Der Dreck ist das Sensationelle

Der DJ und Elektro-Musiker Westbam über den Schriftsteller Thomas Bernhard, der vor 20 Jahren starb —und dessen Werk mit neuen Editionen und skurrilem Personenkult die nächste Generation von Lesern fasziniert.

Wir wollen hier nicht großartig klug sein, besser nur ein bisschen durch die Gegend plaudern, gewissermaßen ein Bierchen auf den Dichter Thomas Bernhard trinken.

In Ordnung. ‚Wie lange – in Stunden oder Tagen hast du zum Lesen des neuen Thomas-Bernhard-Buchs, das aus seinem Nachlass erschienene „Meine Preise“, gebraucht?

Ich lese meist nur eine Seite, und dann kann ich mich schon nicht mehr konzentrieren. Also, ich habe wohl zwei Wochen gebraucht. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Selbst unser Papst, das habe ich gelesen, macht beim Beten eines Rosenkranzes eine Pause. Den ganzen Rosenkranz schafft er selten auf einmal. Ein vergnügliches Buch, der neue Bernhard? Absolut vergnügliches Buch, der neue Bernhard, aber das ist bei ihm ja nichts Neues: meistens kurz, fast immer vergnüglich, besonders, wenn es in das mittlere und späte Werk hineingeht. Bei meinen jüngsten Bernhard-Recherchen habe ich festgestellt, dass ich, der ich mich immer für einen Bernhard-Kenner gehalten habe, vor allem ein Kenner der späten Jahre bin.

Die Bernhard’sche Hamburg-Liebe, die in „Meine Preise“ immer wieder zur Sprache kommt: Dir klar, woher sie rührt?

Es geht natürlich um die hanseatische Weitläufigkeit, Weltoffenheit, Nonchalance. Das fand er super. Auch zum Hamburger Kaufmannstum, dieser altmodischen und Gentleman-haften Geschäftstüchtigkeit, fühlte er sich angezogen. Wie herrlich ist das bitte, dass Bernhard in „Meine Preise“ die ganze 2eit vom Geld schwärmt? Die Geldgier ist natürlich eine der ganz großen Antriebsfedern der Kultur. Die Theaterstücke hat Bernhard ja überhaupt nur aus Geldgier geschrieben: Als Schriftsteller verdient man mit Theaterstücken. Deejays müssen Platten auflegen, Schriftsteller Theaterstücke schreiben, um Geld zu verdienen. Da kommt das Geld einfach schneller rein als mit den Buchauflagen. Bei der Verleihung des Österreichischen Staatspreises im Jahr 196S bezeichnete der österreichische Kulturminister Piffl-Percevic Bernhard als „in Holland geborenen Ausländer, jetzt aber seit einiger Zeit unter um“. Wie fällt, gut 40 Jahre später, dein Gruß an den Herrn Minister Piffl-Percevic aus?

Das ist ja überhaupt unserer bester Freund, der Pifn-Percevic. Er hat dem Dichter, als Reaktion auf dessen Dankesrede, mit der Faust gedroht, bevor er empört den Saal verlassen hat. Mit der Faust drohen, das ist ja leider die allerarmseligste Geste. Welche Preise hat der Deejay und Musiker Westbam in seinem Leben erhalten ? Welcher war der lustigste Preis?

Preise bekommen heißt ja, auf den Kopf gemacht zu bekommen. Ein schöner Preis war sicherlich der Kulturpreis der „BZ“, verliehen im Jahr 1996. Mit mir ausgezeichnet wurden Mario Adorf, Vivienne Westwood und noch so ein paar. Ich lese nun ein paar schon klassische Hitsätze von Thomas Bernhard vor – du sagst knapp, was dir einfällt, wenn dir etwas einfällt: „Verehrte Anwesende, wovon wir reden, ist unerforscht.“

Das ist die Büchner-Preisrede.

„Mir ist alles wurscht.“

Das passt ja eh. Das ist der süddeutsche Sprachraum.

