Der deutsche Elvis
Sie haben dem King eine schwarz-rot-goldene Fahne vors Gesicht gehängt. Darüber prangt der fragwürdige Titel „50 Jahre Elvis in Deutschland“. Hoppla, geht es einem da spontan durch den Kopf: Lebt der Mann womöglich noch? So wie in dem amüsanten amerikanischen B-Movie „Bubba Ho-Tep“: Ein vom Rock’n’Roll-Geschäft müde und lustlos gewordener Elvis Presley tauscht darin zu Beginn der Siebziger die Rollen mit einen mittelmäßigen Elvis-Impersonator. Zunächst läuft alles nach Plan – bis der Doppelgänger aus den bekannten Gründen stirbt. Weil niemand glauben will, dass der echte King noch am Leben ist, schlägt sich Elvis mit Auftritten bei Hochzeiten und Parties durch, bis er als alter Mann in einem texanischen Altersheim landet. In den USA ist „Bubba Ho-Tep“ ein Kultfilm, in Deutschland dagegen verehrt man Elvis eher wie eine Figur aus der Geschichte der Bundesrepublik. Allein das dick aufgetragene (aber trotzdem großartige) „In The Ghetto“ schaffte es hierzulande auf Platz 1 der Charts. Doch Jahrestage haben bei uns einen hohen Stellenwert!
Es begab sich also am 1. Oktober 1958 um 8.46 Uhr, dass der Truppentransporter „USS General Randall“ an der Columbus-Kaje in Bremerhaven anlegte und Elvis erstmalig deutschen Boden betrat. Ein Moment, der dank deutscher Gründlichkeit zeitlich offenbar relativ exakt festgelegt werden konnte. „50 Jahre Elvis In Deutschland“. Für einen globalen Unterhaltungskonzern ist so ein Jubiläum Grund genug, ein regional eingefärbtes Produkt auf den Markt zu werfen: „Seine größten Erfolge“ auf einer Doppel-CD, diesmal allerdings inklusive „Wooden Heart“ und dem an Wichtelmänner und Märchenstraßen erinnernden Refrain: „Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus…“.
Natürlich sind noch immer viele Deutschen stolz auf die Tatsache, dass der König des Hüftschwungs 17 Monate lang einer der ihren war, fast zumindest. Vor allem, wenn man bedenkt, dass 15 Jahre vorher noch stramm gescheitelte Hitlerjungen in kurzen Hosen über das heimische Kopfsteinpflaster paradierten und dabei aus vollem Hals das Horst-Wessel-Lied grölten. „Heartbreak Hotel“ und „Jailhouse Rock“ waren dagegen gelebte Entnazifizierung. Wenn man sich die „Bravo“-Titelbilder aus diesen Tagen ansieht, ist vom Rock’n’Roll-Fieber allerdings relativ wenig zu spüren: Die fesche Conny und der blitzsaubere Peter bildeten unter den damaligen Coverstars eine subversive Speerspitze. Es waren eher Ruth Leuwerik, O.W. Fischer oder der populäre Skipistenfuchs Toni Sailer, die das damalige kulturelle Milieu in Deutschland repräsentierten.
Wie mag sich Elvis hier gefühlt haben? Glaubt man der Geschichte „Elvis Presley im Manöver“ aus dem „Film Journal“ von 1958, dann war es wie in einem alten Landser-Film: „In dieser verdammten Army gibt es tausend Kompanien, und ausgerechnet in meine müssen Sie kommen!‘, sagte Spieß Hackney zu seinem Rekruten Elvis Presley – und dann lachten sie beide herzlich.“ Und wir lachen mit – über die männerbündischen Klischees jener Tage.
Natürlich hat man dem King of Rock’n’Roll in Bad Nauheim längst ein Denkmal gebaut. Ein piefiges, an einen Grabstein erinnerndes Ding, das nicht mal ansatzweise wiedergeben kann, was diesen Künstler so besonders gemacht hat, und deshalb eher die Tatsache feiert, dass sich ein weltberühmter Star in das Deutschland der gepflegten Vorgärten verirrt hat.
Aber anderen geht es anderswo ja auch nicht besser: „48 Jahre nach dem ersten Auftritt der Beatles in Hamburg hat unsere Stadt ihre legendären Pilzköpfe wieder“, schreit es von der Webseite eines hanseatischen Oldie-Senders. Tatsächlich, am schmuddeligen Ende der Reeperbahn, an der Ecke zur Großen Freiheit, der längst der Charme des begehrenswert Verbotenen abhanden gekommen ist, befindet sich seit einigen Wochen der „Beatles-Platz“. Für eine halbe Million Euro – die Hälfte wurde mit Steuergeldern finanziert – hat man aus schwarzem Granitbelag eine kreisrunde Fläche mit einem Durchmesser von 29 Metern geschaffen, die an eine Schallplatte erinnern soll. Drumherum stehen fünf (!) große Blechrahmen, die an gigantische Plätzchenausstecher erinnern. Nur die allergrößten Fans erkennen darin die „legendären Pilzköpfe“ – plus Stuart Sutcliffe. Hamburg wollte bereits zur WM 2006 mit dieser kecken Stadtmöblierung glänzen, doch es dauert offenbar seine Zeit, bis man 70 Beatles-Songtexte in den Granitboden gehämmert hat. Dumm nur, dass bei der feierlichen Einweihung durch Bürgermeister Ole von Beust der Song „Drive My Car“ plötzlich „Drive Me Car“ hieß. Und das ist kein Einzelfall. Es beschleicht einen das Gefühl, dass die Beatles für die Hamburger vor allem als Tourismusmagneten interessant sind: vier lustige Vögel – das traurige Schicksal des fünften wird nicht größer thematisiert -, die von Hamburg aus durch das Tor zur Welt in eine gigantische Karriere spaziert sind. Dass das Unternehmen Erfolg hatte, wird offensichtlich höher bewertet als die Songs, die diesen Erfolg ermöglichten.
Doch letztlich sollte man angesichts dieser pedantischen Erinnerungsarbeit und blödsinnig vereinnahmenden Denkmalkultur lieber mal ganz entspannt den Vorschlaghammer rausholen. Was wirklich zählt im Pop, ist doch der Moment. Die Entstehung eines Songs, nach 30 Tagen durchgesoffenem Liebeskummer. Der Prozess einer künstlerischen Selbstfindung, lauter Dinge zwischen Peinlichkeit und nächtlicher Ruhestörung. Alles andere ist Kitsch, Sentimentalität oder ökonomisches Kalkül. Am schönsten aber wäre es, wenn wir unseren Helden wenigstens ab und zu mal ans Bein pinkeln könnten! Nur so, weil sie zu uns gehören und wir zu ihnen. Jeder platte Ulk ist besser als ein schwarzrotgold umflorter Elvis.