Der einsame König – Ron Sexsmith im Gespräch
Ron Sexsmith beherrscht das Handwerk des Songwriting wie kein Zweiter seiner Generation - und er hat die wohl prominenteste Fangemeinde des Pop. ROLLING STONE trifft den schüchternen Zweifler auf einen Pfannkuchen in Toronto
So wie Kyp Harness, der einige der besten Lieder geschrieben hat, die du noch nie gehört hast. Oder Sam Larkin, der vor Kurzem gestorben ist, und Bob Snider, der aussah wie Mark Twain oder eine Figur aus „Oliver Twist“: groß, schlank, Bart. Und ihm fehlten einige Zähne, dadurch klang er sehr interessant. Er war klug und lustig wie Randy Newman oder John Prine. Diese drei waren für mich die Heilige Dreifaltigkeit der Songwriter, weil sie nicht nur großartig waren – ich kannte sie auch noch. Ich glaube, ich wurde besser, einfach nur weil ich ihre Lieder hörte und sie mit meinen beeindrucken wollte.“
Seinen Job als Kurier kündigte er erst einen Tag vor der ersten Aufnahmesession. Von seinem Plattenvertrag erzählte er niemandem – aus Angst, alles könnte in letzter Sekunde noch schiefgehen. „Ich dachte, ich muss definitiv irgendwann in den Job zurückkehren, aber das war glücklicherweise nicht der Fall.“
Die Angewohnheit, seine Lieder auf langen Spaziergängen durch die Stadt zu schreiben, ist ihm allerdings aus der Zeit als Kurier geblieben. Dieses Ritual beschreibt er auch im neuen Song „Before The Light Is Gone“. „In der Regel habe ich eine Idee für ein neues Lied oder bin ein Stück weiter mit einem Song, den ich angefangen habe, wenn ich von einem Spaziergang zurückkomme“, erklärt er. „Dann setze ich mich ans Klavier und arbeite es aus. So habe ich es immer gemacht, Burt Bacharach soll angeblich auch so arbeiten.“
Wir haben Sadie’s Diner mittlerweile verlassen, sind durch die Winterkälte die Queen Street Richtung Westen gelaufen und in eine Seitenstraße eingebogen. „Die Häuser hier sind alle unbezahlbar“, sagt Sexsmith.
„Wir wohnen noch recht günstig zur Miete, vermutlich weil der Vermieter uns vergessen hat, obwohl er nebenan wohnt. Wir haben eine antike Heizungsanlage aus dem letzten Jahrhundert – oder dem davor.“
Wir, das sind Sexsmith und seine zweite Ehefrau, die Songwriterin Colleen Hixenbaugh. Die Doppelhaushälfte, die die beiden bewohnen, ist recht schmal – in der unteren Etage ist gerade mal Platz für ein längliches Wohnzimmer und eine Küche. Alles gemütlich eingerichtet mit Teppichen auf dem Parkett und vielen Bildern an den Wänden – einem Bing-Crosby-Porträt aus der Hand von Kurt Swinghammer, einer gerahmten Fotografie, die Gordon Lightfoot mit der Sängerin Anne Murray und der kanadischen Folk-Ikone Stompin’ Tom Connors zeigt, ein auf dem Flohmarkt erstandenes Bild eines Bernhardiners, das Sexsmith zu seinem neuen Song „Saint Bernard“ inspirierte, und ein Poster, das sein Konzert in der Massey Hall ankündigt – „das ist für jeden kanadischen Musiker ein großer Traum, dort mal zu spielen“. Links neben der Tür steht das Klavier, das ihm der Schlagzeuger seiner Band, Don Kerr, zum 40. Geburtstag schenkte, gegenüber eine sehr übersichtliche Plattensammlung – „die meisten Platten sind bei der Scheidung zurückgeblieben“, entschuldigt sich Sexsmith.
Auf einer Anrichte steht die Musikanlage, auf einer Box thront das Schächtelchen mit dem Gesamtwerk von Harry Nilsson auf CD. Als er sieht, dass mein Blick daran hängen bleibt, erzählt er, wie es fast mal zu einem Telefonat mit seinem großen Idol gekommen wäre, als er in Los Angeles einen Produzenten für sein erstes Album suchte. Unter anderem bewarb sich T Bone Burnett um den Posten. Er stellte sich mit den Worten vor: „Ich wette, du bist ein großer Fan von Harry Nilsson. Ich sollte euch mal miteinander bekannt machen. Ich glaube, er wird dich mögen. Ich gebe ihm deine Nummer. Er meldet sich.“ Sexsmith traute sich daraufhin nicht mehr aus dem Hotelzimmer, um ja nicht den Anruf seines Helden zu verpassen. „Nach ein paar Tagen habe ich T Bone gefragt: ,Bist du sicher, dass du ihm die richtige Nummer gegeben hast?‘ Und er sagte: ,Weißt du, mit wem du sprechen solltest? Mit Bob Neuwirth.‘“
Sexsmith sagt, er habe nur wenig gewusst über den coolen Dylan-Sidekick aus „Dont Look Back“, der mit Janis Joplin und Michael McClure „Mercedes Benz“ schrieb, eine Handvoll Alben machte und ansonsten vor allem als bildender Künstler arbeitete. Angerufen habe er ihn trotzdem, und eine bessere Einführung ins Musikgeschäft hätte er nicht bekommen können. „Neuwirth hat mich wirklich angespornt. Er hat gesagt: ,Dein Name steht auf der Platte! Den Leuten, die dir sagen, was du zu tun hast, bist du eigentlich scheißegal, die kommen und gehen. Denen darfst du nicht trauen, es ist dein Ding.‘ Ich fühlte mich danach wie neu aufgeladen, und ich wusste, ich durfte mich nicht rumschubsen lassen.“
Diese Lektion konnte er gut gebrauchen, denn schon bei seinem Debüt, das er schließlich mit dem Produzenten Mitchell Froom aufnahm, gab es Ärger. Interscope sah kein kommerzielles Potenzial und wollte die Platte nicht veröffentlichen – „sie haben das Album gehasst“, sagt Sexsmith. Und es wurde im Verlauf der Jahre nicht leichter für ihn. Wenn man ihm beim Rekapitulieren seiner Karriere zuhört, hat man das Gefühl, es handle sich nicht um eines der beeindruckendsten Singer/Songwriter-Werke der vergangenen 20 Jahre, sondern um eine lange Serie von Niederlagen – kreativ und kommerziell. Natürlich ist das eine große, extrem komische Inszenierung, in der er selbst die Rolle einer leicht autoaggressiven Inkarnation von Ignatius Jacques Reilly aus John Kennedy Tooles „Die Verschwörung der Idioten“ spielt. Es ist nicht er, mit dem etwas nicht stimmt – die Welt tickt nicht richtig. „Ich hatte immer das Gefühl, unverkäuflich zu sein“, sagt er.
