Der böse Onkel
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Filmema cher auf die Idee kommt, man könnte die Fans des Songschreibers Randy Newman dazu auffordern, vor einer Kamera ihre Bewunderung, ihre Leidenschaft und Treue zu bekennen, um daraus ein Mosaik weltweiter Dankbarkeit zu erstellen. Aus den Einsendungen der Fans von Bruce Springsteen wurde der Film „Springsteen & I“ – es wird viel geweint, die Anhänger sprechen in Zungen, manche Elogen sind in mehrere Abschnitte unterteilt, und es sprechen überproportional viele Dänen. Der Springsteen-Fan kommt in Scharen vor und belagert an Konzerttagen bereits vormittags das Stadion, ein paar Hundert Getreue folgen ihm bei der gesamten Europa-Tournee. Der jüngste ist vielleicht acht Jahre alt, wird einmal auf die Bühne gereicht und stibitzt anschließend Springsteens Gitarre.
Bei Konzerten von Randy Newman ist der jüngste Zuhörer etwa 25 und wahrscheinlich Student, die meisten sind über 40 und Veteranen. Der Drehbuchautor Horst Königstein saß jahrelang in den vorderen Reihen der Hamburger Musikhalle und meldete sich spätestens bei den Zugaben mit einem kennerhaften Wunsch („A Wedding In Cherokee County!“). Er hatte den Song „Baltimore“ für Udo Lindenberg ins Deutsche übersetzt. Zwar kannte ich Königstein nur von Randy-Newman-Konzerten, aber ich war traurig, als ich von seinem Tod erfuhr.
Man muss bei Newman kein Plakat hochhalten – er spielt seine Lieder auf einem Flügel, weshalb man praktisch mit dem Künstler sprechen kann, der zwar kurzsichtig ist, aber sehr gut hört. Einmal wollte ich „Pants“ fordern, ein Stück, in dem der Sänger ankündigt, er werde sich eines Tages auf offener Straße seiner Hosen entledigen („And your priests can’t stop me/And your firemen can’t stop me/ And the President can’t stop me „), aber da drehte Newman schon wie ein Brummkreisel seine Ehrenrunde. Er spielt „Pants“ nicht, weil es dafür eine große Orgel braucht. Selten ist Randy Newman mit einem Orchester aufgetreten – mit Band nur, wenn sie anderen gehörte. „Wenn man meine Musik bei einer Party auflegt“, sagte er vor Jahrzehnten selbstkritisch, „ist es so, als würde man den Staubsauger einschalten.“ Im Jahr 1969 geriet er durch ein Missverständnis auf den Soundtrack von Nicolas Roegs Film „Performance“, in dem er bei „Gone Dead Train“ neben Mick Jagger und Ry Cooder das Piano spielte. Das war Newmans Rock-Moment. „There’s A Party At My House“ (1983) ist eher die Fortsetzung seines sprichwörtlichen Songs „Mama Told Me Not To Come“, 1970 ein richtiger Hit für Three Dog Night.
In dem Song „My Life Is Good“ spielt Bruce Springsteen eine Hauptrolle. Der Erzähler berichtet aufgeregt von den Vorzügen seines Lebens und wird dann andächtig. „Just this morning/My wife and I/Went to a hotel in the hills/The Bel-Air hotel, that’s right/Where a very good friend of ours happens to be staying/ And the name of this young man is Mr. Bruuuuce Springsteeeen! We talked about some kind of woodblock or something/And this new guitar we like/And you know what he said to me/I’ll tell you what he said to me/ He said ,Rand, I’m tired/How would you like to be the boss for awhile?‘ Well, yeah/Blow, big man, blow!“
Randall Stuart Newman wird am 28. November 1942 in Los Angeles geboren. Vater Irving George Newman ist ein Internist jüdischer Abstammung, die Mutter Adele deutscher Herkunft. Weil Irving in Nordafrika und Sizilien gegen deutsche Truppen kämpft, zieht die Familie zu Verwandten nach New Orleans. Als der Vater heimkehrt, wird in der Stadt der Sieg gefeiert, doch die Newmans gehen nach Los Angeles zurück. Bis er elf ist, verbringt Randy die Sommer im Big Easy, gewöhnt sich den Southern drawl an und merkt sich so allerlei, was am Süden auffällig ist. Trotz seiner schlechten Augen (siehe „Four Eyes“) spielt der Junge gern Baseball (siehe die Plattenrückseite von „Land Of Dreams“) – vor allem aber spielt er sehr gut Piano. Drei Onkel sind als Komponisten im Filmgeschäft tätig; Alfred Newman leitet sogar die musikalische Abteilung von MGM, was bedeutet, dass er jährlich 40 Filme überwacht.
