Der Der Teflon-Mann
Schon jetzt bewirbt und moderiert Günther Jauch fast alles, doch bald soll er auch noch Sabine Christiansen ersetzen
Es ist ja ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Stoff Teflon im Rahmen der amerikanischen Raumfahrtforschung entdeckt wurde. In Wahrheit ist Teflon eine rein deutsche Erfindung. Früh wurde der schützende Gleitbelag entdeckt. Allerdings wusste man lange nicht, was man mit ihm anfangen sollte, weshalb er dann irgendwann behelfsweise zur Beschichtung von Bratpfannen eingesetzt wurde. Seine wahre Bestimmung erreichte Teflon indes erst, als das deutsche Fernsehen die Marke Günther Jauch einführte und aus einem strubbeligen Nachwuchsmoderator eine gleitfähige Allzweckwaffe fertigte. Die bestreitet derzeit ungefähr die Hälfte aller Sendungen bei RTL, nimmt man nur einmal das persönliche Empfinden als Maßstab. Allerdings hat der Kölner Kommerzkanal nunmehr ein drohendes Leck im Quotenstrom zu vermelden, denn ab Herbst kommenden Jahres soll Jauch die Nachfolge von Sabine Christiansen antreten – als politischer ARD-Talker.
Wer jetzt schluckt, dem sei erklärt, dass dies zwar nicht sehr sinnvoll klingt, es nichtsdestotrotz zurückgeht auf den weit verbreiteten Irrtum, dass auch die sonntägliche Plauderrunde der nun abtretenden Gesprächsdomina eine Art Polittalk sei, selbst wenn regelmäßig lediglich eine Sendung lang nichts von Belang zur Sprache kam und immer die gleiche Frage unbeantwortet blieb: Ist Deutschland noch zu retten?
Lustigerweise wurde ja Sabine Christiansen keineswegs, wie man als naiver Beobachter wohl annehmen könnte, von einer Politik-Redaktion der ARD verantwortet, sondern von der Unterhaltungsabteilung. Ein Trick, der die Sendung frei halten sollte von allzu zahlreichen Vorschlägen der in der ARD leider reichlich vorhandenen und mit Tagesthemen-Kommentaren nicht gänzlich ausgelasteten Chefredakteure. Ein Trick, der die Sendung zudem erstaunlich nahe an die Realität brachte, denn schließlich lieferte Sabine Christiansen mehr Show als Talk.
Wer nun glaubt, das werde anders nach dem von keiner Seite betrauerten Abgang der Amtsinhaberin, der dürfte sich bald getäuscht sehen. Wenn Jauch moderiert, wird nichts wirklich anders sein, es wird nur anders aussehen. Solch eine Prognose ist zurückzuführen auf die Ausnahmestellung, die Jauch derzeit innehat. Er ist im deutschen Fernsehen, was Franz Beckenbauer im Sport darstellt. Er kann sagen, was er will – es wird gesendet. Es kommt ohnehin nicht auf den Inhalt an. Wichtig ist nur, dass er spricht, also irgendwie die Lippen bewegt.
Immer wieder mal gibt es Umfragen, die solch einen Status untermauern. In der einen wollen 90 Prozent aller Frauen unbedingt mal eine Nacht mit Günther durchquatschen, in anderen wären 110 Prozent mit einem Bundespräsidenten, der Günther Jauch hieße, nicht unzufrieden.
Günther Jauch ist ein perfektes Beispiel für die perfekte Kompatibilisierung eines humanen Zellhaufens. Jauch kann alles, Jauch darf alles, Jauch macht alles. In einer Woche produziert er in Köln drei Ausgaben von „Wer wird Millionär?“, quatscht sich locker durch einen Abend „Stern TV“ und leitet wie nebenbei seine Produktionsfirma mit dem schönen Kürzelnamen „I & U“, was für Information und Unterhaltung steht und am Fließband televisionäre Landplagen gebiert wie „Die ultimative Chart-Show“, „Hape trifft“, „Die 70er/80er/90er/DDR/Erste Hilfe-Show“, den Haustiertest oder den aufgeblasenen Vergleich „Typisch Frau/Mann“. Zusätzlich liefert Jauch den Sendern die Leistungen von Moderatoren wie Hape Kerkeling, Kai Pflaume und Oliver Geissen frei Haus. Man erkennt Jauch-Shows meist daran, dass er in den obligaten Einspielern oft selbst auftaucht und in gewohnt lausbubiger Art seinen Senf über das gerade aktuelle Thema streicht.
Zusätzlich wird es schwer, im deutschen Branchenbuch noch irgendeine Firma zu finden, für die Jauch noch nicht als Werbefigur posiert hat. Das Regenwaldbier, den harten Baustoff, den dem Kunden hundetreu ergebenen Versandhandel und eine Lotterie sind nur einige Beispiele aus Jauchs Reklame-Portfolio. Das allerdings wird er im kommenden Jahr wohl schmälern müssen, denn in der ARD erklingen die Stimmen immer lauter, die fordern, ein Mann, der sich am Sonntagabend als journalistischer Talker präsentiere, dürfe nicht gleichzeitig seine Glaubhaftigkeit gefährden durch Verträge mit just jener Industrie, die bei Gesprächen über die Zukunft Deutschlands nicht selten Thema sein dürfte. Dies ist eine Forderung, die sich stark dem annähert, was der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender für seinen Herrschaftsbereich forderte. „Ein Journalist wirbt nicht. Wer wirbt, ist kein Journalist“, hat er konstatiert und damit den im Haus gelegentlich auch mit journalistischen Themen hantierenden Wurstwerber Johannes B. Kerner in die Ecke geschickt.
Die Forderung nach Werbeabstinenz dürfte indes im Falle Jauch ins Leere laufen, denn der Mann kann Werbung machen, so viel er will – er dürfte deshalb kaum des Vertrauens der Zuschauer verlustig gehen, zumal ja immer wieder mal kolportiert wird, er lasse das Gros seiner Werbeerlöse wohltätigen Zwecken zukommen. Nicht nur deshalb gleiten an Jauch alle Vorwürfe ab.
Wie anders wäre sonst zu erklären, dass Jauch zu Beginn der Neunziger aus dem Skandal um den Fernsehfälscher Michael Born unbeschadet hervorging, obwohl er etliche der Beiträge zu verantworten hatte und vor Gericht zugab, er habe in seiner Zeit als Chefredakteur von „Stern TV“ keinen Schneideraum von innen gesehen? Wie anders wäre zu erklären, dass er die Nation mit den oben beschriebenen Shows verseuchen darf, ohne dass das Gesundheitsministerium oder wenigstens irgendein Kultursekretariat sich einzumischen wagen? Wie anders wäre zu erklären, dass jeder die Antwort auf die Frage „Wer wird Millionär?“ kennt, es aber niemand übel nimmt, dass die einzig mögliche Anwort „Jauch“ heißt? Das Magazin „TV Spielfilm“ schreibt ihm ein Honorar zu, das bei 87 000 Euro pro „Wer wird Millionär?“-Ausgabe liegt. So erklärt sich die Antwort, die Jauch gab, als er gefragt wurde, was er täte, wenn er eine Million zur Verfügung hätte. „Ich müsste mich arg einschränken.“