Nun der berühmteste Bernhard-Satz: „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“

Ja, Bravo. Den kennt jeder.

Bernhard sagt ja auch: „Ich bin aus reiner Langeweile, weil man einfach nicht ununterbrochen einem Berg gegenüber liegen kann, ohne irgend etwas zu tun, auf das Schreiben gekommen.“ Gut, das ist ein bisschen egal, ob das Bernhard gesagt hat, denn das sind Künstlereitelkeiten, die typischen. Das sagen die Künstler, um ihr Publikum zu beeindrucken: Ich wollte mich nur amüsieren. Ich bin ganz zufällig hier. Ich weiß auch nicht, was alle von mir wollen. Blabla.

“ Und so ist es falsch, überhaupt ein Buch zu Ende zu schreiben. (…) Und im Umgang mit Menschen ist es auch sehr gut, wenn man die Beziehung plötzlich abreißt.“

Ja, Freunde wären Bernhard und ich nicht geworden.

T^un wollen wir systematisch erfahren, wie Westbam liest, lebt, denkt.

Gut.

Wie sieht der Westbam’sche Lesesessel Da ist mein Motto: Liegen geht. Sitzen ist eher schwierig. Gehen geht dann auch schon wieder gut. Die Maße deines Bücherregals? Die Bücher sind, wie meine Platten, verteilt über viele Orte. Bei Büchern und Platten weiß ich nie, wie viele es sind. Dein Lieblingsphilosoph? Schopenhauer. Natürlich. Dein Lieblings-TNeurophysiker am Max-Planck-Institut, Leipzig? Heisenberg, ganz klar: Heisenberg, der Physiker, 1927 an die Universität Leipzig berufen. Darf ich den nennen? Wie lautete die Frage noch mal gleich?

Der Doofmann denkt ja, die Deejays, die lesen nicht. Ist das ein dummes Klischee? Naja. Da müsste ich jetzt länger… Viele Deejays sind Magiere, Philosophen, Schriftsteller in spe. Sie haben den großen Roman vollkommen im Kopf und warten nur auf den einen Augenblick, das alles niederzuschreiben. Bisher ist es bei vielen Kollegen noch nicht dazu gekommen, aber das will nichts heißen.

Ich vergesse immer, warum ein Mensch überhaupt lesen soll es gibt so viel schöne andere Zerstreuung auf Erden. Warum soll der Mensch lesen?

Weil man im großen Gespräch der Geistesriesen mit viben möchte.

Grund zwei: Weil man nicht schlafen kann.

Wurdest du dich – im allerschönsten, altmodischen Sinn von etwa 1880 – ah Bildungsbürger bezeichnen?

Als Teenager gefielen wir uns darin, Bildungsbürger zu sein. Ich stamme aus einem alten Pädagogengeschlecht, nur ich bin etwas aus der Art geschlagen – Vater Kunstprofessor, Mutter Kunststudienrätin. Ich habe Großtanten in der Familie, die die ersten

weiblichen Lehrerinnen auf Erden waren.

Wer hat dir das Schreiben – zum Beispiel von klugen Aufsätzen über Andreas Gursky ~ beigebracht?

Man tut das Schreiben doch ganz automatisch andauernd für sich, so wie man liest.

Zwanzig Jahre nach seinem Tod ist Konsens: Alle lieben Thomas Bernhard. Wieso eigentlich? Wäre es denn auch erlaubt, ihn nicht gut zu finden?

Ja, warum findet man ihn gut? Die bösartige Erklärung lautet: Es ist wie bei McDonald’s oder bei VW. Bei Bernhard, da weiß man, was man hat. Bernhard, die Marke, das Label, der Prototyp. Kaum ein Autor hat die Leute ja so sehr herausgefordert, ihn nachzumachen und zu persiflieren wie dieser Autor. So wird man dann leider auch ein bisschen was Scheußliches, man wird ein Kultautor.