Mit 18 studiert Randy an der University Of California und hat schon erste Songs geschrieben. Er arbeitet als Auftragskomponist bei Metric Records an der Vine Street, wird für kurze Zeit Mitglied bei The Tikis, die sich dann Harpers Bizarre nennen und 1967 Newmans „Happyland“ aufnehmen. Seine eigene Single „Golden Gridiron Boy“ geht unter, doch 1962 singen The Fleetwoods sein „They Tell Me It’s Summer“. Bis 1968 gibt er mindestens 50 Songs weg: Gene Pitney bringt „Nobody Needs Your Love“, die O’Jays singen 1966 „Friday Night“, Scott Walker schmalzt 1965 „I Don’t Want To Hear It Anymore“, Alan Price nimmt 1967 in England gleich sieben Newman-Stücke auf.
Mit seiner dünnen Stimme, den gelähmten Augenlidern und den Buchhalter-Anzügen hätte ihm wohl kein Label ein Album finanziert – doch Randys Schulfreund Lenny Waronker wird Produzent bei Warner Bros. und ermöglicht ihm und Van Dyke Parks die ersten Platten. Parks, der mit Brian Wilson an „Smile!“ gearbeitet hat, produziert „Randy Newman“. Weil der forsche Leiter der Werbeabteilung „creates something new under the sun“ auf die Rückseite des Covers drucken lässt, wird der Slogan als Plattentitel missverstanden – doch das Album findet sowieso keine Käufer. „I Think It’s Going To Rain Today“ wird später von Judy Collins, Neil Diamond, Peter Gabriel und zahllosen anderen aufgenommen – das bittere Lied mit dem Spott „Human kindness is overflowing“ muss in der Hippie-Zeit bizarr wirken. Die Songs handeln von der Schimäre der Liebe („Love Story“), der Einsamkeit eines Vaters („So Long Dad“), von Gott („I Think He’s Hiding“), der Dämmerung eines Revolverhelden („Cowboy“), den Sorgen eines Kleinstaates („The Beehive State“) und der Demütigung eines Kindes („Davy The Fat Boy“). Newman arrangiert das Orchester mit der Sensibilität eines Mikrobiologen. Es hilft nichts: Exemplare des Albums werden verschenkt.
„12 Songs“ nimmt Newman 1970 mit dem jungen Gitarristen Ry Cooder auf – statt Mahler, Tschaikowsky und Schubert belehnt er den Blues des Südens in einer unheimlichen Umdeutung zum sexuellen Stimulans: In „Let’s Burn Down The Cornfield“ will ein Paar dem Liebesakt feurigen Kitzel verleihen, „Suzanne“,“Lucinda“ und „Rosemary“ werden obsessiv, mit unterdrückter Aggression gesungen: „I saw your name, baby/In a telephone booth“, flüstert der Verführer in „Suzanne“.“Don’t try and run away from me, little girl/Wherever you go I’ll find you.“ In „Lover’s Prayer“ wünscht sich der Erzähler: „Don’t send me no young girl to love me/ With their eyes shinin‘ bright/All the young girls are afraid of me/Send me a woman tonight.“ Verkäufe: ein paar Tausend.
Allerdings sind Newmans Konzerte ordentlich besucht, weshalb im Bitter End in New York ein Konzert mitgeschnitten und 1971 als „Live“ veröffentlicht wird. Der sardonische Autor spielt einige Songs von den Alben und einige, die er erst später vollständig arrangiert. Das letzte Stück ist „Lonely At The Top“, das er zuvor Frank Sinatra angeboten hatte. „Ich bereitete im Studio alles vor. Er kam herein, warf einen Blick auf die Partitur und tat so, als könnte er Noten lesen. Dann spielte ich den Song auf dem Piano, aber er lehnte ihn ab. Schade – ich dachte, dass er gut zu ihm passte.“ Sinatra wollte sich gerade neu orientieren und nicht hören, dass er den Gipfel überschritten hatte und all der Applaus ohnehin schal sei.