„Als ich in den Neunzigern begann, waren alle cooler als ich. Elliott Smith hatte dieses Heroinding, Rufus Wainwright war flamboyant und musste Foto-Shootings machen, Ryan Adams hatte Wutanfälle, saß vor einer alten Schreibmaschine und eine Zigarette hing aus seinem Mund – und ich konnte das alles nicht.“
Ihr Mann sei nun mal sehr speziell, sagt Colleen Hixenbaugh in der Dokumentation „Love Shines“ von 2011. „Er kann keinen Nagel in die Wand schlagen, er kann nicht Auto fahren, er hat bloß einmal auf einem Fahrrad gesessen – er ist nur hier, um Songs zu schreiben.“ Das immerhin kann er wirklich wie kaum ein Zweiter seiner Generation. Man muss ihn tatsächlich an seinen Helden messen, an McCartney, Davies, Carole King oder Bill Withers, wobei seine Lieder niemals wie die Hits der oben Genannten klingen, sondern eher wie die deep cuts, die sublimen Albumtracks, die man erst im Laufe der Jahre ins Herz schließt und die einem irgendwann am allerliebsten sind. „Ich komme mir vor, als würde ich altmodische Tische und Stühle bauen“, sagt Sexsmith. „Es gibt da ein handwerkliches Moment, das mir wichtig ist, das aber nicht mehr besonders wertgeschätzt wird heutzutage. Man darf kein Künstler mehr sein. Es geht nur noch um Waschbrettbäuche und perfekte Zähne. Man muss eine Modelinie haben oder Juror in irgendeiner bescheuerten Sendung sein. Das nervt. Ich weiß, alles verändert sich und ich kann nichts dagegen tun, aber es war schön, die Leute im Radio zu hören und nicht zu wissen, wie sie aussehen. Es ist alles sehr visuell heute, was meiner Karriere wahrscheinlich nicht unbedingt gutgetan hat.“ Er hat halt ein Radiogesicht.
Ausgerechnet der Produzent Bob Rock, der seinen Nachnamen aus gutem Grund trägt, half er doch Metallica, Bon Jovi und Mötley Crüe auf die vorderen Plätze der Charts, brachte seine Songs mit Auto-Tune und hohem Lautstärkepegel ins passende Formatradioformat. Das so entstandene Album, „Long Player Late Bloomer“, wurde Sexsmiths erfolgreichste Platte – hören mag er sie aber heute nicht mehr. „Ich finde die Lieder gut, und ich denke gern an die Arbeit mit Bob zurück, aber der Sound der Platte stört mich enorm“, sagt er. Der Nachfolger, „Forever Endeavour“, war seine Reaktion auf das Unbehagen – ein klassisches 70s-Songwriter-Album mit warmem Sound, Streichern und Bläsern, produziert natürlich von Mitchell Froom. Ein paar Kritiker feierten es, doch das von der Canadian Academy of Recording Arts and Sciences mit einem Juno Award für das „Adult Alternative Album of the Year“ ausgezeichnete Werk lag wie Blei in den Regalen. Auch die Radiosender wollten diese von Melancholie und Vergänglichkeit umwehten Lieder nicht spielen, die Sexsmith geschrieben hatte, nachdem ein, wie sich später herausstellte, gutartiges Geschwulst in seinem Rachen entdeckt worden war.
Das neue Album musste also wieder heller, direkter und radiofreundlicher werden. Sexsmith fragte sogar Bob Rock, ob er Lust habe zu produzieren und, falls ja, ob er dabei unter Umständen ein bisschen weniger retuschieren und polieren könne als beim letzten Mal. Der war daraufhin eingeschnappt und gab ihm einen Korb. Auch Tony Visconti, den er vor allem für seine Arbeit mit den Sparks schätzt, sagte nach anfänglicher Begeisterung ab; Don Was wollte es machen, fühlte sich dann aber durch seine Arbeit als Blue-Note-Labelboss ausgebrannt. Schließlich landete Sexsmith bei Jim Scott, der schon mit Wilco, Tom Petty und den Red Hot Chili Peppers arbeitete. „Jim ist eher ein Toningenieur als ein Produzent“, erklärt er. „Die Ideen für Arrangements mussten von mir kommen, und die Overdubs an Gitarre und Keyboards musste ich auch alle selbst machen.“ Er habe sich wie ein Kind im Bonbonladen gefühlt, so viel habe er noch nie auf einer seiner Platten selbst spielen dürfen. „Das ist also das Album mit dem meisten Ron-Inhalt aller Zeiten – ich bezweifle allerdings, dass das als Werbespruch taugt.“