Der doppelte Frieden
Durch die Veröffentlichung der „SMiLE Sessions“ wird Brian Wilson ein weiteres Mal mit dem Scheitern seines ambitioniertesten Projekts konfrontiert. Er kann mittlerweile damit umgehen.
Brian Wilson hat am Vorabend in Birmingham gespielt, er steht am Anfang der zweiten Woche seiner Tournee durch Großbritannien, Holland und Frankreich. Bisher hatte der 69-Jährige insgesamt nur zwei konzertfreie Tage, und die hat er zweifellos mit Promotion für die „SMiLE Sessions“, das in eine edle Sammlerbox verpackte Bandarchiv seiner legendär unvollendeten „Teenage Symphony To God“ zugebracht. Er sitzt dort im blau-weiß gestreiften Hemd, mit säuberlich zurückgekämmtem, grau meliertem Haar, stocksteif, ein unberührter Notizblock vor sich auf dem Tisch, und starrt die Wand an. Mit einer plötzlichen Kopfwendung wendet er sich uns zu und grüßt freundlich, aber mechanisch.
Neben Wilson sitzt sein Tour-Manager, vertieft in sein Blackberry. „Ich bin hier und pass auf, was Sie fragen“, sagt er, ohne aufzublicken. Er lacht, aber ein Scherz ist das nicht. Natürlich, sagt Brian Wilson, habe er sich die Fragmente der „SMiLE Sessions“ vollständig angehört: „Das war sehr aufregend. Hat mir große Freude gemacht.“ Und was empfindet er dabei, wenn er sein konserviertes Ich von vor 45 Jahren mit den Studiotechnikern sprechen und die Musiker durch seine komplexen Arrangements führen hört? „Es bringt sowohl eine gute Erinnerung hoch als auch eine schlechte“, sagt Wilson. „Die gute ist die an die Musik, die schlechte ist die an die Drogen. Wir nahmen viele Drogen, die nicht gut für uns waren.“
Der Abbruch der Arbeit an „SMiLE“ unter der schwarzen Wolke der Querelen zwischen Brian, dem Rest der Beach Boys und ihrem Plattenlabel markierte 1967 den Anfang von Wilsons psychischem Zusammenbruch. Seine erneute, intensive Auseinandersetzung mit diesem alten Trauma kann also nicht einfach gewesen sein.
Auf sanftes Nachfragen reagiert Wilson jedoch nur mit wohlerprobten Stehphrasen: Eine „sentimentale Reise“ sei es für ihn gewesen, die alten Bänder zu hören. Immerhin habe er sich dabei auch „an die Zusammenarbeit mit meinem Partner“ erinnert, „und dass wir wirklich schnell gearbeitet haben“. Mit dem Partner ist natürlich Van Dyke Parks gemeint. Eine Beziehung, die bis heute überdauert hat. 2004 erschien die mit Parks erarbeitete neue Studioversion von „SMiLE“, 2008 die Kollaboration „That Lucky Old Sun“. Eine weitere Zusammenarbeit scheint jedoch, wenn man Wilsons knappem „Nein“ glauben kann, nicht geplant.
Brian Wilson scheint ständig beunruhigt, sein Blick flattert, seine Hände zittern. Längere Fragen machen ihn spürbar nervös, und die Antworten entfahren seinem Mund in kurzen, hektischen Schüben sich überschlagender Silben. Seine Tourneen empfindet er als gleichermaßen erfüllend wie erschöpfend. Auf die Frage, ob die Rückkehr zu einem aktiven musikalischen Schaffen sein Leben bereichert hat, kommt bezeichnenderweise nur ein tiefes Seufzen.Der Tour-Manager neben ihm zeigt keine Reaktion. Er ist sich des Geniekults, der ihn umgibt, sehr bewusst und redet gerne und viel von der Liebe, die seine Fans ihm geben, und der Liebe, die er ihnen mit seiner Musik zurückgibt. „Wir wollten damals nicht die Welt verändern, wir wollten nur ein Licht ins Leben der Leute bringen“, sagt er.
Solche Bescheidenheit spottet zwar der Ambition seiner einstigen Visionen, aber Wilson hat im Grunde recht. Die weit verbreitete Ansicht, dass „SMiLE“ das große amerikanische Album seiner Epoche hätte sein können, lässt sich auch durch sämtliche mittlerweile aufgetauchten Studioschnipsel nicht mehr belegen.
Andererseits lebt der Mythos dieses Werks gerade vom tragischen Verpassen seines Moments. Selbst Wilson, alles andere als ein Mann der politischen Gesten, sieht den eloquenten Kontrast zwischen jenem fiktiven, fantastischen Amerika, das er und Van Dyke Parks erschufen, und der damaligen Realität von Rassenunruhen und Vietnamkrieg.
Die Parallele zum heutigen Wiederauftauchen von „SMiLE“ vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise und Dauerkriegszustand ist ihm nicht entgangen. „Es gibt einen Weg, Frieden zu machen“, sagt er zum Abschluss unseres Interviews, „and I have made peace with my music“. Das kann in diesem Kontext zweierlei heißen: „Ich habe mit meiner Musik Frieden geschaffen.“ Oder: „Ich habe mit meiner Musik Frieden geschlossen.“ Vermutlich stimmt beides.