Der, den wir heute als Marilyn Manson kennen, hatte schon mehr als neun Leben. Karl Bruckmaier hat die schockierenden Fakten
Ozzy Osbourne, Johann Wolfgang von Goethe und Colonel Parker. Ich geh in eine Telefonzelle, zeichne einen Kreis auf den Boden, reiß mir die Kleider vom Leib, lass meine Brüste wachsen und den Hüftspeck verschwinden, fummle mir verschiedenfarbige Kontaktlinsen ins Auge und diene Satan, meinem Herrn. Lachhaft, wie lange meine Tarnung hielt – wer glaubt denn wirklich, daß man von ein bißchen Scheinselbständigkeit für Zeitung und Rundfunk leben kann. Und wer mir einmal ins verderbte Gesicht geblickt hat, dem muß aufgefallen sein, daß mein linkes Auge auch ohne Kontaktlinsen ein wenig kleiner scheint als das rechte. Also gut, ich gestehe, denn jetzt ist es eh wurscht: Ich bin Marilyn Manson, unfaßbar reich, unfaßbar pervers, unfaßbar böse, König der Körperfresser, Idol aller Dorftrottel.
So wie ich vor 200 Jahren halb Europa mit meinem „Werther“ in den Wahnsinn und manch Mägdelein auf zu hohe Kirchturmspitzen trieb, so sind es nun meine härenen „The God of Fuck“-T-Shirts, die Teenager zu Massenmördern werden lassen: merchandising kills!
Columbine Highschool, Littleton: Klebold und Harris hießen die Knallchargen, in deren Köpfen meine Saat heranreifte und in der Kombination mit Rammsteins Riefenstahl-Video und Führers Geburtstag die kritische Masse bildete, die es braucht, um 41 Menschen entweder zu töten oder zu verletzen, bevor man sich selbst die Frage beantwortet, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Millionen von CDs mußte ich ausstreuen, tausende Konzerte geben, hunderte Interviews, um schließlich zwei Kinderkiller als Werkzeuge zu haben, die es nicht mal schaffen, das Fluchtflugzeug über Manhattan abstürzen zu lassen: Das hatten wir uns einst einfacher und effektiver vorgestellt, als wir in der Hölle den Entschluß faßten, die Jugend der Welt mittels Popkultur zu verderben. Dabei war unser Engagement auf diesem Sektor eher aus der Not geboren. Fasziniert sahen und hörten wir, was die Kollegen aus der Fasschismus-Abteilung für endgeile Musik hören durften, die ganz erste Sahne, abends bei Eichmanns.
Und für uns blieb nur der Schund. Nicht, daß wir damit keinen Spaß gehabt hätten, von Johnny Ace, dem ersten löten des Rock’n’Roll, bis hin zu… Aber Eindruck schinden beim Chef geht halt anders.
Eine Weile erwogen wir Höllenhunde aus dem Pop-Department, unsere Hardware stärker auf ihr Verrohungspotential hin zu überprüfen: Schellacks zu Streitäxten, CDs, fein geschliffen, zu Wurfsternen, Tonbänder als Garrotten. Der Trend blieb aus.
Also verkauften wir Glück und Erfolg an finsteren Straßenkreuzungen und wollten Seelen dafür, doch es blieb meist bei Schnapsleichen, weil jene, die dumm genug sind, nachts auf offener Straße mit Gehörnten Geschäfte zu machen, einfach zu dumm sind, um es mit Glück und Erfolg auch nur auf die nächste Toilette zu schaffen.
So beschlossen wir, die Wahrheit zu sagen, weil die eh keiner glaubt, und ich wurde Ozzy. Und Mick. Und Jimi. Have some sympathy and some taste. Aber gegen deren Manager und Anwälte sind wir Anfänger, jahrmillionenalte Anfänger, Kompliment an die Kollegen mit den sauberen Hemdkrägen – sitzen täglich in feinen Lokalen, heiraten die schönsten Frauen, verschlechtern dabei die Welt mit jedem Atemzug, und vor dem Zubettgehen halten sie eine Rede auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung.
Ich bin Marilyn Manson. Ich muß aussehen wie Erbrochenes. Ich bin der Furunkel auf dem Hintern amerikanischer Teenager. Doch in meinen Träumen bin ich Charlton Heston, Siegertyp, Boß der National Rifle Association. Niemand vermutet auch nur im entferntesten, daß Menschen durch 200 Millionen Schußwaffen im Privatbesitz zu Tode kommen könnten. Saubere Arbeit, Omega Man! Nein, junge Menschen morden, weil sie Metal oder Goth hören: Klare Sache, wir brauchen eine Altersbegrenzung für Popkonzerte, Warn-Sticker auf CDs und die vorauseilende Selbstzensur der Industrie. Und wer bei sechs Celine-Dion-Gigs war, geb a pumpgun for free. Nur ich werde strafversetzt, nur mich trifft der Hölle Bosheit. Heute bin ich noch Marilyn Manson. – Morgen bin ich Karl Moik.