Ja, das ist ein ekliges Wort: der Kult. Ein Mensch wie der schreckliche Jörg Pilawa, der würde wohl sagen: Bernhard, Kultautor. Aber das können wir dem Autor nicht vorwerfen, dass seine Kunst so eingeschlagen hat, dass sie zur Marke wurde. Denkbar, dass Bernhard den Kult um seine Person auf subtile Art auch gefördert hat?

Wahrscheinlich ist, dass Bernhard sich seit Erscheinen seines ersten Romans im Jahr 1964 nicht nur für einen guten, sondern für einen wirklich bedeutenden Autor hielt. Er wusste, dass er Weltliteratur schrieb.

Einen Autor lieben mit Haut und Haar – wie findet das bei dir konkret statt?

Bernhard sagt richtigerweise: Wir bewundern ja nichts, wir respektieren nur. Ich habe folgendes Problem: Ich möchte Bernhard selber nicht sprechen hören, die reale Person Bernhard ist mir suspekt. Ich möchte ganz grundsätzlich Bernhard-Text nicht laut gesprochen hören – weshalb ich auch nie ein Theaterstück von ihm sehen möchte. Seinen Text, so geht es mir, kann ich mir nur im geistigen Ohr anhören.

Du warst also nie einer von denen, die in Nathal vor seinem Vierkanthof standen und darauf warteten, dass er mal rausguckt?

Genau nicht. Ich liebe die Geistesgestalt Bernhard. Aber ich wäre nie da irgendwo hingefahren, um ihn kennenzulernen, das wäre bestimmt nichts gewesen.

Wer hat dir den Tipp Thomas Bernhard gegeben?

Mein Freund Bernhard Liesen. Ich war 17, und er gab mir den Erstling „Frost“ zu lesen, das hat meine Bernhard-Liebe gleich für 20 Jahre abgekühlt. Ein anderer Freund, ich nannte ihn den Meister, gab mir, Alte Meister“. Und das war dann für mich der einzig mögliche Einstieg. Wie lautet heute, im Februar 2000, deine Hitliste der drei besten Bernhard-Bücher?

Number One: „Der Untergeher“. Gleich darunter: „Holzfällen“. Platz drei: „Gehen“.

Und Schnitt. Wir stellen jetzt, ah Unterbrechung, die neun ewigen, die überlebensgroßen Fragen zu Thomas Bernhard, beantwortet vom Deejay und Musiker Westbam. Wie übersetzt du die Bernhard’sche Hitvokabel „naturgemäß“? Das übersetze ich nicht. Das ist doch schon Deutsch. Man muss vor allem verstehen, dass es Bernhard natürlich nie um einen Naturalismus ging. Die Natur hat ihn naturgemäß nie interessiert. Es geht um die Dinge gemäß ihrer N atur, also der Dinge meist durch und durch künstliche Natur.

Bernhard – der Schriftsteller für die, die sich für Literatur nicht so interessieren: Kann man als Schriftsteller eine tollere Position erreichen? Beachtlich, ja. Das ist so, wie Rolex die Sammleruhr für Nicht-Uhrensammler ist.

Ist Thomas Bernhard ein, hihi, negativer Schriftsteller? Oder, im Gegenteil, ein ganz besonders positiver Schriftsteller?

Negativ oder positiv? Hmm … Er hat ja geschrieben, das ist ja an sich immer schon positiv. Negativ wäre, wenn er ein Buch, das schon existiert, so negativ neu geschrieben hätte, dass es dann verschwunden wäre.

Dir schon mal passiert, dass du so doll lachen musstest beim Bernhard-Lesen, dass du nicht weiterlesen konntest? Bernhard ist der Lach-Schriftsteller. Der Stoff, den er verhandelt,

ist so eisenhart, was soll der Leser da schon tun? Da bleibt oft nicht mehr, als sich schlapp zu lachen.

ist eigentlich alles, was gut geschrieben ist, automatisch zum Brüllen komisch?

