Der Blues des blassen Jungen

Schwarze Musik, Psychedelia, Fluxus - Beck experimentiert wie in besten Zeiten, ohne dabei die großen Emotionen seines letzten Albums zu vernachlässigen

Limousinen-Stau vorm „Mondrian“. Wohin mit den ganzen Turbo-Cabrios und dunkel getönten Edelkarossen? Die in schneeweiße Overalls gehüllten Hotelangestellten, die hier für das Parken zuständig sind, kratzen sich ratlos und überfordert am Kopf. Etwas Wichtiges scheint vorzugehen in dem eleganten Hotel am Sunset Boulevard. Das erkennt man schon an den drei dunklen Hünen, die sich vor dem Eingang aufgestellt haben. Gehüllt in edle italienische Mäntel, mustern sie jeden Neuankömmling wie einen alten persönlichen Feind. Und es gibt viele Neuankömmlinge an diesem Tag, denn die Firma Interscope hat zum Interview-Marathon geladen. Früher war so ein Interview ein geradezu intimes Treffen zwischen Journalist und Künstler: diskretes Hotel, verschwiegenes Personal und das Gefühl, soeben eine Privat-Audienz erhalten zu haben. Davon ist an diesem sonnigen Dezembernachmittag wenig zu spüren. Wie auch, wenn in jeder zweiten Suite Musiker über ihr neues Meisterwerk reden möchten. In aller gebotenen Kürze, versteht sich. Die grimmigen Leibwächter vor dem Eingang gehören zu Snoop Dogg. Und ausgerechnet der kam heute morgen eine komplette Stunde zu früh. Fast schon ein Fauxpas für einen Rapper, dessen Entspanntheit elegant in Gleichgültigkeit übergeht. Es heißt, Snoop habe sich auf den Schreck erst mal eine dicke Tüte angezündet und danach ein kleines Nickerchen gemacht Die üblichen Verspätungen konnten auf diese Weise problemlos wiederhergestellt werden.

Aber was macht ein so netter Junge wie Beck in der protzig dekadenten Kulisse dieses Popstar-Auftriebs? Hat er nicht auf dem letzten Album „Sea Orange“ so wunderbar zart und verwundet über das Ende seiner neunjährigen Liebe zu Leight Limon gesungen, dass der amerikanische ROLLING STO-NE nicht umhin kam, das Werk in einer fünf-Sterne-Review mit Dylans „Blood On The Tracks“zu vergleichen? Hängt unser Mann nun am Haken Hollywoods? Ist es etwa seine Stretch-Limousine, die die Hoteleinfahrt blockierte?

„Beck ist bereits im Haus“, verrät eine Promoterin mit Verschwörermiene in der Lobby. Immerhin. Vor zwei Stunden bekam ein Teil der Journalisten zum ersten Mal das neue Album vorgespielt. „Guero“, das Werk, das nach etlichen Verschiebungen nun Ende März erscheinen soll, ist eine gelungene Kombination altbewährter Erfolgsrezepte: die satten Beats und raffinierten Arrangements von „Odelay“ und „Midnite Vultures“ die Dust Brothers saßen wieder einmal hinterm Mischpult – plus das Songwriting und die Emotionalität von „Sea Change“. Als Bonus gibt es noch eine Extraportion Blues, für den unser Freund schon immer eine Menge übrig hatte. Die Mischung funktioniert prächtig: Bereits auf dem Opener „E-Pro“ lässt Beck die Gitarre so gewaltig krachen, als wolle er alle Fabelwesen der Rock’n’Roll-Mythologie auf einmal austreiben: „See me kickin‘ the door with my boots/ Broke down out in a ditch of old rubbish/ Snakes and bones in die back of your room/ Handing out a confection of venom“. Der Refrain dieses energisch vorwärtsdrängenden Stücks ist dabei so süß und melodisch wie ein Stück Phil-Spector-Torte aus den Sixties.

Auch der Rest des Albums lägst sich hören: Der Bass auf „Go It Alone“ wird von Jack White gespielt, der den satt rollenden Song auch mitgeschrieben hat. Das poppige „Girl“ erinnert ein wenig an die komplexen Gesangsharmonien der Beach Boys. „Scarecrow“ ist die Sorte Blues, die auch auf den Tanzflächen der Clubs funktioniert. Und „Nazarene“, der rätselhafte letzte Song des Albums, führt mit Bottleneck-Guitar, rhythmisch klirrenden Ketten und einem mystisch religiösen Text scheinbar direkt ins Jenseits.