Auf „Sail Away“ erscheinen 1972 Newmans bisher böseste Lieder. In „He Gives Us All His Love“ spottet ein Erzähler über den Gottesglauben, und in „God’s Song (That’s Why I Love Mankind)“ singt der müde Schöpfer selbst von der Blindheit und dem vergeblichen Mühen der Menschen. „Political Science“ erzählt von der Hybris der USA: „They all hate us anyhow/ So let’s drop the big one now“. Und in „Sail Away“ lockt der Sklavenhändler den schwarzen Jungen an Bord des Seelenverkäufers: „In America every man is free/To take care of his home and his family/You‘ ll be as happy as a monkey in a monkey tree.“ Den Schrecken der Intimität behandelt „Last Night I Had A Dream“:“I saw a werewolf, I saw a ghost/Everyone scared me, but you scared me the most.“ Das Stück „You Can Leave Your Hat On“ kommt erst 14 Jahre später zu Popularität, als Joe Cocker es zu Kim Basingers Strip in dem Kitsch-Film „9 1/2 Wochen“ belfert. Newman witzelt später, er selbst hätte es in Dur singen sollen. Der Begriff „little wog“ für den schwarzen Jungen in „Sail Away“ brachte Newman erstmals Ärger mit der Anti-Diskriminierungsliga ein -übrigens auf ganz ähnliche Weise wie dem Literaturprofessor Coleman Silk in Philip Roths Roman „Der menschliche Makel“, der zwei schwarze Studenten als „dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen“ bezeichnet und daraufhin entlassen wird.
Doch der Protest gegen Newmans Rollenprosa ist nichts gegen die Entrüstung, die „Good Old Boys“ (1974) provoziert. In dem Stück „Rednecks“ lobt der Erzähler den rassistischen Politiker Lester Maddox: „He may be a fool but he’s our fool/And if they think they ‚re better than him they ‚re wrong.“ Dann singt der bornierte Haufen: „We’re rednecks, we’re rednecks/We don’t know our ass from a hole in the ground/And we’re keepin‘ the niggers down.“ Der Reigen über die Südstaaten beginnt mit brutaler Schärfe („Birmingham, Birmingham/The meanest dog in Alabam'“), beklagt dann in „Louisiana 1927“ die staatliche Untätigkeit („They try to wash us away“), besingt den legendär korrupten und überaus beliebten Senator von Louisiana, Huey P. Long, und mündet in Liedern über Alkoholismus, Inzest, die Insassen eines Irrenhauses und einen Abstinenzler, der nie wieder einen Tropfen trinken will. „Good Old Boys“ nimmt also die Geschichte von George W. Bush vorweg – und ist das Lieblingsalbum von David Byrne, der 1986 seinen Film „True Stories“ nach diesen Vignetten schrieb. Randy Newman verwendet nur manchmal noch Orchester-Arrangements und beschäftigt die Session-Musiker Jim Keltner, Willie Weeks und Waddy Wachtel, die Eagles singen im Background-Chor.
So auch bei Newmans erfolgreichstem Song, „Short People“, einer grell ironischen Farce, in deren kitschigem Chorgesang („Short people are just the same as you and I/All people are brothers until the day they die“) die Lügen konterkariert werden. Wieder muss die Anti-Diskriminierungsliga eingreifen, doch es ist zu spät: „Short People“ hat 1977 bereits den zweiten Platz der amerikanischen Singles-Charts erreicht. Auf dem Münchner Oktoberfest, das nur nebenbei, gab es bis in die 20er-Jahre eine Stadt für Zwerge, die über ein eigenes Postamt verfügte. „Short People“ erscheint auf „Little Criminals“, einem Album, bei dem Joe Walsh und Ry Cooder die Gitarren spielen und Newman erstmals die Synthesizer von Michael Boddicker einsetzt. Neben dem sentimentalen „I’ll Be Home“ – einem Song von 1970, den man heute in Harry Nilssons Version durch eine Vodafone-Werbung kennt – und der albernen Country-Parodie „Rider In The Rain“ enthält die Platte nur Meisterstücke: das verrätselte „Sigmund Freud’s Impersonation Of Albert Einstein in America“ („And may all your Christmases be white“) mit pseudobajuwarischem Bläser-Arrangement, „Jolly Coppers On Parade“, die wunderbare Beschreibung einer Polizeiparade durch die Augen eines Jungen, und „In Germany Before The War“, das Stück über den Kindesmörder Peter Kürten, 1925 in Düsseldorf, und „Texas Girl At The Funeral Of Her Father“ („Papa, we‘ ll go sailing“) mit ingeniösem Orchester-Arrangement.