Jeder ernste Schriftsteller ist im Grunde Humorist. Das ist richtig.

Eine Insiderfrage: Lieber Gärtner oder Jäger?

Ich weiß ja, auf was es in der „Auslöschung“ hinausläuft. Deshalb lieber Jäger. Da bin ich nicht Hippie genug, um zu sagen: Ich finde die Gärtner toll. Die lassen was wachsen. War Thomas Bernhard eigentlich schwul, oder warum ist er in „Meine Preise“ immer mit dieser Tante unterwegs?

Da müsste man jetzt einen Österreicher fragen, der könnte uns das erklären. Wir wissen nicht, ob Hitler schwul war. Wir ahnen, dass Haider schwul war. Unser heißgeliebter Papst – bestimmt auch schwul. So wie Cliff Richard schon gesagt hat: So lange man die Sünde nicht lebt, ist es doch okay. Damit man mich hier nicht falsch versteht: Von mir aus ist es auch okay, wenn man die Sünde lebt. Haha … Ist doch alles okay.

„Wo warst du, als Bernhard starb?

Als Elvis starb, war ich auf dem Weg zur Schule, als Sid Vicious starb, auch – das war beides 1977. Den Bernhard-Tod erinnere ich nicht besonders. Ist 58 ein gutes Alter zum Sterben? Für einen Künstler von Bedeutung war es wahrscheinlich der perfekte Zeitpunkt. Für uns Fans war es zu früh. Wir hätten gerne noch ein paar Dinger gelesen. Von seinem letzten Werk „Neufundland“ hatte er immerhin schon den letzten Satz: „.. .starb 53-jährig auf Neufundland.“ Wir wollen nun noch näher ran an ihn, den Dichter durch deine Augen betrachten. Wie beschreibst du den Körper von Thomas Bernhard?

Ein Leptosom.

Seine Augenfarbe?

Hatte der grüne Augen? Sonst hätte ich grau-blau gesagt.

Wie erklärst du dir seine rote Nase?

Bluthochdruck. Ich merke das auch an mir. Unsere Köpfe, die immer aufgeregte Köpfe gewesen sind, sind gut durchblutet. Er ist Wassermann. Und Wassermänner haben immer diese charakteristische Nase. Sind das Aknenarben, was er da auf den Wangen hatte?

Leute mit Aknenarben fand ich immer vertrauenserweckend. Ich sage: Lasst Leute mit Aknenarben um mich sein. Wenn du ihn dir jetzt -Fingerschnippen- vorstellst: Wo ist er? Was tut er? Was spricht er?

Er ist im Himmel und trägt ein weißes, mit einer Stickerei verziertes Hemd. Er wartet auf seine Lieblingsinterviewerin Krista Fleischmann vom ORF, der möchte er sagen: Falls da ein Loch in das Hemd reinkommt, sollst du es bitte stopfen.

Einverstanden, dass der Bernhard ein unfassbar gekonnter Beine-Übereinander-Schlager war?

Und der rechte Fuß schlug den Takt. Wie er in den Fleischmann‘ Interviews erklärt: Mit dem Fuß des höher Hegenden Beins hat er beim Sprechen stets den Takt gehalten.

Einverstanden, dass die Einrichtung in seinen Landhäusern -meinem angenehmen Sinn – etwas naationalsozialistisches hatte?

Er hatte Bauernschränke in der Ecke stehen. Und es war aufgeräumt bei ihm. Lass die Leute sich doch Bauernschränke in die Ecken stellen. Es kann doch nicht jeder, der einen Bauernschrank bei sich hat, ein Nationalsozialist sein.

Das unfassbar Freundliche, Milde, Gütige in Bernhards Gesicht – wo kommt das deiner Meinung nach genau her? Aus den Augen? Der Nase? Mund? Kinn?

Ich sehe das nicht. Ich sehe da eher die Bernhard’sche Angst vor zu viele Nähe, die ihn ein Leben lang begleitet hat. Misstrauen, Ironie, Spott.