Fast könnte man sagen, mit dem bluesinfizierten „Guero“ kehrt Beck wieder zu dem Punkt zurück, an dem er 1994 mit „One Foot In The Grave“ startete: Musik, als hätte man Woody Guthrie und Blind Willie McTell zusammen in einen Schuhkarton gesperrt. Das fast zeitgleich erschienene Major-Debüt „Mellow Gold“ war deutlich weniger intensiv, wenn auch vielseitiger und unterhaltsamer.

Stylistinnen, ÄÄnderungsschneiderinnen und persönliche Managerinnen wuseln hektisch vor einer riesigen Fensterfront, die einen großartigen Blick auf Los Angeles ermöglicht Inmitten des Getümmels steht etwas hilflos Beck Hansen. Der 34-jährige Dorian Gray des Freestyle-Pop, hat sich seit den Tagen von „Loser“ äußerlich kaum verändert: Ein kleiner blasser Junge mit rosigen Wangen blickt leicht irritiert, aber neugierig aus großen blauen Augen. Das perfekt sitzende Nadelstreifenjackett, die dunkelblauen Designerjeans und das helle Hemd sehen aus, als habe Hedi Slimane ihm das Outfit persönlich auf den Leib geschneidert „Guero“ bedeutet „weißer Junge“. „Hey Guero! Das haben sie mir früher oft quer über die Straße hinweg zugebrüllt“, sagt Beck und wirkt dabei leicht abwesend. „Ich war so ziemlich das einzige weiße Kind unter lauter Schwarzen und Latinos.“

Ich hatte beim ersten Hören das Gefühl, dass es eine Verbindung zwischen den Stücken gibt: Zum Beispiel tauchen gleich in drei Songs Münzen auf, die in Brunnen oder Eimer geworfen werden. Ist das Zufall oder Konzept?

Coins haben etwas Altmodisches, das ist ein Blues-Ding. Viele Leute benutzen sie, um sich Glück zu wünschen. Dann werfen sie sie in einen Brunnen. Man benutzt Münzen, um zu telefonieren, um jemanden anzurufen, der weit entfernt wohnt Man braucht Münzen, um sich ein Päckchen Zigaretten am Automaten zu kaufen.

Schön, aber ist das als Metapher gemeint?

Vielleicht, ja. Es ist ein kleines Stück von uns, das kleinste Stück. Wir verlieren unsere Münzen eine nach der anderen, das ist so wie die Tage vergehen. Man wird älter, und ganz schnell ist man sein ganzes Leben los.

„Guero“klingt, als hättest du versucht, das Beste aus „Midnite Vultures“und „Sea Change“ zusammenzubringen…

Naja, das Album ist zumindest eine Hochzeit zwischen Experimentierfreude und emotionalem Songwriting. Als ich angefangen habe, wollte ich vor allem Beats und Energie. Es sollten Hip-Hop-Songs werden. Doch der Humor und die lustigen Teile sollten den Emotionen nichts Billiges geben. Andererseits sollte das Ganze auch nicht zu schwer und zu bedeutungsvoll werden.

Neben einer Vielzahl von Blues-Einflüssen hat „Guero“auch einen dezent psychedelischen Touch. Woher kommt das?

Über so etwas denke ich nicht bewusst nach. Psychedelia repräsentiert eine Epoche der Musikgeschichte, in der Popmusiker sehr viel experimentiert haben. Viele bezogen sich damals auf John Cage, Musique Concrete, Jazz und andere Elemente, die in der damaligen Popmusik nicht üblich waren. Ich schreibe nur ein paar Popsongs, und die Einflüsse dazu kommen aus verschiedenen Ecken. Das kannst du von mir aus Psychedelia nennen. Ich mag die Dub Music der frühen Siebziger allerdings genauso gern— Weil sie, wie du selber auch, Rhythmus und Sound auf unkonventionelle Weise verbindet?

Ja, genau. Da sind viele echoey, trippy Sounds in der Musik. Wenn ich einen HipHop-Song mache – oder einen Bossa-Nova-Song -, nehme ich die Sounds von Lee Perry oder King Tubby, und das Ergebnis klingt dann möglicherweise psychedelisch.