Zwei Jahre später versteht in den USA niemand „Born Again“. Auf dem Cover sitzt Newman in einer düsteren Kanzlei am Schreibtisch, das Gesicht weiß angemalt, grüne Dollar-Zeichen über den Augen – eine Parodie auf die Maskerade der Band Kiss. „Das war ein Fehler“, so Newman später. „Es hätte nur funktioniert, wenn der Mann hinter der Maske bekannt gewesen wäre. Das Album hat in den USA so gut wie nichts verkauft. Aber es ist meine erfolgreichste Platte in Deutschland, 80.000 Exemplare. Und in Belgien lief sie auch gut!“
Newman hat die Satire noch ein wenig weiter getrieben und trifft die Amerikaner an der empfindlichsten Stelle: ihrer Gier. In „It’s Money That I Love“ schwadroniert der Ich-Erzähler: „They say that money can’t buy love in this world/But it‘ ll get you a half-pound of cocaine/And a sixteenyear-old girl.“ In „Half A Man“ berichtet er von einem Mann, der so gern Tänzer geworden wäre, aber viel zu groß ist; in „Pretty Boy“ geht es um einen Burschen, der von „Jersey City“ aus nach New York kommt:“Talk tough to me, pretty boy/Tell us all about the mean streets of home.“ In „The Story Of A Rock And Roll Band“ macht er sich auch musikalisch lustig über das Electric Light Orchestra („They were six fine English boys/ Who knew each other in Birmingham/They bought a drum and a guitar/Started a rock and roll band“). In zehn Zeilen erzählt Newman vom Schicksal eines alt gewordenen Fliegers im Zweiten Weltkrieg, der sich seiner Einsamkeit schämt:“Ghosts“. Und nicht mehr Platz benötigt er für das Lied über einen Tabakfarmer, der von North Carolina nach Omaha, Nebraska zieht und nichts vermisst: „William Brown“. Und man kann – heute mehr denn je! – lachen über „Spies“, Newmans Analyse der Gefährdung durch Spionage: „Big fat russian/Looks like a buffalo/Everywhere you see ‚em/They even got ‚em in Chicago.“
Im Jahr 1981 schreibt Newman die Musik für Milos Formans Film „Ragtime“ – angesichts seiner Prägung als Klavierspieler eine kongeniale Wahl. Es ist der letzte Auftritt von James Cagney, aber die Kritiker mögen den Film nicht. Immerhin bekommt der Komponist eine Oscar-Nominierung. Fortan schreibt er Scores für Barry Levinson, Ron Howard und Jay Roach; 1986 arbeitet er mit Steve Martin und Lorne Michaels an den Songs und sogar am Drehbuch von „Three Amigos“. Dann übernimmt er die Musik für die Pixar-Filme: „Toy Story“,“A Bug’s Life“,“Monsters, Inc.“ bringen ihm weitere Nominierungen ein. Nach 20 Jahren und 15 Versuchen erhält er die Trophäe schließlich 2002 für den läppischen Song „If I Didn’t Have You“ und beginnt seine Rede mit einem Dank an Milos Forman. 2011 wird er wiederum für den „Besten Song“ ausgezeichnet,“We Belong Together“.“Wenn ich ein Herz hätte, wäre ich jetzt ergriffen“, knödelt Newman in seiner putzigen Art, sichtlich aufgeregt. Nicht einmal seine Onkel wurden so oft für den Academy Award nominiert; sein Cousin Thomas Newman ist auf einem guten Weg.
