Der Erlöser aus der Halfpipe
Vom Skate-Design zum Garage-Blues: Hanni El KHatib ist der neue Antiheld des US-Rock. Nun hat ihn Dan Auerbach produziert
I’m sorry, we sold our last vinyl last night.“ Die schlechte Nachricht kommt vom Chef persönlich, als man sich beim Konzert in Basel nach einer vollen Dröhnung Zwei-Mann-Krach inklusive hingerotzter Bad-Boy-Attitüde und Rückkopplungs-Finale nach etwas Lärm zum Mitnehmen erkundigt. Aber man könne doch auf die Website des Labels gehen, sagt er und krakelt die Adresse auf einen Papierfetzen. Es werde weltweit ausgeliefert – und wenn man schon dabei sei, soll man sich unbedingt auch die neue Single „Build. Destroy. Rebuild.“ zulegen. LPs ausverkauft in der zweiten Tourneewoche? Geheimtippsyndrom nach Handbuch.
Doch wer ist dieser Hanni El Khatib, dessen Name bestenfalls nach Nahem Osten, aber bestimmt nicht nach Kalifornien klingt? Liebhabern des Garage-Bluesrock sei hiermit angekündigt: Er könnte ihr Erlöser sein. Leiden diese doch seit dem Ende der White Stripes unter Entzug, zumal die Auswahl an Bands, die in die Fußstapfen der weißen Riesen treten könnten, recht mager aussieht. Freilich, die Black Keys gelten längst als Kompetenzzentrum, wenn es um die Revitalisierung des Blues mittels Stromgitarren und unperfekter Perkussion geht. Bloß, wie soll man mit deren Ankunft im Mainstream-Radio („Lonely Boy“ beim Friseurbesuch) umgehen?
El Khatib ist den Erfolgsrumplern dicht auf den Fersen. Der Sohn einer Philippinerin und eines Palästinensers ist in San Francisco aufgewachsen, wo er in jungen Jahren auf dem Skateboard die Straßen unsicher machte. Wie er erzählt, hat ihn auch ein anderes Holzbrett schon früh gefesselt. Die Gitarre als Verlängerung des Skateboards? El Khatib sieht keinen direkten Zusammenhang: „Es hat einfach beides wahnsinnig Spaß gemacht. Ich war von Skaten und Gitarrespielen besessen.“ Als junger Erwachsener wurde der gelernte Grafiker zum Kreativchef des Skateboardklamottenlabels HUF in Los Angeles. Nebenbei befasste er sich – wie es sich für einen Straßen-Surfer gehört – mit seiner zweiten Leidenschaft rund um Stromgitarre, Rockabilly und Soul und schmiss gelegentlich eine 7-Inch-Single via Innovative Leisure Records auf den Markt. Alles in Eigenregie aufgenommen und produziert, versteht sich. Im Frühjahr 2011 kam dann die erste LP mit dem Titel „Will The Guns Come Out“.
Den Rock’n’Roll hat er natürlich nicht neu erfunden. Die Einfachheit der White Stripes, der Herzschmerz der Black Keys, die Aggression der Kills – alles vorhanden. Was ihn aber von seinen Kollegen unterscheidet, ist die grimmige Entschlossenheit seines Sounds. Entsprechend vereint der 31-Jährige in seiner hünenhaften Erscheinung den modernen, tätowierten Draufgänger mit der Verletzlichkeit eines James Dean inklusive rabenschwarz glänzender Haartolle. Dank seiner Erweiterung des genretypischen Blues-Grundstocks mit Soul und Rockabilly grüßen bisweilen Größen der 50er-Jahre wie Johnny Otis und Gene Vincent. Passend zur Rebel-Without-A-Cause-Attitüde ist Khatib herzlich wenig interessiert daran, sich zu erklären. „Es geht um Ausdruck und Haltung.“ Garage-Rock spiele er, weil es Spaß mache und die Songs sich superschnell schreiben ließen.
Am Anfang von El Khatibs langsamem aber stetigem Aufstieg stand eine Tournee im Vorprogramm von Florence & The Machine. Dann passierte erst mal nichts. Und plötzlich sehr viel auf einmal: Seine Version des New-Orleans-Klassikers „You Rascal You“ war in gleich drei HBO-Serien („Hung“, „Californication“ und „Eastbound and Down“) zu hören. Er beschallte die Herbst/Winter-Show von Maison Martin Margiela in Paris und sein Song wurde vergangenen Herbst von Smart für einen Werbespot verwendet. Auch Nissan griff zu – „Buzz Buzz“ wurde der Song zur Qashqai-Fernsehwerbung. Auf sich überschlagende Lobeshymnen folgte im Frühjahr und Sommer 2012 exzessives Touren in Europa und den USA. Wie lange kann es da noch dauern, bis die Welt ihn entdeckt?
Solche Fragen – und alles, was mit Selbstreflexion zu tun hat – langweilen El Khatib: „Darüber mache ich mir keine Gedanken.“ Ein sehr spärlicher Webauftritt bietet außer Video-Links gerade mal die Kontaktdaten des Managements. Angst vor dem Erfolg? Die direkte Antwort auf die Frage, was dieses Versteckspiel bewirken soll, kommt als Statement daher: „Fuck being phoney just to get some recognition!“ Er vertraue darauf, dass alles zu seiner Zeit von alleine passiere. Was die Leute von ihm denken, sei ihm egal. Die Nachricht ist eindeutig: Im Zentrum steht, was der Chef will, der Rest ist Nebensache. Bleibt abzuwarten, was demnächst passiert. Derzeit arbeitet El Khatib an den Aufnahmen für sein zweites Album, das – wie passend! -von Dan Auerbach produziert wird. Um das Datum der Veröffentlichung wird allerlei Geheimniskrämerei gemacht, erwartet wird die Scheibe jedenfalls Anfang 2013 und danach ist geplant, „to hit the road pretty hard“; hoffentlich auch wieder in Europa irgendwann im kommenden Frühjahr.
Der große Durchbruch scheint nur eine Frage der Zeit – und seine zuweilen coole, bisweilen alberne Antihaltung mag ihm dabei helfen. El Khatibs Verweigerungsstrategien korrespondieren ganz gut mit seiner Präsenz in der Welt der TV-Serien und Werbespots. Ein kapriziöser Einzelgänger, der geschickt in den unsichtbaren Zonen des Mainstream-Radars agiert.