Das Spinett auf „Rental Car“ klingt allerdings eher nach „Sergeant Pepper“ als nach Dub-Reggae…

Spinett – das ist so ein großartiger Sound. Die Leute verschätzen sich gewaltig, wenn sie glauben, diese Klänge seien retro. Ein Spinett ist für mich der Sound von Mozart oder Bach. Es gibt eigentlich nichts Zeitloseres als diesen Klang. Das zeigt doch nur, wie oberflächlich unsere Einschätzung der 60er Jahre ist Das ist ein Fehler. Als ich „Odelay“ aufnahm, habe ich mit vielen großartigen Instrumenten herumgespielt, die von der Zeit vergessen wurden.

Okay – Beck hat offensichtlich keine große Lust, über sein Album zu reden. Zwischen jedem Satz gibt es eine lange zähe Pause. Man weiß nicht einmal, ob er nachdenkt oder schlicht wegdriftet.

In einem früheren Interview hat Beck erzählt, er sei es leid, immer wieder die gleichen Fragen zur Musik zu beantworten. Es wäre doch viel besser, eine ganz normale Unterhaltung zu führen, so wie man das im Alltag mit Freunden auch tut Gute Idee, das Problem ist nur: Beck beantwortet praktisch keine persönlichen Fragen – schon gar nicht die nach seiner Mitgliedschaft bei Scientology. Adam Green hat in der „taz“ davon berichtet: „Beck hat ziemlich penetrant versucht, mich für Gott zu interessieren. Ihm zuliebe war ich dann ein paar mal dort, bei Scientology. Aber das war nichts für mich, ich bin wohl nicht religiös genug.“ Meine vorsichtige Frage nach der christlichen Symbolik von „Nazarene“ kontert Beck mit einem fast unverständlich gemurmelten: „Blues und der liebe Gott sind schon lange ein Paar.“ Wir haben verstanden. Die persönliche Krise, von der „Sea Change“ vor zwei Jahren so eindrucksvoll berichtete, ist überstanden: Nach einem kleinen Techtelmechtel mit der unter Popmusikern sehr beliebten Winona Ryder hat Beck am 4. April 2004 die Schauspielerin Marissa Ribisi geheiratet, im Herbst kam der gemeinsame Sohn zur Welt Die ohnehin knapp bemessene Interview-Zeit läuft unerbittlich weiter. Ich versuche einen Trick und frage den etwas maulfaulen Künstler nach seinem Vater David Campell, einem Musiker und Arrangeur, der unter anderen für James Taylor, Aerosmith und Green Day gearbeitet hat Auch „Sea Change“ wurde von dem bekennenden Scientologen arrangiert Bei dem Song „Missing“ hast du wieder mit deinem Vater zusammengearbeitet. Was ist das für ein Gefühl – im Studio mit Daddy?

Wenn dein Vater Autos repariert, würdest du deinen Wagen doch auch in seine Werkstatt fahren. Für mich ist das sehr angenehm. Ich komme zu ihm, wir sitzen ein wenig zusammen, dann skizziere ich ein paar Sachen oder singe eine Melodie, wie ich sie mir vorstelle.

Mein Vater war 22, als ich zur Welt kam, wir hatten deshalb nie einen Generationenkonflikt Mein Sohn dagegen ist wesentlich jünger als ich, wenn er 20 sein wird, bin ich in meinen 50ern. Naja, mal sehen, ich bin dann vermutlich an kränkeren Sachen interessiert als er (lacht). Ich komme aus einer Familie von Künstlern, die ihr Interesse an Musik und Kunst nicht so schnell verlieren und offen bleiben, auch wenn sie älter werden. Mein Großvater hat sogar HipHop gehört.

Becks Großvater Al Hansen war ein ziemlich legendärer Typ. Der 1995 verstorbene Mitbegründer der Fluxus-Bewegung war dafür bekannt, gerne mal ein Piano vom Dach eines Wohnhauses zu werfen. Der alte Hansen, den selbst John Cage und Andy Warhol als wichtigen Neuerer bewunderten, nannte diese Performance „Yoko Ono Piano Drop“ – nach seiner ähnlich gesinnten Freundin. Auch seine Collagen genießen in der Kunstwelt einen hohen Stellenwert Ende der 70er war der umtriebige Künstler sogar der Manager der L.A.-Punk-Band The Controllers. Beck – der eigentlich Bek David Campbell heißt – änderte seinen Namen nicht zuletzt aus Verehrung für diesen Teufelskerl. Posthum gab es vor einigen Jahten auch die gemeinsame Ausstellung „Beck & Al Hansen: Playing with Matches“. Als die Schau 2000 erstmalig in Europa gastierte, kletterten Beck und sein Bruder Channing sogar auf die Zinnen von Schloss Moyland am Niederrhein, um von dort in alter Tradition ein Piano hinunter zu stoßen. Nach getaner Arbeit ging die Familie Hansen dann schön Grünkohl essen, im „Restaurant Rosen“ in Rees.