Je mehr Newman sich den Soundtracks widmet, desto seltener erscheint ein neues Album. „Trouble In Paradise“(1983) enthält ein Duett mit dem Label-Kollegen Paul Simon, „The Blues“, das dennoch kein Hit wird, und die üblichen Westcoast-Musiker (diesmal Toto, Lindsey Buckingham und Stephen Bishop).“Christmas In Capetown“ beschreibt unvergesslich die Apartheid in Südafrika, „Song For The Dead“ kommentiert Krieg und Vaterland, und die enervierende Stammtisch-Suada „Mikey’s“ ist eine treffende Parodie auf das Früherwar-alles-besser-Geschwätz. Das ambivalente „I Love L. A.“ und „Miami“, das Newman selbst für eines seiner besten Lieder hält, setzen die Stadtansichten fort.
In den nächsten Jahren ist Newman von einer eigenartigen Apathie befallen, die schwer diagnostizierbar ist. Er wird leicht müde, kann sich nicht konzentrieren, sitzt am Pool, schaut Fernsehen. Früher las er zum Spaß „Ulysses“ und „Faust“, jetzt gelingt ihm kein Lied mehr. Erst 1988 erscheint wieder eine Platte, „Land Of Dreams“, deren erste Songs überraschend autobiografisch sind: „Dixie Flyer“,“New Orleans Won The War“ und „Four Eyes“ schildern Randys Kindheit. Ausgerechnet Jeff Lynne produziert einige Songs, andere betreut Mark Knopfler, der auch Gitarre spielt. Newman wiederholt sich erstmals mit „It’s Money That Matters“, und die HipHop-Travestie „The Masterman And Baby J“ gerät peinlich.
Das Musical „Faust“ (1995) ist eine zeitgenössische Adaption und von abgründiger Albernheit; Don Henley, Elton John, Bonnie Raitt, Linda Ronstadt und James Taylor singen den Teufelspakt im Südstaaten-Modus: Faust ist ein Jugendlicher mit Basecap, und Newman selbst spielt natürlich Gott. Irgendwo wird der Schwank einmal aufgeführt. Newman geht wieder regelmäßig auf Tournee; für „Bad Love“(1999) unterschreibt er beim DreamWorks-Label und lässt Mitchell Froom produzieren. Die Platte wird ebenso begeistert aufgenommen wie „Harps And Angels“(2008), obwohl die Songs oft selbstironische Witzeleien über das Altern sind („I’m Dead“,“Shame“) und längliche Einlassungen zur Lage des Landes („A Few Words In Defense Of Our Country“): „Each record that I make is like a record that I’ve made – just not as good“, singt Randy in Vorwärtsverteidigung. Manche Stücke auf den Alben sind 15 Jahre alt. Er gibt zu, dass es ihm immer schwerer fällt, ein Lied zu schreiben. Zwei „Songbooks“ mit Klavierfassungen seiner alten Songs füllen die Lücken; es erscheint eine Live-DVD von einem Konzert in London mit Orchester und Newmans bestens erprobtem Programm nebst Sottisen und Kalauern.
Noch immer lebt Randy Newman in Pacific Palisades mit seiner zweiten Frau Gretchen und zwei Kindern. Von seiner ersten Ehefrau Roswitha ist er seit 1985 getrennt, er schrieb ihr aber mit „I Miss You“ ein öffentliches Liebeslied: Sie müsse sich „up there in Idaho“ kranklachen, heißt es darin.
In dem Song „Potholes“ beschreibt Newman, wie immer mehr Dinge aus seiner Erinnerung verschwinden. „Kürzlich war ich beim Arzt, und er gratulierte gerade einem Mann zum 75. Geburtstag. Der sagte: ,Danke, Doc. Ich habe meinen Schwanz überlebt.‘ Und das hat vielleicht auch sein Gutes: Man hat dieses Ding nicht mehr in seinem Leben, das einen dazu treibt, alle möglichen verrückten Sachen zu machen. Man wird vollkommen harmlos.“
Randy Newman trägt jedenfalls noch immer diese farbenfrohen Hawaiihemden.