Bist du Schuhfetischist wie Bernhard? Kein Schuhfetischist, nein. Waffenfetischist wie Bernhard?

Auch kein Waffenfetischist, nein. Waffen im Haus-da habe ich Angst. Es gibt einen Streit, und schon fallen Schüsse. Bewahrst du den Schnaps wie Bernhard im Kleiderschrank auf? Mit Schnaps ist es bei mir wie mit Schusswaffen: Besser keinen im Haus. Der Schnaps, der da ist, wird getrunken. Ein Wunder, dass Bernhard kein Alkoholiker geworden ist? Dazu war er zu zerbrechlich. Leute, die zerbrechlich geboren sind, werden keine Alkoholiker. Die Drogensucht und der Alkoholismus, die sind für die mit einer robusten Konstitution, denn die wollen ja weniger davon haben. Bist du auch so ein Materialist wie Thomas Bernhard? Bernhard hat sich, eigentlich ganz niedlich, immer gefragt: Was kaufe ich mir jetzt davon? Einen Anzug; ein Auto; einen Vierkanthof; eine Reise nach Mallorca. Ich bin da atavistischer veranlagt. Es gibt mir ein gutes Gefühl, viel Geld zu haben.

Das „J^licht-Aufhören-Können-zu reden“, Rennst du das? Leidest du auch an dieser weit verbreiteten Krankheit? Ich kenne Leute, die fahren Zug und suchen sich Leute, um zu reden. So einer bin ich nicht.

Verstellst du die Bernhard’sche Lust, sich zu verrammeln, hinter blickdichten Mauern zu verstecken, wegzuschließen vom Leben?

Die Gemeinschaft macht alles möglich. Wir sind von Gott als relative Wesen geschaffen. Das sagt unser Papst. Für einen Schriftsteller gibt es nichts anderes als Menschen. Er saß zwar in seinem Hof, aber da hat er ja nur über Menschen nachgedacht. Er hat ja nie eine Landschaft beschrieben. Die Vögel, die Wiesen, die Bäume, das hat ihn nicht interessiert. Das einzige, was den Menschen interessiert, sind die Menschen. Das gilt allgemein. Man kann ja nicht einen Riesenberg schreiben, ohne die Menschen total zu lieben.

Der Katholizismus, wie tief sitzt der in dir drin?

Das Katholische ist drin bei mir, vor allem deshalb, ¿weil man mich als Kind damit nicht belästigt hat. Da werden die meisten lebenslänglich ruiniert, weil sie als Kinder Leber und Spinat essen und zur Beichte gehen mussten. Das war bei mir nicht so, das gab es alles nur in kleinen Dosen, weshalb ich Leber, Spinat und den Katholizismus bis heute liebe. Und was unterscheidet dich maßgeblich von Thomas Bernhard? Ich bin Staatsbürger, durch und durch. Ich liebe den Staat – den unseren Staat liebe ich besonders, weil es so ein lieber und so ein fürsorglicher Staat ist und er sich, als Staat, so völlig zurückhält und nie etwas von uns will. Der Staat fragt immer nur: Was kann ich für dich tun?

Die Kunst, die Sprache, der Stil, wir wollen nun gemeinsam seine Prosa untersuchen. Weshalb die langen Sätze?

Es ist so anti-Deutschlehrer-mäßig gemeint. Wenn es landläufig heißt „Lange Sätze sind kein gutes Deutsch“, dann hat Thomas Bernhard gesagt: Ja. Dann machen wir jetzt gleich mal einen Satz über zwei Buchseiten, und dann schauen wir weiter. Weshalb die Seiten ohne Absätze?

Die Wahrheit ist: Wenn du dich in Rage geredet hast, wo willst du absetzen? Die atemlose Rede kennt keinen Absatz. Was bringt das manische Wiederholen von Worten? Das bringt Spaß. Man kennt es aus der Popkultur und vom Techno: Wiederholung ist immer der größte Spaß. Ein Glas Bier allein ist nicht lustig. Aber eine Seite Text, in der 40 Mal das Glas Bier

vorkommt, ist fast garantiert lustig.