Dein Großvater Al lebte in Köln. Hast du ihn dort besucht?

Ja, ich war ein paar Mal dort und bin oft recht lange geblieben, in den 80ern und dann Anfang der 90er noch mal. Ich schlief meist auf dem Boden, einmal habe ich auch monatelang im Esszimmer eines seiner Freunde übernachtet.

Hat er dich als Künstler beeinflusst?

Nicht in diesem Setz-dich-mal-hin-ich-zeig-dir-jetzt-wie-man-das-macht-Sinn. Dafür war er viel zu lässig und bequem. Er war eher der ultimative Hipster – jemand, der mit einem Kölsch in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand dasaß und Storys erzählte. Über den künstlerischen Schöpfungsprozess selbst hat er sich wenig Gedanken gemacht Es muss großartig sein, einen Großvater zu haben, der eher wie ein großer Freund ist…

Sein Einfluss auf mich lag wohl eher darin, ihn dabei zu beobachten, wie er sein Leben lebte. (Plötzlich wird Becks Stimme sehr weich, fast zärtlich) Er lebte in einem Dachboden über einem Fahrradgeschäft. Der Raum war kleiner als dieses Hotelzimmer hier. Überall lagen Zeitungen und Gerumpel, das er für Collagen und Bilder brauchte. Lauter große Tüten voller Zigarettenstummel. Er lebte allein für seine Kreativität. Dir hat er jeden Komfort, einfach alles geopfert Das hat mich sehr beeindruckt. Durch ihn habe ich verstanden, dass Glück nicht zwangsläufig etwas mit Erfolg zu tun hat Auch ich habe meine glücklichsten Momente bei etwas Schöpferischem erlebt – das ist, was wirklich zählt. Das ist ein schöner Referenzpunkt, auf den man sich beziehen kann, wenn man mal Abschied nimmt vom Musikgeschäft.

Denkst du an so etwas? Irgendwann ganz bestimmt. Im Musikgeschäft ist es doch inzwischen wie im Sport, oder an den Kinokassen: Es werden nur die Rekorde gezählt Das ist so unglaublich öde. Die coolsten Leute sind für mich die, die überhaupt keinen Wert darauf legen, cool zu sein. Die sind ganz sie selbst, bereit, auch noch den lächerlichsten Aspekt ihrer selbst zu zeigen. Leider gibt es davon nicht so viele— Kennst du das „Grey Album“.

Das von Danger Mouse, wo er das „White Album“ der Beatles mit Jay-Zs „Black Album“ mixt? Ja, dazu gibt es im Internet ein Video. Sieh dir das auf jeden Fall an, das ist Wahnsinn! Man sieht da altes Beatles-Material, und irgendwie haben sie es geschafft, Jay-Z da rein zu montieren. (http://www.boingboing.net, dann „search „für „grey album“) Ja, hab ich mal gesehen… Wo Ringo am Plattenspieler steht und deejayt?

Und John Lennon breakdanct. Legal ist das vermutlich nicht.

Das ist völlig illegal, klar. Aber ich glaube, in Zukunft wird es von solchen Sachen wesentlich mehr geben. All die Dinge, von denen wir glauben, sie seien heilig und unantastbar, werden total umgekrempelt und neu konfiguriert werden. Und wenn Aliens auf diesem Planeten landen und dieses Video sehen, würden sie es wissen: Ringo war ein DJ.

Danger Mouse sieht das, soweit ich weiß, als eine Art Kunstaktion gegen das Copyright.

Ja, das ist die Richtung, in die das gehen muss. Es ist ja völlig unmöglich, das Geld zu bezahlen, um die Samples zu klären – also muss man das als Kunstprojekt durchziehen. Man muss es als Injektion neuer, aufregender Ideen in die Kultur sehen. Ich fange an zu glauben, dass es in der Zukunft eine Art künstlerisches Einfrieren geben wird. Man wird die Stimmen von toten Künstlern nehmen und ihre Musik unter neuen Vorzeichen wiedererschaffen. Auf eine gewisse Weise wird bestimmte Musik ewig existieren.

Sagt’s und wirft ein Klavier aus dem Fenster – natürlich nur in Gedanken.

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