikalischen Originale einer prädigitalen Kindheit und so ganz nebenbei das Prinzip der Charts als Jugend-Ranking ad absurdum führt.

Auch Andreas Fröhlich, 46, umkreist den langlebigen Kult um die Serie in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg und grinst bereits wegen der nahenden Pointe: „Unsere Fans, das sind keine Trekkies, keine Hyper-Nerds, kein Mario-Barth-Publikum. Es sind Menschen, die etwas suchen, das sie wieder zurück in die Kindheit führt – eine Zeit, in der sich Erinnerungen und Emotionen extrem manifestieren. Sie haben die Hörspiele zu Entspannungsnummern nach einem rauen Berufstag umgedeutet. Sie sind so über die Jahre zu einem Schlafmittel ohne Nebenwirkungen geworden.“

Mittlerweile hat das Hörspiellabel Europa fast 42 Millionen Tonträger der Serie verkauft. Knapp vor der ausverkauften Release-Party von „Geisterbucht“ in Hamburg hat nun die 100. Folge der Drei Fragezeichen den Gold-Status geknackt. Der Bundesverband Musikindustrie, der Gold verleiht, behilft sich mit der Sonderkategorie „Kids Award“, damit die pummelige Figur des Justus Jonas nicht bis in alle Ewigkeit über Grönemeyer, den Beatles und Lady Gaga thront. Dem Selbstverständnis des Pop würde das wohl nicht gerade guttun. Selbst den strengen Gesetzen des Marktes widersetzt sich die Detektivreihe seit Jahren. Bis vor Kurzem war noch jedes fünfte verkaufte Hörspiel der Drei Fragezeichen auf eine MC aufgespielt. Für 2012 hat Europa die Einstellung der Kassetten-Produktion verkündet, nur für die Detektivreihe macht das Label weiterhin eine Ausnahme.

Ob diese altmodischen Hör- und Sammelgewohnheiten damit zu tun haben, dass auch Heikedine Körting, Produzentin und Mutter der Drei Fragezeichen, die Folgen bis heute auf analoge Bandmaschinen aufnimmt? Jedenfalls haben sich die Drei Fragezeichen in ihren Fällen dem Übernatürlichen mit dem gleichen romantischen Staunen genähert wie dem Zeitgeist: Doping, Computerspiele, Musikpiraterie und sogar die Clubkultur wurden in den Fällen abgehandelt, in der Folge „Im Bann des Voodoo“ traten Fettes Brot als Hip-Hop-Crew in Erscheinung.

Dass Facebook aber in diese überschaubare Raum-Zeit-Blase eben noch nicht eingedrungen ist, macht die Hörspiele für alternde Eskapisten umso reizvoller. „Die Drei Fragezeichen hatten immer die Zeit, um Unwahrheiten zu bekämpfen“, sagt Rohrbeck. An ihm, der schon als Kind für den Chaplin-Film „Ein König in New York“ einen strammen Kommunisten synchronisierte, konnte sie nicht spurlos vorübergehen. Christoph Dorner

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