Weshalb sind die Sätze des Lange-Sätze-Experten Bemhards leicht und vergnüglich zu lesen, und die Sätze des Lange-Sätze-Experten Thomas Mann vergleichsweise schwer?

Ich bin ja auch großer Thomas-Mann-Fan, das muss ich zugeben. Bernhard-Mögen heißt immer auch Alte-Männer-Mögen, und das heißt immer schon Thomas-Mann-Mögen. Wenn einer schon Sätze beginnt mit „Wir wollen hier eine Geschichte erzählen…“, gut, da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Knirschender Übergang von der Kunst Bernhards zur Kunst Westbams: Wenn Bernhard ein Schöne-Wörter-Vermeider war – musst du dann ein Melodien-Vermeider sein, damit deine Musik Bumms hat?

Da müsste ich jetzt ausholen. Die Kurzfassung: Techno-Kultur wurde spannend, nicht da, wo der Beat reinkommt, sondern da, wo der Beat aussetzt. Aber, ob das jetzt in Sachen Bernhard weiterhilft – ich weiß es nicht.

Der neue Westbam-Track „Teah, Bläh, Whateuer“, der demnächst unter dem Künstlernamen Roadrage auf TNT Records erscheint ist das die Vertonung des Bernhard-Hitsatzes „Mir ist alles wurscht“? Plötzlich standen diese Worte an der Wand: „Yeah, Bläh, Whatever“. Ich bin nur das Werkzeug Gottes, das Medium, das diese Worte weitergibt.

Der berühmte Thomas-Bernhard-Sound, könntest du den hier mal auf den Tisch klopfen?

Ganz einfach. Es geht bei Bernhard ja immer um drei Ecken, und meistens haben die Namen ein „er“ am Ende. So ergibt sich zum Beispiel bei „Alte Meister“ ein Sechs-Achtel-Takt.

Bisschen eine eilige Frage an einen Deejay: Ist Bernhard der, der mit Text so nah an Techno, an House Music herangekommen ist wie kein zweiter Schriftsteller?

Tja, das ist leider wirklich eine bisschen eklige Frage: Im Grunde war er auch nur Deejay. Puh.

Der Negativ-Flash, das Negativitäts-Kasperltheater: Warum macht es so gute Laune, wenn Bernhard Salzburg eben nicht als Schatzkästchen, sondern als Scheißhaufen beschreibt?

Es ist die Freude am Pöbelhaften in uns. Wir wollen den Dreck lesen, der Dreck ist das Sensationelle. Wenn Bernhard schreibt „Mir liegt nicht viel an meiner Existenz“, dann ist das was: Ein Hilferuf? Ein Supergag? Ironie als Notwehr? Sachliches Fazit? Einfach schönes Deutsch?

Es ist eben all das zusammen. Es ist ja ein Wunder, dass er überhaupt so lange gelebt hat. Der 17-jährige Bernhard wurde bekanntlich ins Sterbezimmer gerollt, ihm wurden die Sterbesakramente erteilt, man hatte ihn abgeschrieben. Seine Kindheit in der Lungenheilstätte: Warum ist dieses Schlüsselwort für Bernhards Genie, wenn Bernhard es hinschreibt oder ausspricht – Lungenheilstätte – auch schon wieder lustig?

Also, beim Wort „Lungenheilanstalt“ allein, da muss ich noch nicht lachen.

Die Menschheit als Sterbensgemeinschaft, ist das nicht auch schon wieder zum Lachen?

Wahr ist natürlich, dass durch Bernhards Sezieren und das unentwegte Immer-wieder-Aussprechen der Unerträglichkeiten dieser Welt eine Art Erlösung stattfindet. Wir werden befreit, weil er das schreibt, was uns bedrückt und belastet. Und dann lachen wir. Das Lachen an sich ist ja eine Erlösung.