Randyology
Vier Originale und zwei Adaptionen
Sail Away (1972)
Vielleicht Newmans beste Song-Sammlung: ein Potpourri seiner Lieblingstopoi Amerika, Liebe, Gott und Tod. Amerika ist vertreten mit dem gemütlichen Nachmittag in „Dayton, Ohio – 1903“ und dem brennenden Ohio River in „Burn On“; die Liebe in allen möglicherweise seltsamen Formen mit „You Can Leave Your Hat On“ und „Last Night I Had A Dream“; Gott singt selbst in „God’s Song (That’s Why I Love Mankind)“; und der Tod erhebt sein garstiges Haupt in „Old Man“: Der Sohn steht am Sterbebett des Vaters und erinnert ihn daran, dass er all die Lügen der Religionen nicht glauben sollte.
Little Criminals (1977)
Ein Songwriter- und ein Rock-Album, ebenso eingängig wie subtil: „In Germany Before The War“,“Texas Girl At The Funeral Of Her Father“, „Jolly Coppers On Parade“ und „Sigmund Freud’s Impersonation Of Albert Einstein In America“ gehören zu Newmans besten Songs; das von Steve Winwoods „Gimme Some Lovin'“ ausgeliehene „Little Criminals“ sowie „You Can’t Fool The Fat Man“,“Kathleen (Catholicsm Made Easier)“ und „Short People“ zu seinen komischsten. Die Stadtväter von „Baltimore“ fragten sich, was sie bloß falsch gemacht hatten.
Born Again (1979)
In jedem Stück hat Newman eine Gemeinheit verborgen: Das Paar in „They Just Got Married“ ist glücklich verliebt, sie geht zu einem „regular check-up“ und erfährt die Diagnose -und nach einem munteren Zwischenspiel geht die Geschichte mit „Anyway, she dies“ weiter. „The Girls In My Life, Part I“,“Spies“ und „Pants“ sind von sardonischem Humor, „Mr. Sheep“ und „Pretty Boy“ messerscharfe Porträts von Verlierern, und „It’s Money That I Love“ ist einer der ganz seltenen Songs der Rockmusik, die Egozentrik und Habgier thematisieren. Randy Newmans grausamste Platte.
Trouble In Paradise (1983)
Randy als Hai im Mainstream-Teich: Mit „I Love L. A.“ gibt er ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen den jovialen Stadtführer, erfüllt die Aufgabe aber allzu gründlich; „Same Girl“ ist eines seiner berührendsten, wenn auch gebrochenen Liebeslieder. „Christmas In Capetown“ ist der luzideste Song über Rassismus – er beschreibt die morgendliche Warteschlange der Schwarzen, ihre Eimer „with a picture of ‚Star Wars‘ on the side -this time you could feel it“, die Atmosphäre der Bedrohung. „My Life Is Good“ ist eine furiose (fiktive) Selbstverteidigung mit falschem Zungenschlag.
Mathilde Santing: Texas Girl & Pretty Boy (1993)
Die große holländische Sängerin, am ehesten bekannt durch das Album „Water Under The Bridge“, nahm 1993 ein Album mit 14 Songs von Randy Newman auf. Ihre Deutungen -vor allem mit Piano, Kontrabass und Streichern gespielt -rücken einige Stücke in die Nähe des Jazz, andere in die Gefilde des Chansons. Mit ihrer extrem hohen Stimme gibt Mathilde Santing „Same Girl“,“Tickle Me“,“Living Without You“,“Texas Girl“ und dem ewigen Publikumsfavoriten „Marie“ einen beinahe grellen Anstrich; ihr „Simon Smith And His Amazing Dancing Bear“ ist reines Vaudeville.
American Dreams: Ursli Pfister singt Newman (2008)
Der kongenialste Interpret der Lieder von Randy Newman ist Ursli Pfister. Die Geschwister Pfister sind ohnehin Meister der Anverwandlung, aber dem Sänger gelingt es zu den wunderbaren Arrangements von Johannes Roloff, Newmans Blues-Nuschelei durch zackige Überbetonung und unamerikanische Deutlichkeit beizukommen. Mit „The Debutante’s Ball“ und „Caroline“ sind zwei frühe Stücke enthalten. „I’ll Be Home“ und „Marie“ fehlen nicht, aber Pfister singt auch „Old Man On The Farm“,“So Long, Dad“, „I Think He’s Hiding“,“Rednecks“ und „Guilty“ in liebevoll neu erfundenen Kulissen.