Der Destillerie-Mann
Auch wenn Elvis Costello Rock'n'Roll ankündigt, führt er alle Facetten seines reichen und reifen Werks auf
Berlin. Universität der Künste. In Clubs und Sporthallen findet man unseren Elvis nicht mehr. Selbst wenn er mit seiner Rock’n’Roll-Band The Imposters auftritt, wählt er mittlerweile den Konzertsaal. Ein Missverhältnis, das man gleich bei den ersten Songs in dem aulamäßigen Behältnis der Universität der Künste körperlich spürt. „Blue Chair“, „Tear Off Your Own Head“, „Beyond Belief, „Radio Radio“ -Songs, die man besser versteht, wenn man dazu ein bisschen die Beine ausschütteln kann. Doch so sitzt man eingezwängt zwischen comichaft überschminkten Damen und unfrisierten Herren und beginnt nach einigen Minuten katatonisch zu zucken. Aber man könnte die Dialektik des Costelloschen Werks ja gar nicht besser inszenieren. Die Klassik und der Rock ’n’Roll, die Ambition und das Hingerotzte, das Entertainment und die Anstrengung, die große Geste und die alberne Pose. Wenn man seine Ballettmusik „Il Sogno“ hört, imaginiert man immer auch, dass das der gleiche Typ ist, der „Pump It Up“ geschrieben hat und umgekehrt. Das fein umarrangierte „Blame It On Cain“ ist am heutigen Abend ebenso Gram Parsons wie der X-beinige, Hochwasserhosen tragende, scharfzüngige New Wave-Elvis. Bei „Country Darkness“ hört man „King Of America“ ebenso heraus wie seine Arbeiten mit Burt Bacharach und den Brodskys. Diese Songs, in denen sich Costellos Talente in ihrer ganzen Größe und Vielfalt offenbaren, sind die erhabensten Momente des Abends in Berlin. Er kann spielen, was er will – es ist immer alles enthalten.
Die Imposters sind kongenial, wenn sie variabel und spielerisch zu Werke gehen. Das ist nicht mehr der Druck, mit dem die frühen Attractions ihr Gift den Leuten vor die Füße spritzten. Eher Roll als Rock. Sternstunden: das sich noch freier entfaltende „Button My Lip“, ein grandios improvisiertes „When I Was Cruel Vol. 2“, das in ein federndes „Watching The Detectives“ übergeht, und eine fast metaphysische Version von „I Want You“ zum Abschluss, die einem das Gefühl gibt, in zehn Minuten durch alle denkbaren Emotions- und Seinszustände geleitet worden zu sein. Für manche ist Costello (immer noch) der von Hass und Verachtung getriebene Paranoiker, für andere der Popmagier, der thinking man’s Hall & Oates oder der Crooner von „North“ und „Painted Front Memory“. Doch nur jeweils eine Seite dieses Schaffens wahrzunehmen, ist wie einen guten Whiskey auf Ex zu trinken. Ein Kratzen, eine kurze groteske Zuckung auf dem Gesicht, das war’s. Lässt man ihm aber Zeit zur Entfaltung seines gesamten Werks, wird man mit schillerndem Bouquet, vollem Geschmack und einem furiosen Abgang belohnt.