Ist schlechte Laune nicht irgendwie auch Old School, also eher 1950 als 2000?

Ach, mei.

Im Ernst, kann man nicht sagen, dass die Neegativität seit Bernhards Tod, 19S9, und dem Fall der Mauer im selben Jahr an Konjunktur verloren hat?

Da denke ich immer: Das kann doch gar nicht sein. In der Diskothek heißt es immer: Die Leute werden immer jünger. Oder: Die Musik wird immer schlechter. Falsche Annahmen. Hätte der Herr Bernhard eine Freude an der Krise gehabt? Er war ein Handelsmann und geldgierig. O ja. Er hätte sein Geld vielleicht falsch angelegt und jetzt viele zusätzliche und produktive schlechte Laune.

Wäre es angesichts der realen Schlechtheit der Welt – Tod, Krankheit, Einsamkeit, Verbrechen ah Künstler nicht die noch größere Kunst gewesen, nicht mutend, sondern fröhlich zu sein? Man ist oft nur Realist und kommt doch bei den Leuten als Pessimist daher. Das sagt übrigens auch unser Papst. Unterbrechung zwei: Bisschen über Österreich reden, das ist immer schön. Ist Wien die schönste deutsche Stadt? Mein Freund Rainald hat eine Zeit lang in Wien gelebt, er kam mit der Erkenntnis wieder: Wir sollten den Amerikanern und Engländern dankbar sein für das Flächenbombardement auf deutsche Städte im zweiten Weltkrieg. Die ganze Zeit durch ein Museum zu laufen, hält kein Mensch aus.

Deine Lieblings-Vokabel aus der österreichischen Küche? Saure Wurst. Ist der Österreicher per se der sympathischere Deutsche?

Die Bayern sind ja schon nicht wirklich deutsch. Der Bernhard ist der österreichischste aller Schriftsteller, das muss man wissen. Der Österreicher, das liebe ich an ihm, ist immer zu einer Perversität bereit. Es ist das Land, in dem der Party-Veranstalter sich plötzlich über die Schulter des Deejays beugt, während der die Platten auflegt, und sagt: Na, komm. Jetzt schockiere sie mal so richtig.

Bernhard hat lange überlegt, Sänger oder Kapellmeister zu werden. Du musst es wissen: Liegt in der Musik, mehr Trost als in der Schreiberei?

Wenn ich ein Bach-Werk höre, dann sehe ich diesen rührenden Menschen: Bachs Glauben an eine Welt, die von Gott gewollt und von Gott erdacht ist. Das ist in der Musik drin, dass er das geglaubt hat. Höre ich das, dann sage ich: Schön. Mehr Trost geht nicht.

Hand aufs Herz, Herr Westbam: Wärest du lieber noch als Deejay Professor für vergleichende Literaturwissenschaften in Tübingen oder gleich Büchner-Preisträger geworden?

Nein.

Bist du jetzt gerade sehr deprimiert?

Nein. Bei mir ist der Zen-Punkt schon lange erreicht. Ich lebe im Hier und Jetzt, und es ist alles gut. Was hilft gegen Einsamkeit? Warum sich gegen die Einsamkeit stellen? Was hilft gegen den Tod?

Wenn der Tod anklopft, sage ich: Vater, ich bin gerade nicht da. Hilft Saufen?

A bisserl, doch. Die angenehmen Aspekte liegen für mich aber eher in der Rekonvaleszenz, also in der Heilung. Es ist so schön, wenn der Kater nachlässt.

Thomas Bernhard konnte über Georg Büchner schwer sprechen, weil Büchner ihm so viel bedeutet hat. „War es schwer für dich, über Thomas Bernhard zu sprechen?

Wir sprechen ja ständig — durch andere. Danke. Es ging schon.

Das Gespräch fand im Februar 2009 im Rahmen der Reihe „Keine Diskussion“ im Fleetstreet Theater, Hamburg, vor Publikum statt.

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