Der bleierne Tanz um den Goldenen Schnitt
Seit jeher gesteht Hollywood nur wenigen Regisseuren den FINAL CUT bei ihren Filmen zu. Tony Kaye wollte sich dieses Recht für sein Debüt öffentlich erstreiten - und verlor
Die Premiere, davon ist der Regisseur überzeugt, wurde ihm versaut Als „American History X“ vor vier Monaten in den US-Kinos anlief, war der Name des britischen Werbefilmers erstmals auf der Leinwand zu sehen. Für seinen Film zwar – der jedoch nicht seine Fassung ist. Sabotiert worden sei er, in seinem Genie behindert von Ahnungslosen, grollte Tony Kaye. Und schmollt seither. Welcome to the dolthouse.
Dhected by-ia Hollywood weist die Nennung viele Regisseure als hochbezahlte Hausmeister aus. Diese kehren Kameraleute, Komparsen und Kulissenbauer zusammen, ordnen gebieterisch das kreative Chaos am Set, polieren die Seelen der Schauspielstars und liefern das fertige Material schließlich im Schneideraum ab. Spätestens hier müssen sie draußen bleiben. Oder sie haben das Recht am final cut. Also jenem Goldenen Schnitt am belichteten Zelluloid, mit dem ein Film erst seine Identität erhält, der dessen Story zum Leben erwecken und verrecken lassen kann. Und da Regisseure und Studio-Manager darunter oft etwas jeweils anderes verstehen, wird um die Endmontage gefeilscht, als ginge es um Himmelfahrt oder Höllensturz. Schlimmstenfalls graut es dem einen vor seichtem Kommerz und gruselt es den anderen vor sterbenslangweiliger Kunst Unvereinbar sind Anspruch und Absatzprämissen dennoch nicht Wer dieses Talent beweist, adeln Studios eventuell zum final cut director.
„Das ist ein Privileg^, so Gary Ross, „als erhalte man den Professoren-TiteL“ Der Drehbuchautor hat mit JPleasantville“ gerade sein Debüt als Regisseur abgedreht – ohne Final Cut, den Kaye aber für sich beansprucht: „Zuviele Leute mischen sich ein. Deshalb muß jemand mit dem letzten Wort betraut werden. Unter Filmemachen verstehe ich: Wer einen Regisseur anheuert, der kauft auch dessen Vision.* 4 Eine Forderung, die Hollywood im brutalen Blockbuster-Business längst keinem Novizen mehr erfüllt und selbst ausgewiesenen Unterhaltungs-Profis wie Richard Donner („Leathal Weapon“), Joel Schumacher („Acht Millimeter“), Wolfgang Petersen oder Roland Emmerich nur bedingt zugesteht Zuviel Geld von zuvielen Menschen fließt in die Produktionen, als daß die Studios das Produkt einzig den Inspirationen eines Regisseurs anvertrauen würden. Der ebenso brillante wie billige Woody Allen, für den selbst teure Stars nach Tarif arbeiten, ist unantastbar. Und weitestgehend gewähren lassen die merkantilen Studio-Strategen etwa Steven Spielberg, George Lucas, Barry Levinson, Oliver Stone, Quentin Tarantino, Peter Weir, Clint Eastwood, Lawrence Kasdan, Robert Zemeckis, Jonathan Demme, Nora Ephron, James Cameron, Rob Reiner, Milos Forman, Mike Nichols – deren erfolgreiche Kunstfertigkeit Hollywood allesamt mit einem Oscar belohnt hat Kevin Costner, der sich mit dem Wolf in diese Riege tanzte, dürfte nach den überlangen, überteuerten Apokalypse-Flops „Waterworld“ und „Postman“ der Titel aberkannt werden.
Dabei begann der Tanz um den Final Cut bereits in der sagenumwobenen Studio-Ära der zwanziger Jahre. Legion und legendär sind die Anekdoten derer, die beschnitten wurden, vor allem wenn Exzentriker wie Cecil B. De Mille („Cleopatra“) mit caesarischer Maßlosigkeit ihr Budget überzogen und die Drehzeit und Filmdauer dazu. 1923 kürzte MGM das achtstündige Ehe-Drama „Gier“ von Erich von Stroheim auf etwa zwei Stunden. Weil das Publikum 1942 bei einer Testvorführung Orson Welles‘ „Magnificent Ambersons“ ausgelacht habe, ließ das Studio RKO in Welles Abwesendheit den Film umschneiden und sogar Szenen neu drehen. Der rächte sich 1946, indem er für „Die Lady von Shanghai“ die rote Mähne von Hollywoods Sex-Symbol Rita Hayworth abschneiden und bleichen ließ – es war das einzige, an dem nach Drehschluß niemand etwas ändern konnte. Universal düpierte 1958 wiederum Welles, als sie einen anderen Regisseur beauftragten, Szenen für „Im Zeichen des Bösen“ nachzudrehen. Bei „Blade Runner“ (1980) wurde Ridley Scott genötigt, die sinistre Sci-Fi-Story mit Off-Monologen zu erläutern und eine optimistischere Schlußsequenz einzufügen. Und vor kurzem hat Miramax bei „Studio 54“ jede zu deutliche und desperate Fleischeslust entfernt, um die Freigabe unter 17 Jahren zu erhalten. Nur so rechnen die Buchhalter mit Renditen.
Einmal nur; zwischen Ende der 60er und Mitte der 70er Jahre, bröckelte der Absolutismus der Studios. Ihre Bosse waren überaltert und ratlos ob der Generation, die mit Rock’n’Roll nachgewachsen war und Hollywoods plüschige Konfektion verschmähte. In diese Kinokrise ab Folge der gesellschaftlichen Zäsur hinein riefen Regisseure und Drehbuchschreiber wie Sam Peckinpah, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Arthur Penn, Alan Pakula, Robert Altman, Paul Schrader, Dennis Hopper, John Cassavetes, Roman Polanski oder Peter Bogdanovich das Autorenkino aus. Für ein Jahrzehnt diktierten sie exaltiert die künstlerische Linie und folglich den finanziellen Bedarf dafür. So ließen sich visionäre Werke wie „Easy Rider“, „Nashville“, „Uhrwerk Orange“ oder „Bewegliche Ziele“ realisieren. Der Teamchef war der Star. Man sah sich keinen Film an, sondern den neuen Coppola. Paramount-Manager Robert Evans favorisierte 1972 Ernest Borgnine und Ryan O’Neal für „Der Pate“, der etwa zwei Stunden dauern sollte. Coppola jedoch kämpfte, bis er Marion Brando, AI Pacino und 175 Minuten durchgeboxt hatte. Die Party schöpferischer Hybris endete zwischen 1977 mit „Star Wars“ von George Lucas und Michael Ciminos ruinösem Western „Heaven’s Gate“ von 1980. In den Achtzigern begann die Macht der Special-Effects und Superstars im Verbund mit den Studios. Storys waren schematisch zugeschnitten, Störendes wurde rausgeschnitten. Das Testpublikum empfand 1987 einen Selbstmord von Glenn Close in JEine verhängnisvolle Affare“ als unbefriedigendes Ende. „Kill the bitch“, brüllten die Leute Michael Douglas zu. Und so kam es. Spätestens seit diesem Hit sind Testvorführungen das Goldene Kalb.